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       # taz.de -- Nachruf auf Götz George: Mit Angst und Eigensinn
       
       > Totmacher, Ruhrpottermittler, Nazidarsteller, Schimanski: Götz George. Im
       > Alter von 77 Jahren ist er vor einer Woche in Hamburg gestorben.
       
   IMG Bild: Götz George bei Dreharbeiten in 2011
       
       Ein sehr bekannter Schauspieler war Götz George auch schon Ende der
       siebziger Jahre. Als Sohn des Nazischauspielgotts Heinrich George und der
       Schauspielerin Berta Drews kam er am 23. Juli 1938 zur Welt und wurde nach
       einer der Paraderollen des Vaters benannt, nach Goethes „Götz von
       Berlichingen mit der eisernen Hand“ – eine mittelalterliche Figur, die den
       Fürsten trotzt. Einer, der den Mächtigen Verachtung und Eigensinn
       entgegenbringen kann: Leck mich am Arsch.
       
       Vater Heinrich starb 1946 in einem sowjetischen Speziallager – Sohn Götz
       hatte seine Schuhe zu beerben. Und wurde ein Schauspieler, wie es ihn in
       der deutschen Nachnazigeschichte in dieser Besessenheit – und dieser
       Präsenz! – keinen anderen gab.
       
       Früh spielte er in Filmen mit. Castings waren in seinem jugendlichen Alter
       ganz unnötig, die elterlichen Kontakte machten es naheliegend, dass Götz
       George Rollen angeboten bekam. Und wie er sie nutzte – ob nun in gehobenem
       Schund wie „Ferien mit Piroschka“, oder in seinem ersten Kinofilm „Wenn der
       weiße Flieder wieder blüht“. Dieser junge Mann spielte in einer Intensität,
       die wie ein Verzehr seiner selbst aussah und ihn zu einem Idol machte.
       George, das war der junge Mann, der aus seinen blauen Augen so unschuldig,
       schüchtern und zugleich offensiv gucken konnte.
       
       Eine ganz ungewöhnliche Schönheit, ein Mann, der alle körperliche Wucht
       nicht wie einen Übergriff aussehen ließ, eher wie ein scheues Angebot, sich
       faszinieren zu lassen. Bei ihm schien auf viel Überdruck ein Deckel zu
       sitzen, der ihn vor totaler Entgrenztheit so eben noch zu schützen
       vermochten: Ein Ängstlicher, der in jeder Sekunde vor der Kamera, auf der
       Bühne, auf Pressekonferenzen in gewisser Weise den Coolen gibt, aber nur
       darum ringt, die eigene Angst vor dem Versagen in den Griff zu bekommen.
       
       George war nach seinen ersten Rollen nie weg. Ein Comeback war nie nötig
       für diesen Mann, der mit Else Bongers die gleiche Schauspiellehrerin hatte
       wie Hildegard Knef. Er hat nichts einfach so weggespielt und doch alles
       gespielt. In den Winnetou-Verfilmungen machte er mit, im Krimidreiteiler
       „11 Uhr 20“ war er haudegend dabei, in TV-Serien wie der „Kommissar“ oder
       „Derrick“ war er auch öfter zu sehen – aber seine Paraderolle, die ihn aus
       dem Rang der Prominenz zu einer Berühmtheit zu Lebzeiten brachte, war die
       Figur des Horst Schimanski beim „Tatort“ des WDR.
       
       ## Nix Ärmelschonerästhetik
       
       Ein Ermittler in ziemlich verkruschelter Jacke mit vielen Taschen, eher
       ungekämmtem Haar – und in dieser Rolle ein Idol. Das war ein Typ, der nicht
       grandseigneural wie ein Sherlock Holmes hinterm Schreibtisch sitzt und ein
       Puzzle aus Erkenntnisbröckchen zusammensetzt. Viel eher ein
       Guerillakämpfer, ein Antispießer, ein Kämpfer, einer, der seiner Kraft auch
       in Vernehmungen ausgeliefert war. Schimmi – das war der liebste Guerillero
       der Deutschen, freilich ohne cheguevaraesken Dschungelappeal.
       
       So wollte man sein als deutscher Mann, wenigstens ein bisschen: Nix
       Ärmelschonerästhetik am Schreibtisch, eher der Held, der seine Fälle
       draußen an der frischen Luft löst (und das immer mit Frauen, die er begehrt
       und bei denen er doch nicht bleiben kann oder will). Götz George, das war
       das Antibild zum Baumarktschrebergärtner, der Kumpel, allerdings einer, der
       auf Distanz setzt. Seine Urlandschaft – und das Publikum liebte es mit
       Schauer – war Duisburg, die Ruhrpottstadt ohne Schick und Charme, rau und
       schwitzend.
       
       Knapp vier Jahrzehnte ist das her: Niemand konnte ahnen, dass ein solcher
       Kommissar, ein unparfümierter James Bond in Elendsquartieren, Pop werden
       würde. Götz George spielte diese Rolle bis ins höhere Alter dauerhaft:
       Schimanski und George – das war Quote mit Garantiesiegel.
       
       George, der es zeitlebens hasste, von Medien privat besichtigt zu werden
       und ein unbeleuchtetes Leben zwischen Sardinien und St. Georg (Hamburger
       Stadtteil an Außenalster und Hauptbahnhof) führte, war einer der
       Lieblingsschauspieler Helmut Dietls. Spielte in „Schtonk“, „Rossini – oder
       die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ und zuletzt im gescheiterten
       Film „Zettl“.
       
       ## Auseinandersetzung mit der Nazizeit
       
       Freilich war Götz George mit dem Älterwerden mehr und mehr an der
       Auseinandersetzung mit seiner familiären und damit politischen
       Vergangenheit interessiert, an Stoffen aus der Nazizeit Deutschlands. Für
       die Rolle in „Der Totmacher“ (Regie: Romuald Karmakar, 1995) gab er den
       Serienmörder Fritz Haarmann – im Dialog mit seinem Psychiater. George bekam
       für diese Rolle den Darstellerpreis der Filmfestspiele von Venedig.
       Kunstkino, wenn man so will, das sich auch an der Kinokasse erlöste – und
       kein Vergleich mit den populärer angelegten, äktschnorientierten Rollen.
       
       Nebenbei: Götz George hat als Schauspieler vieles gemacht, das ihn in
       Feuilletons beliebt machte, wozu eben nicht Produktionen wie „Liebe
       versetzt Berge – Alpenglühen 2“ zählten. 2013 spielte er gar seinen eigenen
       Vater, Heinrich George: die stärkste Annäherung an die eigene Gewordenheit,
       für Sohn Götz, der seinen Vater als kleines Kind zuletzt sah und in diesem
       zeitlebens ein unerreichbares Vorbild sah, ganz unvermeidlich, sich diesem
       immer wieder auszusetzen.
       
       In Hamburg ist Götz George am 19. Juni an den Folgen, wie es heißt, einer
       kurzen, schweren Erkrankung im Kreis seiner Familie gestorben. Dass die
       Öffentlichkeit dies erst eine knappe Woche später erfuhr, spricht für
       Georges Fähigkeit, sich abschotten zu können. Man wird Schimanski-Folgen zu
       seinem Gedenken ausstrahlen und andere Filme auch. Sie lohnten schon zu
       seinen Lebzeiten.
       
       27 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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