# taz.de -- Hebammen-Mangel in Schleswig-Holstein: Eine Stunde zur nächsten Geburtsklinik
> In Schleswig-Holstein schließt eine weitere Geburtshilfestation. Das
> Klinikum Nordfriesland sagt, es finde nicht genügend Hebammen.
IMG Bild: Langer Weg bis in den Kreissaal: In Schleswig-Holstein fehlen Hebammen.
Hamburg taz | In Nordfriesland ist eine weitere Geburtshilfestation
geschlossen worden. Nach dem Aus für die Stationen auf den Inseln Sylt und
Föhr bleibt in Deutschlands nördlichstem Landkreis nur noch eine von
ehemals vier Geburtshilfestationen übrig. Ohne Hubschrauber dauert es für
eine werdende Mutter auf Sylt damit mindestens eine Stunde, bis sie die
nächstliegende Geburtshilfeklinik erreicht.
„Uns fehlen Hebammen, wir können die Dienste nicht abdecken“, sagt Michael
Mittendorf, Sprecher des Klinikums Nordfriesland, zu dem auch das
Krankenhaus in Niebüll gehört. Dabei habe das Klinikum auch in Dänemark und
Österreich gesucht und sich vor zehn Tagen sogar an die Öffentlichkeit
gewandt.
„Wir bitten alle Leser, sämtliche Kontakte zum Wohle der
Patientenversorgung zu nutzen“, sagt der Geschäftsführer des Klinikums,
Christian von der Becke. Vielleicht gebe es ja Hebammen, die in die Region
zurückkehren wollten. „Wir wollen unbedingt versuchen, die Versorgung der
Schwangeren in der Klinik Niebüll wieder zu ermöglichen“, versichert von
der Becke.
Anke Bertram vom Hebammenverband mag das nicht so recht glauben. „Wir haben
in der Region reichlich Hebammen“, sagt sie. 680 davon seien im
schleswig-holsteinischen Verband organisiert. „Nur ist es für sie nicht
lukrativ, so zu arbeiten.“ Die Hebammen arbeiteten als selbstständige
„Beleghebammen“ für das Klinikum Niebüll, so Bertram – ihre Sozialabgaben
und insbesondere die teure Haftpflichtversicherung müssten sie selbst
tragen.
Ab dem 1. Juli sind für eine freiberufliche, in der Geburtshilfe tätige
Hebamme gut 6.800 Euro für die Haftpflichtversicherung fällig. Zwar sollen
die Krankenkassen diese Kosten übernehmen, doch aufgrund der Bedingungen
und der Schwierigkeiten beim Beantragen des dafür nötigen
„Sicherstellungszuschlags“ bleiben die Hebammen nach [1][Schätzung ihres
Verbandes] auf rund 2.000 Euro Versicherungskosten sitzen.
Angesichts einer Geburtspauschale von rund 240 Euro sei das viel zu wenig,
sagt Bertram. „Mich persönlich würde es davon abhalten, wieder in die
Hausgeburtshilfe einzusteigen“, sagt die Hebamme, die Schwangere auf Sylt
vor und nach der Entbindung betreut. Wegen der schlechten Bezahlung
arbeiteten viele Hebammen nebenher in anderen Berufen. „Hebammerei, das ist
eher ein Hobby.“
Dem Klinikum unterstellt Bertram, dass der Mangel an Hebammen nur
vorgeschützt sei. „Das wird im Leben nicht wieder geöffnet“, sagt sie mit
Blick auf die Geburtsstation. Viele Akteure drängten darauf, die
Geburtshilfe zu „regionalisieren“ – also auf größere Krankenhäuser zu
konzentrieren.
Ärztefunktionäre und Kassen argumentieren, Entbindungen in Krankenhäusern
mit großen Geburtsstationen seien sicherer: Dort stehe mehr Personal mit
mehr Routine und besserer Infrastruktur zur Verfügung. „Durch eine Vielzahl
von wissenschaftlichen Studien weltweit“ sei belegt, dass in
Spezialkrankenhäusern – Perinatalzentren – weniger Kinder bei
Risikogeburten stürben oder zu Schaden kämen, heißt es in einer
Stellungnahme der [2][Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und
Geburtshilfe] für den schleswig-holsteinischen Landtag.
Der [3][Verband der Ersatzkassen] empfiehlt deshalb, dass in Geburtszentren
nicht weniger als 500 Geburten im Jahr durchgeführt werden sollten.
Ökonomische Zwänge sowie der Mangel an Ärzten und Pflegekräften gäben die
Richtung vor. Allerdings sollte der Weg zur nächsten Geburtshilfe höchstens
45 Minuten dauern – „zumindest aus 95 Prozent der Gemeinden auf dem
Festland“.
Aus Sicht von Svenja Sievers-Jacobs eine Zumutung: Die Sylterin hat ihr
erstes Kind in Niebüll bekommen. Während der Schwangerschaft hatte sie noch
um die Geburtsklinik auf der Insel selbst gekämpft. Mit dem nächsten Kind
wird sie mindestens eine Stunde lang nach Husum reisen müssen. „Da werden
Kinder“, unkt Anke Bertram, „in Autos geboren werden.“
1 Jul 2016
## LINKS
DIR [1] https://www.hebammenverband.de/aktuell/presse/pressematerialien/?no_cache=1&sword_list%5B%5D=Haftpflichtversicherung
DIR [2] http://www.dggg.de/leitlinienstellungnahmen/aktuelle-stellungnahmen/
DIR [3] https://www.vdek.com/LVen/SHS/Presse/Pressemitteilungen/2015/20151217.html
## AUTOREN
DIR Gernot Knödler
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