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       # taz.de -- Pläne für das Flughafen-Tegel-Gelände: Platz für einen richtigen Kiez
       
       > Nach der Schließung des Flughafens soll eine Stadt in der Stadt für
       > 10.000 Menschen entstehen. Der Entwurf für das Viertel verspricht
       > lebenswerte Mischung.
       
   IMG Bild: Noch wird von hier geflogen. Aber wenn der BER mal aufmachen sollte…
       
       Im ersten Moment wirkt der Ort, an dem die Gewinner des Wettbewerbs zur
       Bebauung des Tegeler Flugfeldes der Öffentlichkeit präsentiert werden, ein
       wenig schrullig: Mitten in einem schnöden Einkaufszentrum in den Hallen am
       Borsigturm im äußersten Norden Berlins – zwischen Bijou Brigitte und
       Bonita, Esprit und Zara, flanieren Mütter mit Kinderwägen, Rentner in
       Hawaii-Hemden, junge Mädchen mit Kopftüchern und Landschaftsmalereien auf
       den Fingernägeln – und bleiben eher selten stehen an den großen Schautafeln
       voller Architekturentwürfe.
       
       Doch dann sagt Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung (SPD), der die
       Ausstellung am Mittwoch mit Sekt und Saft für alle eröffnete, man habe
       diesen Ort mit Bedacht gewählt. Denn schließlich ginge es mit dem
       Schumacher Quartier um eines der größten Bauvorhaben dieser Stadt – neben
       Elisabeth-Aue und Lichterfelde-Süd. Es soll in Tegel bezahlbarer Wohnraum
       mit 5.000 Wohnungen für 10.000 Menschen entstehen, für „die ganz normalen
       Berlinerinnen und Berliner“ also. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2015 wurden
       12.000 Baugenehmigungen erteilt. Und das, obwohl der Druck auf den
       Wohnungsmarkt durch steigende Einwohnerzahlen und immer mehr Arbeitsplätze
       bedrohlich zunimmt.
       
       Im Grunde ist es ferne Zukunftsmusik, die hier gespielt wird – denn erst
       nach Inbetriebnahme des BER und Schließung des Flughafens Tegel wird hier
       gebaut werden können. Also frühestens 2020. Trotzdem ist es gut, dass mit
       dem Entwurf der Dortmunder Architekten Scheuvens + Wachten bereits jetzt
       ein Wettbewerbsgewinner gekürt wurde, denn die Ziele, die hier erreicht
       werden wollen, sind mehr als ehrgeizig.
       
       Das Schumacher Quartier soll sich auf 48 Hektar des östlichsten Zipfels vom
       Flugfeld erstrecken, einem schwierig zu bebauenden Dreieck zwischen dem
       Kurt-Schumacher-Platz, dem Rest des Flugfelds und dem U-Bahnhof
       Scharnweberstraße.
       
       Auch will man von den Fehlern, die beim Bau ähnlich großer Quartiere in den
       siebziger Jahren in Spandau oder der Gropiusstadt gemacht wurden, lernen
       und auch von jenen der neunziger Jahre in Karow, Biesdorf oder Johannistal.
       Statt an Schlafstädte und Reihenhaussiedlungen mit kleinen Vorgärtchen auf
       der grünen Wiese, also ohne Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und
       ohne Vernetzung mit der umliegenden Nachbarschaft, hat man sich eher an die
       berühmte Berliner Mischung gehalten. Auch der gekürte Entwurf erinnert
       weniger an eines dieser UFO-Neubaugebiete als an einen typischen Berliner
       Kiez – mit Büros, Einzelhandel, Schulen, Kitas, Sporteinrichtungen – vor
       allem aber mit Wohnungen sowohl für den kleinen als auch für den etwas
       größeren Geldbeutel. Geisel spricht davon, dass ein Teil der Wohnungen nur
       6,50 Euro pro Quadratmeter kosten wird. Die rund eine Milliarde Euro teure
       Investition soll je zur Hälfte von kommunalen und von privaten
       Gesellschaften und Genossenschaften errichtet werden.
       
