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       # taz.de -- Brüssel und der mögliche Brexit: Plan A und Plan B
       
       > Die EU-Politiker müssen auf zwei mögliche Szenarios vorbereitet sein.
       > Auch ein Verbleib Großbritanniens birgt Risiken.
       
   IMG Bild: „Darf ich Sie zur Tür geleiten?“ Jean-Claude Juncker muss auf einen Brexit vorbereitet sein
       
       Brüssel taz | Wochenlang haben sich die EU-Politiker weggeduckt. Kanzlerin
       Angela Merkel, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident
       Donald Tusk – niemand wollte sich zu einem möglichen EU-Austritt
       Großbritanniens äußern. Zu groß war die Angst, ein falsches Wort könne die
       EU-Gegner auf der Insel beflügeln und den gefürchteten Brexit auslösen.
       
       Offiziell wollten die EU-Chefs nicht einmal einen „Plan B“ für den
       Ernstfall entwerfen. Doch hinter den Kulissen wird fieberhaft an einem
       Notplan gefeilt. Schon am Freitagmorgen treffen sich Juncker, Tusk und
       Parlamentspräsident Martin Schulz in Brüssel, um den möglichen Schaden zu
       begrenzen. „Jetzt muss ein Ruck durch Europa gehen“, fordert der
       SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen.
       
       Was aber geschehen sollte, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
       Während Leinen, der schon im EU-Verfassungskonvent mitgearbeitet hat, und
       viele andere Abgeordnete im Europaparlament einen neuen Konvent fordern, um
       die EU wieder flottzumachen, treten die meisten Regierungen auf die Bremse.
       Beim EU-Gipfel nächsten Dienstag und Mittwoch dürfte es keine weit
       reichenden Beschlüsse geben.
       
       Bisher zeichnen sich in Brüssel nur defensive Reaktionen ab: Bleiben die
       Briten dabei, dann will sich die EU an die Umsetzung der Sonderwünsche
       machen, die Premier David Cameron im Februar ausgehandelt hatte. Kommt der
       Brexit, ist ein Signal der Stabilität geplant. Hier die beiden Szenarien:
       
       Variante 1 – Der Brexit kommt: Die jahrzehntelange Erfolgsgeschichte der
       europäischen Einigung käme jäh zum Stillstand. Dann müsse man den Laden
       zusammenhalten, sagen EU-Diplomaten in Brüssel. Wichtig sei auch, einen
       ungeordneten, „wilden“ Austritt Großbritanniens und einen jahrelangen
       Scheidungskrieg zu vermeiden.
       
       Konkret würden Juncker, Tusk und Schulz ein Bekenntnis zu Europa abgeben
       und die EU-Staaten zu noch engerer Zusammenarbeit auffordern, damit der
       Brexit nicht als Spaltpilz wirkt und vielleicht sogar Nachahmer in anderen
       EU-Staaten findet. Das Austrittsverfahren beginnt alsbald nach Artikel 50
       des EU-Vertrags mit einem formellen Antrag. Es endet nach zwei Jahren mit
       einem Austrittsvertrag. Allerdings steht das bisher nur auf dem Papier, in
       der Praxis wurde es noch nie erprobt.
       
       Die Briten könnten daher versuchen, auf Zeit zu spielen und ihre eigenen
       Prioritäten zu verfolgen – etwa beim Stopp der Einwanderung. „Es gilt
       jedoch das Loyalitätsprinzip, abwarten wäre illoyal“, warnt Leinen. Falls
       die Briten nach dem Austritt versuchen sollten, Brüssel hinzuhalten, so
       müsse die EU Sanktionen verhängen. „Man könnte Finanzhilfen und Stimmrechte
       sperren“, so Leinen. „Raus ist raus“, sagt er – wie zuvor schon
       Finanzminister Wolfgang Schäuble.
       
       Der hatte allerdings auch davor gewarnt, die europäische Integration nach
       einem Austritt der Briten voranzutreiben. Genau das fordern jedoch
       Föderalisten wie Leinen. Die EU müsse sich nach einem Brexit noch enger
       zusammenschließen und Prioritäten für die nächsten Jahre festlegen. Ähnlich
       argumentieren auch Franzosen und Italiener. Wer sich durchsetzt, ist offen.
       
       Variante 2 – Großbritannien bleibt: Nach dem drohenden Grexit im
       vergangenen Jahr hätte die EU damit einen weiteren, womöglich
       entscheidenden Härtetest bestanden. Doch auch dieses Ergebnis birgt einige
       Gefahren. „Die Stagnation könnte weitergehen, zudem könnte es einen Angriff
       auf den Sozialstaat geben“, fürchtet Jo Leinen. Bei einem Sieg könnte
       Cameron seine neoliberale EU-Agenda fortsetzen – und versuchen, die
       Freizügigkeit für Arbeitnehmer weiter einzuschränken. Dann droht eine
       Machtprobe mit dem Europaparlament: „Wir wehren uns gegen eine
       Diskriminierung von EU-Bürgern“, warnt Leinen. Ärger droht aber auch mit
       Merkel, die Cameron unterstützt und auf ein „Weiter so“ in Brüssel setzt.
       
       „Wenn Großbritannien bleibt, wird der EU-Gipfel salbungsvoll versuchen,
       Antworten auf die Sorgen der Bürger zu geben“, so Leinen. Neue Initiativen
       seien dann jedoch nicht zu erwarten. Erst nach den Wahlen in Frankreich und
       Deutschland 2017 könnte die EU neue Reformen wagen – das Brexit-Referendum
       würde als bedauerlicher Betriebsunfall abgehakt und schnell vergessen.
       
       Durch die Brexit-Nacht führt am Donnerstag unser musikalischer Liveticker
       unter [1][taz.de/brexit].
       
       23 Jun 2016
       
       ## LINKS
       
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