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       # taz.de -- Fair-Trade-Expertin über Lage in Brasilien: „Es ist alles weg“
       
       > Die Umbrüche schaden der solidarischen Ökonomie im Land, sagt Ana Asti.
       > Ein Interview über die Zukunft des fairen Handels.
       
   IMG Bild: Ginge es der solidarischen Ökonomie besser, wenn Dilma Rousseff Präsidentin geblieben wäre?
       
       taz: Frau Asti, Sie haben die Geschäftsführung bei Sedes inne, dem
       Sekretariat zur Entwicklung einer solidarischen Ökonomie in Rio
       de Janeiro. Es gab dort eine kleine Krise … 
       
       Ana Asti: Eine kleine? Eine riesige!
       
       Nachdem die neue Regierung an die Macht kam, soll das gesamte
       Personal gefeuert worden sein. Was war da los? 
       
       Nachdem Dilma Rousseff suspendiert wurde, verkündete mein Chef, dass
       er das Rathaus aus Protest verlassen werde. Seitdem entlässt der
       Bürgermeister alle Angestellten: Wir waren mal 30 Leute, jetzt sind
       wir zu zehnt. Letzten Donnerstag strich er unser Budget in Höhe von 8
       Millionen Euro, welches wir zur Förderung der solidarischen
       Ökonomie und des fairen Handels in Rio einsetzen. Es ist alles weg.
       Wir haben viele wichtige Leute verloren, die für uns arbeiteten.
       
       Was könnte das für die Bewegung der solidarischen Ökonomie
       bedeuten? 
       
       Wir könnten einen Rückgang erleben, dorthin, wo wir vor zehn Jahren
       waren. Wir können viel verlieren, weil unser Sekretariat viele
       politische Strategien erarbeitete und wir uns nicht sicher sind,
       ob die neue Regierung damit weitermachen wird.
       
       Ein konkretes Beispiel? 
       
       Die Höhe der Investitionen wird vermutlich abnehmen. Letztes Jahr
       wuchs der lokale Kunsthandwerkmarkt in Rio auf 500.000 Euro, der der
       fair gehandelten und biologischen Produkte auf 2,5 Millionen
       Euro. Diese Märkte existieren aufgrund von lokalen Verordnungen,
       welche vom Bürgermeister persönlich erlassen und auch wieder
       aufgehoben werden können. Es sind also keine Gesetze, die vom
       Kongress verabschiedet werden müssen. Wir fürchten jetzt, dass diese
       Verordnungen wieder aufgehoben werden könnten und damit die
       lokalen Märkte zukünftig keine Chance mehr haben.
       
       Könnte das Ende von Sedes denn auch das Ende der solidarischen
       Ökonomie in Rio sein? 
       
       Was Größe und Stärke angeht, ja. Aber nicht in dem Sinne, dass die
       lokalen Bewegungen und die lokalen solidarisch-ökonomischen
       Netzwerke aufhören zu existieren. Sie werden auf jeden Fall
       innerhalb der Zivilgesellschaft weiterkämpfen.
       
       Gibt es denn auch Positives aus Rio zu berichten? 
       
       Ich glaube, wir sind in Bezug auf den fairen Handel reifer geworden,
       in Rio de Janeiro auch in Bezug auf Fairtrade-Towns.
       
       Plant Rio de Janeiro, eine Fairtrade Town zu werden? 
       
       Ja! Normalerweise gibt es fünf Kriterien für eine Fairtrade Town.
       Beispielsweise muss eine örtliche Steuerungsgruppe gegründet und
       Orte geschaffen werden, an denen Fairtrade-Produkte verkauft
       werden. Das sind, bezogen auf Rio, etwa 200. Wir wollen zwei weitere
       Kriterien entwickeln, die die Realität vor Ort berücksichtigen
       und die solidarische Ökonomie miteinbeziehen. Daher entwickelten
       wir die Förderung der lokalen Produktion und das Ziel, die Favelas
       stärker mit der Stadt zusammenzubringen. Das sind Dinge, die Teil
       unserer Identität sind.
       
       Wie kann man das von Deutschland aus fördern? Müssen Gesetze und
       Regulierungen uns zwingen, fair gehandelte Produkte zu kaufen? 
       
       Nichts, das einem aufgezwungen wird, ist etwas Positives. Aber ich
       denke, dass man an den öffentlichen Ordnungen schrauben sollte,
       damit faire Produkte den Vorzug erhalten.
       
       28 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Koßmann
       
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