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       # taz.de -- Vermögen und Erbe: Unfassbarer Reichtum
       
       > Die Grünen streiten sich mal wieder über Steuerpolitik. Aber stoppen ihre
       > Pläne das Auseinanderdriften von Arm und Reich? Eine Analyse.
       
   IMG Bild: Ein Penthouse in dem Wohnhaus „Living Levels“ in Berlin kostet 12,9 Millionen Euro
       
       Berlin taz | Bei der wichtigsten steuerpolitischen Frage sind die
       Grünen uneins: Sollen sie 2017 mit der Forderung nach einer
       Vermögensteuer in den Wahlkampf ziehen? Oder sollen sie lieber auf
       eine faire Erbschaftsteuer setzen?
       
       Allein dass die Grünen diese beiden Steuern alternativ verhandeln,
       ist ein Kompromiss. Denn die Wünsche liegen weit auseinander.
       Manche Grüne wollen den Staatshaushalt stärken, andere die
       Wirtschaft. Manche wollen eine Umverteilung von Reich zu Arm,
       andere nicht. Auch die Frage, was sich in einer Regierung ab 2017, etwa
       mit der Union, überhaupt durchsetzen ließe, ist umstritten.
       
       Während viele Realos unbedingt einen Steuerwahlkampf wie 2013 verhindern
       wollen, möchten linke Grüne zumindest etwas von den Umverteilungsplänen
       retten. Grünen-Chefin Simone Peter, der Fraktionsvorsitzende Anton
       Hofreiter und andere Vertreter des linken Flügels wünschen sich die
       Vermögensteuer. Sie verweisen auf eine Modellrechnung des
       Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Das DIW taxiert die
       Einnahmen für den Staat auf 10 bis 20 Milliarden Euro im Jahr, je nach
       Ausgestaltung.
       
       Zum Vergleich: Der Bund rechnet 2016 mit Steuereinnahmen von 288
       Milliarden Euro, knapp die Hälfte davon spielen Umsatzsteuer und
       Lohnsteuer ein. Das Bruttoinlandsprodukt – also der Wert aller in
       Deutschland hergestellten Waren und Dienstleistungen – lag 2015 bei drei
       Billionen Euro.
       
       ## Grünen-Wähler verdienen gut
       
       Eine Vermögensteuer mit Einnahmen von 10 Milliarden Euro wäre
       angesichts dessen keine brutale Zwangsmaßnahme des Staates, wie es
       konservative Medien oder Wirtschaftsverbände suggerieren. Es ginge eher um
       einen kleinen, aber relevanten Beitrag zu den Staatseinnahmen. Für das
       Elterngeld gibt der Bund 2016 zum Beispiel 6 Milliarden Euro aus,
       eine solche Summe würde die Steuer locker einspielen.
       
       Ein Vorteil ist, dass die Vermögenssteuer nur sehr reiche Menschen treffen
       würde. Die Vermögensteuer sei „ein effektives Instrument (…), um
       Haushalte mit hohen und sehr hohen Vermögen stärker zu besteuern“,
       schrieb der DIW-Forscher Stefan Bach in einer Modellrechnung im
       Januar. Dies ist wichtig für die Grünen. Ihre WählerInnen sind
       überdurchschnittlich gut gebildet und verdienen entsprechend – sie
       sollen außen vor bleiben.
       
       Allein der Name „Vermögensteuer“ klinge nach Reichtum,
       argumentieren Spitzengrüne, die die Steuer wollen. So sei für alle
       verständlich, dass die Mittelschicht außen vor bleibe. Auch linke Grüne
       sehen inzwischen ein, dass im Wahlkampf 2013 der fatale Eindruck entstand,
       die Grünen ließen mit einem Sammelsurium von Steuererhöhungen ihre eigenen
       WählerInnen bluten.
       
       Doch wen beträfe diese Steuer überhaupt? Das Vermögen ist in Deutschland
       in den Händen weniger konzentriert. Das reichste Prozent der
       Bevölkerung besitzt 32 Prozent des gesamten Vermögens, die
       reichsten 0,1 Prozent besitzen 16 Prozent – die Masse der Deutschen
       besitzt dagegen nichts. Eine Vermögensteuer soll dem entgegenwirken,
       argumentieren ihre Fans.
       
       ## Die Steuer gab es unter Helmut Kohl
       
       Das DIW plant für die Vermögensteuer hohe Freibeträge von
       mindestens einer Million Euro, je nach Szenario würden überhaupt
       nur 150.000 bis 435.000 Steuerpflichtige in Deutschland belastet.
       Das sind vor allem Unternehmensbesitzer, die meist durch ein Erbe,
       also leistungsloses Einkommen, reich geworden sind. Die DIW-Forscher
       rechnen verschiedene Steuersätze durch, etwa einen von einem
       Prozent jenseits der Freibeträge.
       
