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       # taz.de -- Klimaschutz kontrovers: Gegenwind für neuen Kurs
       
       > Besonders großer Sprung nach vorn oder bloß „Wischi-Waschi“?
       > Schleswig-Holsteins heranreifendes Klimaschutz-Gesetz hat nicht nur
       > Freunde.
       
   IMG Bild: Gute Aussicht für den Kieler Umweltminister: Eine Solaranlage und Windräder im schleswig-holsteinischen Büttel
       
       Kiel taz | Treibhausgase runter, Windstrom rauf: Schleswig-Holstein will
       Zeitpläne und messbare Ziele für den Klimaschutz festschreiben. Am Mittwoch
       beschloss das Kabinett einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Geht es nach
       Umwelt- und Energiewendeminister Robert Habeck (Grüne), soll das Gesetz
       noch in diesem Jahr in Kraft treten. Schleswig-Holstein ist nur das neunte
       Bundesland mit einem eigenen Klimagesetz – dafür will man aber besonders
       weit springen: „Wir sind zehn Jahre vor der deutschen Energiewende“, sagte
       Habeck in Kiel.
       
       Kritik erntet die Landesregierung nicht nur von der Opposition, die das
       Gesetz für „überflüssig und zu weitgehend hält, sondern auch von
       Naturschützern: „Das ist wischi-waschi, nur kleine Brötchen statt dem
       großen Wurf, den wir erwartet und erhofft hatten“, sagt Tobias Langguth,
       Klimaexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in
       Schleswig-Holstein. Unter anderem fehlten wichtige Bereiche wie Mobilität
       oder ein zügiger Ausstieg aus der Kohleverbrennung. Zudem seien die Ziele,
       die im November beim jüngsten Klimagipfel in Paris vereinbart wurden, nicht
       eingeflossen.
       
       Habeck sieht das anders. Er verwies in der Pressekonferenz sogar
       ausdrücklich auf das Abkommen von Paris: „Das ist für Schleswig-Holstein
       ein Handlungsauftrag, der mit Leben gefüllt werden muss und kein Abwarten
       duldet.“
       
       Auf zwei Arten will die Kieler Regierung zum Klimaschutz beitragen: Durch
       Grenzwerte, die das Land insgesamt einhalten soll, und durch ein gutes
       Vorbild in den eigenen Liegenschaften. Allerdings weicht die Koalition aus
       SPD, Grünen und SSW in einem Punkt von den eigenen Zielen ab: Der Ausbau
       der Windenergie verlangsamt sich.
       
       Bisher war davon die Rede, dass Schleswig-Holstein bis 2025 dreimal mehr
       sauberen Strom herstellt, als es selbst verbrauchen kann – die
       100-Prozent-Marke hat das Land längst überschritten. Bei der jetzigen
       Vorstellung des Gesetzes war von 37 Terawattstunden für das Jahr 2025 die
       Rede, das ist im Vergleich zur heutigen Produktion von rund 18
       Terawattstunden im Jahr nur eine gute Verdoppelung; bis 2030 sollen es 44
       Terawattstunden pro Jahr sein. Als Grund nennt das Ministerium eine
       geänderte Lage: So müssen die für Windkraft geeigneten Flächen nach einem
       Gereichtsurteil neu definiert werden; auch stoppt das
       Erneuerbare-Energien-Gesetz den Ausbau, und Stromtrassen in den Süden
       fehlen weiterhin.
       
       Vorgesehen ist im Gesetzentwurf, dass die Kommunen den Energieverbrauch
       sowohl der eigenen Gebäude wie auch großer Industrieanlagen messen und
       diese Daten an das Land übermitteln. Dass dazu aber keine Verpflichtung
       besteht, kritisiert Naturschützer Langgut: „Verboten war das den Gemeinden
       bisher auch nicht.“ Regelmäßig soll der Landtag über die Umsetzung der
       Klimaschutzpläne unterrichtet werden. Ein unabhängiger Beirat – dessen
       Mitglieder allerdings das Ministerium beruft – soll die Prozesse fachlich
       und kritisch begleiten.
       
       Während die Regierungsfraktionen den Entwurf loben, lässt die Opposition
       kein gutes Haar daran. „Kein großer Wurf, sondern reine Symbolpolitik,
       gepaart mit zusätzlicher Bürokratie“, so Oliver Kumbartzky (FDP). Wie er
       nennt auch Christian Magnussen, energiepolitischer Sprecher der
       CDU-Fraktion, die Gebäude im Landesbesitz als Schwachstelle: In
       historischen Schlössern und Scheunen sei CO2-Neutralität kaum hinzukriegen
       – „will Habeck die komplett abreißen lassen?“, so Magnussen.
       
       Tobias Langguth vom BUND sieht in dem Gesetz eher den Willen am Werk,
       möglichst wenig Geld auszugeben – und findet das falsch: „Wir steuern auf
       eine Katastrophe zu. Es ist anstrengend, sie abzuwenden, und es werden
       einige Gruppen mehr betroffen sein als andere.“ Dies müsse die Politik
       deutlich machen – „nicht nur in den klassischen Sonntagsreden“.
       
       6 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Windkraft
   DIR Energiewende
   DIR Lesestück Interview
       
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