       Das Interessanteste aber am Schumacher Quartier ist fast, dass schon bei
       der Ausschreibung Grünflächen en masse vorgeschrieben wurden – und dass die
       Architekten mit der Schwierigkeit des extrem lauten Autobahnzubringers
       Kurt-Schumacher-Damm im Süden umzugehen hatten. Die Sieger des Wettbewerbs
       antworteten auf diese Herausforderungen zum einen mit vielen charmanten,
       kleinen Plätzen, die es erlauben, die Gebäude von der lärmenden und
       stinkenden Straße ein kleines, aber entscheidendes Stück wegzurücken.
       
       ## In der Mitte ist Platz für einen extrem großen Park
       
       Sie antworteten vor allem aber und trotz der Nähe zum Flugfeld mit einem
       extrem großen Park in der Mitte des Quartiers, der nicht nur die konische
       Form des Grundstücks geschickt aufnimmt, sondern zusätzlich einen Durchgang
       zur zukünftigen Tegeler Heide offen lässt, von der zum jetzigen Zeit noch
       keiner recht weiß, ob sie ähnlich wild und frei wird genutzt werden können
       wie das Tempelhofer Feld.
       
       So entsteht eine interessante Ost-West-Achse von der „Heide“ bis zum
       Kurt-Schumacher-Platz, während die Nord-Süd-Achse vom U-Bahnhof
       Scharnweberstraße im Nichts endet. Dies ist auch einer der Kritikpunkte der
       Jury.
       
       Viel ist der Berliner Wohnungsbau der letzten Jahre für seine einfallslosen
       Klötzchen kritisiert worden, auch der Entwurf mit seiner „offenen
       Blockstruktur“, also vier- und fünfgeschossigen Wohn- und Gewerbeblöcken um
       kleine grüne Innenhöfe herum, bringt diesbezüglich nicht gerade viel
       Innovation ins Spiel.
       
       ## Soll er ruhig kommen, der neue Flughafen
       
       Andere Entwürfe, die in den Borsighallen ebenfalls gezeigt werden und nur
       den zweiten oder dritten Preis oder eine Anerkennung bekommen haben, gehen
       da weiter. Einer rückt die Gebäude noch sehr viel weiter weg vom
       Kurt-Schumacher-Damm, als wüsste er: Wer würde an so einer Straße wohnen
       wollen?
       
       Ein anderer, vielleicht sogar der interessanteste, nämlich der Entwurf von
       Cityförster architecture + urbanism aus Hannover, hat den Park keilförmig
       ins Quartier getrieben, der sich so zum Flugfeld hin öffnet und immer
       breiter wird, dass man vom Kurt-Schumacher-Platz bis in die Tegeler Heide
       blicken könnte. Am Saum dieses Keils würden dann vieleckige Gebäude mit
       öffentlichen Einrichtungen gebaut, von Kitas über Schulen bis hin zu
       Bibliotheken und Sporteinrichtungen.
       
       Mitten in der Stadt hätte man das Gefühl, an einem großen Garten zu leben
       und zu arbeiten – den weiten Horizont stets vor Augen. Andererseits würde
       das Quartier auf diese Weise in einen nördlichen und einen südlichen
       Streifen zerfallen, kritisierte die Jury – und entschied sich daher für den
       weniger waghalsigen, den manchmal vielleicht allzu robusten von Scheuvens +
       Wachten. Im Vergleich zu dem, was man an Quartieren aus den neunziger oder
       gar siebziger Jahren kennt, ist dies wahrscheinlich noch waghalsig genug.
       
       Geht es nach diesem Wettbewerbsentwurf, dann könnte im Norden Berlins ein
       echtes neues Zentrum nach dem Vorbild der Berliner Kieze entstehen, in dem
       man wirklich gern wohnen würde. Jetzt kommt es nur noch drauf an, wie er
       weiterentwickelt wird.
       
       Soll er also ruhig kommen, der neue Flughafen namens BER.
       
       1 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
   DIR Flughafen Tegel
   DIR Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
   DIR Andreas Geisel
   DIR Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
   DIR Schwerpunkt Volksentscheid Tempelhofer Feld
       
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