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       # taz.de -- „Ich bin schon neidisch auf die Nachbarschule in Dingolfing“
       
       > Praxis Warum der Deggendorfer Schulleiter Heinz-Peter Meidinger
       > Schleichwerbung ablehnt und dennoch gerne eine Kooperation mit BMW hätte
       
       taz: Herr Meidinger, Sie sind selbst Schulleiter. Wie beurteilen Sie die
       Entscheidungen aus NRW, den Amazon-Schulwettbewerb als unzulässig
       einzustufen? 
       
       Heinz-Peter Meidinger: Ich kann die Entscheidung sehr gut nachvollziehen.
       Es ist zwar immer eine Gratwanderung, aber in diesem Fall ist die Grenze
       zur unerlaubten Werbung überschritten. Dieser Wettbewerb richtet sich
       ausschließlich an Grundschulklassen, und Kinder sind noch besonders
       beeinflussbar. Außerdem stammen alle Preise direkt aus dem Geschäftsbereich
       von Amazon. Das ist unzulässige Produktwerbung.
       
       Die Schulbehörde in Sachsen sieht das anders. Wo beginnt bei Ihnen
       unerlaubte Werbung? 
       
       Erstens: Der pädagogische Mehrwert muss im Vordergrund stehen. Und
       zweitens: Produktwerbung ist absolut tabu. Also wenn beispielsweise die
       Sparkassen oder die Commerzbank Bewerbertrainings an Schulen anbieten, ist
       das für mich okay – solange sie im Training nicht für ihre Angebote werben.
       Die Stiftung Lesen hat mal mit der Mainzer Volksbank ein Unterrichtsheft
       zum Thema „Geld in der Grundschule“ gemacht und darin für ein Bonussystem
       beim sogenannten Kid-Konto geworben. Das geht gar nicht.
       
       Was ist Ihnen sonst noch an Werbung untergekommen? 
       
       Vor gut zehn Jahren startete Bahlsen eine Sammelpunkte-Aktion, da konnten
       Schüler eine Klassenfahrt gewinnen, wenn sie eine bestimmte Zahl
       zusammenbekamen. Die Punkte waren allesamt auf firmeneigenen Produkten
       angebracht. Eine ähnliche Aktion gab es bei Kelloggs. Die Schüler sollten
       ihre Eltern unter Druck setzen, die Produkte zu kaufen. Die Aktionen wurden
       später verboten. Ich erinnere mich auch an eine Unterrichtsmappe der Firma
       Wrigley. Unter dem Slogan „Kau dich schlau“ haben sie das Kaugummikauen als
       positiv für die Schulleistung gepriesen, weil angeblich das Gehirn besser
       durchblutet würde.
       
       Wie oft werden Sie als Schulleiter von Unternehmen angeschrieben? 
       
       Ich bekomme jede Woche Sponsoringangebote, oft kommen unangekündigt ganze
       Pakete.
       
       Wird Schleichwerbung ausreichend in der Lehrerfortbildung thematisiert? 
       
       Natürlich muss das angesprochen werden, die reine Kenntnis der Gesetzeslage
       ist aber nicht entscheidend. Der Lehrer muss sich seiner Verantwortung
       bewusst sein. Da die Genehmigung von Schulbüchern äußerst aufwendig ist,
       holen sich Lehrer zu aktuellen Themen Unterrichtsmaterialien aus dem
       Internet. Gerade da ist Vorsicht geboten.
       
       Manche Politiker fordern eine staatliche Prüfstelle für kostenlose
       Unterrichtsmaterialien im Internet. Was halten Sie davon? 
       
       Fachlich, pädagogisch und didaktisch gut ausgebildete Lehrer sind die beste
       Kontrolle. Monitoringstellen werden nie nachkommen, die Fülle an
       Materialien zu sichten. Ich bin kein Freund von unnötiger Bürokratie. Aber
       es ist wichtig, dass der Staat klare Vorgaben macht. Manche Bundesländer
       haben da noch Hausaufgaben zu machen.
       
       Welche Rolle spielt die oft mangelhafte finanzielle Ausstattung der
       Schulen? 
       
       Bei unseren Schuletats bewegt sich gesponsertes Lehrmaterial im
       Promillebereich. Aber Schulen nutzen natürlich Standortvorteile. Ich sage
       es Ihnen ganz offen: Ich bin schon manchmal neidisch, wenn ich die
       Nachbarschule in Dingolfing sehe, wo BMW IT-Veranstaltungen sponsert. Davon
       kann ich im armen Bayrischen Wald nur träumen.
       
       Claudia Hennen
       
       22 Jun 2016
       
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