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       # taz.de -- Zentrum für politische Schönheit: Leider keine Übertreibung
       
       > Die neueste Kunstaktion des Zentrums für politische Schönheit teilt in
       > alle Richtungen aus. Bei aller Kritik: Das ist angemessen.
       
   IMG Bild: Kunst? Aktionismus? Teil der öffentlichen Debatte ist das Projekt auf jeden Fall
       
       „Wer sich Kampagnen wie ‚Flüchtlinge fressen‘ ausdenkt, der hat sich von
       der Verrohung der Flüchtlingspolitik anstecken lassen“, schreibt Christian
       Jakob [1][in seinem Verriss] der neuesten Aktion des Zentrums für
       politische Schönheit (ZPS). Das ZPS kündigt an, ein Flugzeug zu chartern,
       das Menschen ohne Visum, aber sicher nach Deutschland bringt.
       
       Das mache Sinn, so Jakob – jedoch gleichzeitig eine Arena mit vier echten
       libyschen Tigern zu bestücken und bei Nichtgelingen der illegalen Passage
       verzweifelte Geflüchtete zum Suizid einzuladen, sei zuviel der
       Menschenverachtung. Doch nicht das ZPS speist den Zynismus in die Mitte der
       bürgerliche Gesellschaft ein, es macht die Normalisierung der
       Menschenverachtung sichtbar, leider ohne zu übertreiben.
       
       Der Innenminister hat dieser Tage ohne Not und ohne Faktengrundlage Ärzte
       in Deutschland angegriffen, sie stellten vermehrt ungedeckte Atteste aus,
       um Abschiebungen zu verhindern. Diese Verleumdung kostet Menschenleben.
       Doch genau daran sollte sich die Gesellschaft gewöhnen. Selbstbewusst
       [2][verteidigte er im April den Türkei-Grenz-Deal]: „Auch wenn wir jetzt
       ein paar Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist
       richtig.“ Der Ansatz treibt Menschen zu tausenden ins Meer, und Human
       Rights Watch berichtet, dass das von der AfD durchgespielte Szenario vom
       [3][Schießbefehl an der türkischen Grenze gilt und Tote fordert]. Die
       Bundesregierung schweigt dazu.
       
       De Mazière genauso wie seine Kolleg_innen im europäischen Ausland beziehen
       ihre Popularität von der existentiellen Verzweiflung Schutzbedürftiger ohne
       Heimat und sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass diesen Menschen nur
       noch eine Rolle zugewiesen wird: Flüchtling zu sein. Und über das Leben von
       „Flüchtlingen“ entscheiden allein die Paßbesitzer_innen und ihre Daumen
       zeigen schon seit Monaten vor allem nach unten. Das Recht auf Leben wird
       Schutzbedürftigen also nicht im angekarrten Tigerkäfig entzogen, sondern in
       der Arena der demokratischen Mitte. Ein paar harte Bilder, gilt es da schon
       auszuhalten.
       
       ## Gaucks Porträt im Käfig
       
       Und wir halten die Bilder von den Ertrunkenen und den entsetzten
       Überlebenden, die auf der Balkan-Route in Internierungslager gesteckt
       werden oder in Idomeni im Schlamm verrecken, ja auch schon ganz gut aus.
       Rechnet noch jemand damit, dass Präsident Gauck ein Machtwort gegen die
       Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik spricht, im Namen der Menschlichkeit?
       Eher nicht. Sein Porträt hängt zu Recht im Tigerkäfig.
       
       „Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“ setzt sich in großem Stil über das
       Ordnungssystem der Grenze hinweg. Im Rahmen der Kunstaktion werden
       nationale Grenzen als Verbrechen gewertet, Kunst und Aktivismus vermischt,
       guter Geschmack mit schlechtem verbunden, und die richtige politische
       Forderung gleich am ersten Abend von Gaukler_innen vorgetragen. So soll
       Gauck die EU-Richtlinie 2001/15/EG, Absatz 3 des Paragraphen 63 im
       Ausländerrecht aussetzen. Dort wird festgelegt, dass
       Beförderungsgesellschaften, die Menschen ohne Visum etwa fliegen lassen,
       hohe Geldstrafen zahlen müssen.
       
       Das ZPS weist damit auch den Kritiker_innen der Flüchtlingspolitik die
       zweifelhafte Rolle der Budenzauberer zu. Niemand in diesem brutalen
       realpolitischen Spiel um geschlossene Grenzen ist noch eine verlässliche
       Partner_in. Wie auch? Wenn Menschen vor laufender Kamera und ganz legal das
       Recht auf Leben entzogen wird, ohne dass die Gesellschaft Kopf steht, dann
       entspringt die obszön leuchtende Menschenverachtung nicht dem Ego des
       künstlerischen Leiters des ZPS, wie Christian Jakob in seiner Rezension
       kritisiert, sondern sie hat den Alltag der Mehrheitsgesellschaft gekapert.
       Längst haben wir uns zum Teil des brutalen Spektakels machen lassen.
       
       Und aus der Nummer kommen wir sicher nicht durch die Kritik an
       Geschmacklosigkeit oder Eitelkeiten oder durch Diskussionen um Kunst und
       Nichtkunst raus. Stattdessen ist Streichung des Paragraphen angesagt.
       
       Trotzdem lässt die Aktion bislang eine entscheidende Frage offen: Wie will
       es die ungebetenen Passagiere vor der menschenvernichtenden Bürokratie
       schützen, selbst wenn sie den ersten Schritt geschafft hätten und
       eingeflogen würden? Was passiert, wenn die Behörden ihre Namen erfahren und
       alles daran setzen dürften, dass ihr ziviler Ungehorsam keine Schule macht,
       ihr Leben also nicht gerettet wird?
       
       22 Jun 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Zentrum-fuer-Politische-Schoenheit/!5311127/
   DIR [2] http://www.welt.de/politik/deutschland/article154124619/Muessen-jetzt-ein-paar-harte-Bilder-aushalten.html
   DIR [3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-laut-hrw-in-tuerkei-erschossen-kommentar-a-1091924.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Kappert
       
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