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       # taz.de -- AfD im Berliner Wahlkampf: Entscheidende Vorwahl
       
       > Zwei Wochen vor Berlin wählt Mecklenburg-Vorpommern. Dort wird die AfD
       > rund 20 Prozent kriegen. Beinflusst das auch den Berliner Wahlkampf?
       
   IMG Bild: Auf diese Blumen kann man getrost verzichten
       
       Die Zahlen sind schrecklich: Bei fast 20 Prozent sieht eine neue Umfrage
       die rechtspopulistische AfD und damit noch vor der Linkspartei und den
       Grünen. Nicht auszuschließen, dass sie sogar zweitstärkste Kraft im Landtag
       werden kann.
       
       Die Umfrage von Ende vergangener Woche bezieht sich freilich nicht auf
       Berlin, sondern auf Mecklenburg-Vorpommern. Doch die Parlamentswahl dort
       findet lediglich zwei Wochen vor der Entscheidung an der Spree statt. Und
       das dortige Ergebnis könnte die Rechten – gänzlich ohne deren Zutun – in
       den letzten 14 Tagen des Berliner Wahlkampfs stärken. Denn es ist gut
       möglich, dass dadurch ein so genannter Mitläufereffekt, auch
       Bandwagon-Effekt genannt, ausgelöst wird.
       
       Sozialwissenschaftler gehen dabei davon aus, dass Menschen tendenziell auf
       der Seite der Gewinner stehen wollen. Eine hohe Zustimmung in Meck-Pom für
       die AfD könnte vor diesem Hintergrund zur Folge haben, dass bisher
       unentschlossene oder noch zögernde Wähler ihre Stimme doch den
       Rechtspopulisten geben. Die vorherigen Bemühungen der demokratischen
       Parteien, die AfD möglichst klein zu halten, wären dann teilweise
       wirkungslos.
       
       „Ich glaube, dass das Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern auf Berlin
       Auswirkungen haben kann“, sagt Dennis Buchner, Landesgeschäftsführer der
       SPD und deren Wahlkampfleiter. Einige Menschen zusätzlich könnten AfD
       wählen. Buchner betont aber zugleich: „Das Potenzial der AfD ist hier in
       Berlin aber nicht so groß.“
       
       Der Berliner Politologe Gero Neugebauer geht sogar davon aus, dass die AfD
       in Meck-Pom 25 Prozent holt. „Das würde auch die AfD in Berlin beflügeln“,
       sagte er der taz. Die Auswirkungen dürften allerdings eher gering sein:
       „Die Partei ist schon enttabuisiert“, betont Neugebauer. „Das Ergebnis im
       Norden würde der AfD in Berlin keine weitere Wählerklientel mehr eröffnen.“
       
       Doch wie groß diese Klientel in Berlin ist, bleibt derzeit reine
       Spekulation: Das Umfrageinstitut Forsa sieht die Partei auch nach der
       jüngsten, am Montag veröffentlichten Erhebung bei 8 Prozent (siehe auch
       Kasten), Infratest Dimap schätzte sie Mitte Juni mit 15 Prozent fast
       doppelt so stark ein. Aus der Forschung weiß man, dass Wähler rechter
       Parteien sich tendenziell scheuen, ihre Präferenz in Umfragen zu äußern,
       ihnen am Wahltag dann aber trotzdem ihre Stimme geben.
       
       Für die Machtverhältnisse im Berliner Abgeordnetenhaus hätte allein schon
       der Einzug der Rechtspopulisten Auswirkungen: Sehr wahrscheinlich wäre
       damit eine Fortsetzung der bisherigen „Großen“ Koalition aus SPD und CDU
       nicht mehr möglich; den Sozialdemokraten ginge eine Machtoption verloren
       und ein generell eher ungeliebtes Dreierbündnis wäre wohl unausweichlich.
       
       Man darf dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) dennoch
       unterstellen, dass er sich nicht allein aus taktischem Kalkül so
       leidenschaftlich wie bisher gegen die AfD ausspricht. Berlin müsse zeigen,
       dass es auch nach der Wahl für Weltoffenheit, Toleranz und
       Internationalität steht, betonte der Regierende auch am vergangenen Freitag
       bei der Unterzeichnung des sogenannten Berliner Konsenses.
       
       Darin verpflichteten sich die fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien
       sowie die FDP, im Wahlkampf „gemeinsam rassistischen, rechtsextremen und
       rechtspopulistischen Positionen die Rote Karte“ zu zeigen und sich
       „entschieden gegen sie zu stellen, wo auch immer sie auftreten“. Dennoch
       müsse man die Auseinandersetzung mit der AfD führen, etwa bei Diskussionen.
       Dabei habe sich bisher gezeigt, dass die AfD auf viele Fragen in der
       Stadtpolitik keine Antwort hätte, berichtete Müller von ersten Erfahrungen.
       Stattdessen würden deren Vertreter „heiße Luft“ produzieren.
       
       ## Politische Folgen bedenken
       
       So verwundert es auch wenig, dass die AfD bisher kaum durch politische
       Stellungnahmen im Wahlkampf aufgetaucht ist. Entsprechend gefährlicher wäre
       ein Schub von außen, wie durch einen Durchmarsch in Mecklenburg-Vorpommern.
       
       In den letzten beiden Wochen vor der Wahl am 18. September werden alle
       demokratischen Parteien gefordert sein, „verstärkt mit Spin gegen die AfD“
       zu argumentieren, sagt Dennis Buchner. Man müsse den Wählern klar machen,
       dass eine Stimme für die Rechtspopulisten vor allem auf Bezirksebene
       direkte politische Folgen haben würde: „Bei entsprechender Mehrheit wird
       die AfD dann zum Beispiel einen Schulstadtrat stellen“, erklärt Buchner.
       Die Stadträte stehen in den Bezirken nicht allein den stärksten Parteien
       zu, sondern werden nach Stimmanteil vergeben. Erhält eine Partei in einem
       Bezirk mehr als rund 17 Prozent, kann sie einen Stadtrat stellen.
       
       ## Ein Weckruf
       
       Die Grünen hoffen hingegen darauf, dass ein Erfolg der AfD in
       Mecklenburg-Vorpommern in Berlin vor allem die Klientel der bereits im
       Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien mobilisiert. „Ein solches Ergebnis
       wäre ein Weckruf für die Unterstützer der demokratischen Parteien: Es würde
       allen noch mal zeigen, worum es in Berlin geht“, sagt Landeschefin Bettina
       Jarasch. Und auch potenzielle Nichtwähler könnten sich daraufhin vielleicht
       doch noch durchringen, an die Urne zu gehen. Bettina Jarasch hofft am Ende
       auf ein Ergebnis der AfD im „einstelligen Bereich“.
       
       5 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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   DIR Carsten Koschmieder
       
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