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       # taz.de -- EM-taz: Stars, Teams und wir: Feuchte Träume mit Zlatan
       
       > Trotz aller Verehrung muss der Fußballstar solidarisch auf dem Platz
       > sein. In der Gesellschaft gilt das nicht, da will jeder sein eigener Star
       > sein.
       
   IMG Bild: Stars unter sich: Zlatan herzt Messi nach einem Champions-League-Spiel
       
       Und dann kriegt der Star den Ball, spielt alle aus und haut ihn mit der
       Hacke rein. Wahnsinn. Ibrahimović. Cristiano Ronaldo. Messi. Neymar. Bis
       vor Kurzem noch: Balotelli. Wayne Rooney. Das sind die Projektionsflächen
       des Heldenfußballs, der feuchte Traum aller Jungs.
       
       Das Wort Jungs meint hier übrigens kein Geschlecht und kein Alter, sondern
       einen geistigen Zustand. Der Star, der Held, ist immer der Platzhalter für
       einen selbst. Der Star stand aber traditionell auch, das ist der
       entscheidende Punkt, für die Trennung von Arbeit und Genie. Herbert Wimmer
       musste laufen und den Ball brav zu Günter Netzer tragen. „Wimmer ist
       Alltag, ich bin Sonntag.“ So hat es Netzer in seiner unnachahmlichen Art
       einmal gesagt.
       
       Jedes Europameisterschafts- und Weltmeisterschaftsturnier beginnt mit den
       Stars, die im Fokus stehen. Die schwedische Nationalmannschaft ist seit
       Jahren in kompletter Abhängigkeit von Zlatan Ibrahimović. Aber etwas zu
       gewinnen – dazu waren weder er noch Christiano Ronaldo mit Portugal in der
       Lage. Mediokre Star-Teams können in der Fußballmoderne mal ein oder
       mehrere Star-Spiele erwischen, aber sie können kein Turnier gewinnen. Am
       Ende gewinnt immer die Mannschaft. Nicht unbedingt die deutsche, aber eine
       Mannschaft, die eben nicht alles auf den einen Spieler ausgerichtet hat.
       Zuletzt war das Deutschland, dreimal Spanien, Italien.
       
       Heldenfußball als Stil war in Deutschland in den frühen Neunzigern von
       Volker Finke in Freiburg anachronisiert worden. Ab da war Egalität auf dem
       Platz, über die Finke autokratisch herrschte. Der Torschütze war nur der
       Spieler, der den letzten von vielen gleichwertigen Laufwegen ablieferte und
       dann den Ball versenkte. Während es überall aufbrach, zog der FC Bayern
       sein Geschäftsmodells des kalten Heldenfußballs jenseits der Moderne noch
       ziemlich lange durch. Erst Louis van Gaal modernisierte die Bayern. Von da
       an fingen auch die vormals klassischen Stars Arjen Robben und Franck Ribery
       an, nach hinten mitzuarbeiten.
       
       ## Kunsthandwerker in der Solidargemeinschaft
       
       Der reale Spitzenfußball ist kein Starspiel, sondern ein Trainerspiel.
       Thomas Tuchel hat das sinngemäß so formuliert, dass der Solist zwar seine
       Soli bekommt. Aber nur auf der Basis der von der Mannschaft vorgegebenen
       Melodie und des Rhythmus. Beides ist wiederum komplett von der Vorgabe des
       Trainers abhängig. Doch je perfekter flachhierarchischer Systemfußball
       gespielt wird, desto dringlicher wird der Star gebraucht. Das ist das
       kreative Paradoxon des modernen Fußballs.
       
       Nur ist es eben nicht der alte, sondern der neue Star.
       
