# taz.de -- Katholische Heime für Behinderte: Gewalt war alltäglich
> Behinderte Kinder und Jugendliche in der frühen Bundesrepublik litten
> unter erniedrigender und grausamer Behandlung. Das ergibt eine aktuelle
> Studie.
IMG Bild: Bis in die 1970er Jahre waren 95 Prozent der Heime in kirchlicher Hand
Berlin epd | Das Leben von behinderten Kindern und Jugendlichen in
katholischen Heimen in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1975 war
geprägt von Isolation, Unterordnung und Gewalt. Am Donnerstag wurde in
Berlin die erste umfassende Studie über die Lebenssituation von 30.000 bis
50.000 jungen Menschen in Einrichtungen der katholischen Behindertenhilfe
vorgestellt.
Sie kommt zu dem Ergebnis, dass behinderte Kinder und Jugendliche ebenso
wie alle anderen Heimkinder in der frühen Bundesrepublik unter
erniedrigender und grausamer Behandlung gelitten haben. Der Studie zufolge
haben 70 Prozent körperliche Gewalt erlebt und 60 Prozent psychische
Gewalt. Jede und jeder dritte Befragte berichtete überdies von sexuellen
Übergriffen.
Viele wurden Opfer willkürlicher und fachlich nicht nachvollziehbarer
Entscheidungen. Knapp ein Viertel weiß nicht, aus welchem Grund sie oder er
ins Heim kam. Weitere zehn Prozent haben nachweislich weder eine
körperliche noch eine geistige Behinderung. Die rund 1.000 bis 2.000 Kinder
in katholischen Behinderteneinrichtungen in der DDR waren in die Studie
nicht einbezogen.
Der Geschäftsführer der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz,
Johannes Stücker-Brüning, sagte, die Studie sei ein wichtiger Schritt zur
Rehabilitation der Betroffenen. Sie bestätige ihre Erfahrungen und ihr
Leiden. Er begrüßte die Einigung von Bund und Ländern über die Stiftung
„Anerkennung und Hilfe“, aus der ehemalige behinderte Heimkinder bis zu
14.000 Euro in Geld und Sachleistungen bekommen können. Die Kirchen
beteiligen sich zu einem Drittel an dem Fonds.
Berechnungen zufolge leben noch rund 97.000 ehemalige Heimkinder in
Deutschland, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe waren oder sind. Bis
in die 1970er Jahre waren 95 Prozent der Heime in kirchlicher Hand. Rund 40
Prozent wurden von der katholischen Kirche und Ordensleuten geführt, 60
Prozent von evangelischen Trägern.
Die Untersuchung ist auf Initiative des Caritas-Fachverbandes
Behindertenhilfe und Psychiatrie in Auftrag gegeben worden. Die
Wissenschaftler befragten zunächst 45 Personen ausführlich und im Anschluss
339 weitere Personen anhand standardisierter Fragebögen, von denen 293 in
die Auswertung eingingen. Die Ergebnisse können wegen der geringen Zahl
nicht hochgerechnet werden auf alle damals in Behinderteneinrichtungen
untergebrachten Kinder.
Die Interviewpartner wurden in Leichter Sprache oder mit Hilfe von
Gebärdendolmetschern befragt. Alle leben bis heute in einer katholischen
Einrichtung.
23 Jun 2016
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