       Das defensive System funktioniert nur, wenn der Star auch auf einer
       Vollzeitstelle mitarbeitet. Ronaldo und Ibrahimović sind hier sicher an
       der Kante. Und das offensive System funktioniert nur, wenn es gelingt, den
       Star in eine Position zu bringen, in der er sein nicht vom Team zu
       produzierendes Extra einbringen kann. Das meint in der Regel eine
       Eins-gegen-eins-Situation, durch die er die Enge des gegnerischen Systems
       überwindet. Daran hapert es im Übrigen bisher beim deutschen Team und
       generell bei dieser EM.
       
       Der neue Star ist also ein Kunsthandwerker und Teil einer
       Solidargemeinschaft, in der alle anderen aufgewertet worden sind, weil es
       auch komplex und anspruchsvoll ist, den Star in Position zu bringen.
       
       ## Arschlochisierung unter der Fahne der Emanzipation
       
       Eine zentrale Entwicklung war sicher jene des Strategiespielers von Günter
       Netzer zu Toni Kroos. Es ist Stefan Effenberg, der die Transformation vom
       Zehner zum Sechser vollzogen und den Defensiv- und Arbeitsanteil in die
       Jobbeschreibung integriert hat. Aber trotzdem auch noch den Ego-Star
       verkörperte.
       
       Die heutigen Strategiespieler des hierarchieflachen Fußballs – Kroos, Lahm,
       Xavi – sind solidarische Spieler, die nicht über ihr Ego wahrgenommen
       werden können.
       
       Eigentlich müssten wir diese Jungs als Vorbilder verehren. Aber das tun wir
       nicht.
       
       Warum nicht? Weil sie nicht unsere Vorbilder sind. Die
       Gegenwartsgesellschaft bringt sich hier selbst auf den Punkt. Unter
       reflexhaftem Rufen nach „sozialer Gerechtigkeit“ wird faktisch die
       Individualisierung vorangetrieben, und auch die Arschlochisierung läuft
       unter der Fahne der Emanzipation und Freiheit. Jeder ist sein eigener Star,
       der häufig gerade auch sein Recht auf negative Freiheit gegen die
       Gemeinschaft einfordert, die gefälligst die Laufarbeit für ihn machen soll.
       
       ## Besondere Momente
       
       Derweil ist ausgerechnet im Kern des in vielerlei Hinsicht problematischen
       Fußballs die Individualisierung zurückgedrängt worden. Das bedeutet eine
       Beschränkung der negativen Freiheit des Einzelnen, und es bedeutet auch ein
       Verantwortungsverhältnis mit der Gemeinschaft. Alle müssen laufen, und alle
       tun das.
       
       So stecken im Fußball vorbildhafte Transformationsprojekte, die durch
       Verknüpfung des Solidaritätsgedanken mit methodischer Innovation entstanden
       sind. Hinter dem Ignorieren dieser Moderne und der Fetischisierung des
       alten Star-Bildes steckt auch die Sorge, dass Solidarität ein persönliches
       Verlustgeschäft sein könnte und vor allem: langweilig wie Lahm und Kroos.
       
       Bevor es jetzt aber allzu linksparteiig wird, muss man sagen, dass der
       moderne Fußball – wie die moderne Gesellschaft auch – nicht konsistent
       erklärbar ist, sondern von „Asymmetrien“ (Hans Ulrich Gumbrecht) geprägt
       ist. Also geht es auch um den dramatischen Moment des Nichterwartbaren. Um
       das Spektakel. Um den Triumph des Genies. Den Moment, an den man sich
       erinnert, weil er sich so „unglaublich“ anfühlt.
       
       Solche Momente liefert niemals Benedikt Höwedes, aber manchmal Zlatan
       Ibrahimović. Und Kroos ist wie ein sehr guter, aber komplizierter Wein. Man
       muss viel gesoffen haben, um das volle Erlebnis zu bekommen. Ein
       egomanischer Zlatan-Fallrückzieher von der Mittellinie ist in dieser
       Hinsicht egalitärer, weil er jeden euphorisiert.
       
       23 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
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