       Durch eine solche Steuer würde der Vermögenszuwachs von mehrfachen
       Millionären vermutlich nicht gestoppt, sondern nur etwas
       verlangsamt. Schließlich liegen die Renditen, die sich über
       Immobilien, Aktien oder Firmenbeteiligungen erzielen lassen,
       weitaus höher als die Belastung. Eine Vermögensteuer existierte in
       Deutschland bis Ende 1996. Danach lief sie aus, weil das
       Verfassungsgericht Kritik geäußert hatte und die damalige
       Regierung unter Helmut Kohl gar nicht erst versuchte, sie zu
       reformieren.
       
       Wichtige Unternehmensverbände wie der DIHK hassen die
       Vermögensteuer. In Deutschland sind viele Großkonzerne im Besitz
       einzelner, sehr reicher Familien, die die Öffentlichkeit scheuen.
       Eine Vermögensteuer zwänge sie, ihre Besitztümer gegenüber
       Finanzbeamten offenzulegen. Offiziell argumentieren die
       Verbände anders. Im Wahlkampf 2013, als SPD, Grüne und Linke für eine
       Vermögensbesteuerung warben, sagte der DIHK voraus, dadurch gingen
       450.000 Arbeitsplätze verloren.
       
       Für solche Schreckensszenarien fehlte jeder Beweis, aber sie
       wurden von Medien dankbar aufgegriffen. Wichtige Lobbys können
       einen Wahlkampf relevant beeinflussen, 2013 machten der DIHK und
       andere Verbände in einer Kampagne Stimmung gegen die rot-grünen
       Steuerpläne. Dies ist ein Grund, warum viele Grüne die Vermögensteuer
       für nicht durchsetzbar halten. Die Union lehnt sie ebenfalls strikt ab,
       und Schwarz-Grün ist für die Ökopartei 2017 eine realistische
       Machtoption.
       
       Flat-Tax für Erben 
       
       Deshalb plädieren grüne Wirtschaftspolitiker und viele Realos
       dafür, sich lieber auf die Erbschaftsteuer zu konzentrieren. Jene
       ist in der Praxis eingeführt und bekannt. Auch hier sind superreiche
       Erben die interessante Zielgruppe. Sie zahlen im Moment faktisch
       keine Steuer, weil der Staat sie befreit. Anders ist das bei
       Privaterben, die mehrere Immobilien übertragen bekommen – sie
       müssen Erbschaftsteuer zahlen.
       
       Im Dezember 2014 kritisierte Karlsruhe diese Ungleichbehandlung –
       und mahnte eine Reform an. Ein Gesetz der Bundesregierung hängt im
       Moment im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und -tag. Mehrere
       rot-grüne Länder hatten gegen das Gesetz protestiert, weil es die
       Privilegien Superreicher nicht antastet. Besonders die CSU hatte
       zuvor auf weitgehende Ausnahmen gedrängt.
       
       „Sehr hohe Vermögen werden durch ausgedehnte Vergünstigungen am
       Ende niedriger besteuert als die Mittelschicht“, kritisiert Lisa
       Paus, die Steuerexpertin der Grünen-Fraktion. Die Partei
       sympathisiert mit einem „Flat-Tax-Modell“: gleiche Steuern für
       Betriebs- und Privaterben.
       
       Die Freibeträge blieben unverändert, sie liegen im Moment bei
       500.000 Euro für Ehepartner und bei 400.000 Euro für Kinder. Wenn ein
       Vater ein normales Einfamilienhaus an seine Tochter vererbt, zahlt
       sie deshalb keinen Cent Erbschaftsteuer. Die Grünen wollen jenseits
       dieser Freibeträge einheitliche Steuersätze von 15 Prozent,
       viele Vergünstigungen würden ersatzlos gestrichen.
       
       Dieses Modell würde das Erbschaftsteuerrecht radikal
       vereinfachen und dem Staat etwas mehr Einnahmen bringen. Das DIW
       kalkulierte bei Steuersätzen von 10 Prozent einen jährlichen
       Ertrag von knapp 6 Milliarden Euro. Das wäre ein bisschen mehr als der
       Status quo: Im Moment nimmt der Staat rund 5 Milliarden Euro pro Jahr
       ein.
       
       Durch einen Flat-Tax-Steuersatz von 15 Prozent stiegen die Einnahmen
       wohl auf rund 9 Milliarden im Jahr. Je nach Steuersatz wäre die
       Verteilungswirkung der Erbschaftsteuer also nochmal deutlich geringer als
       die der Vermögensteuer. Die Flat-Tax-Steuer würde das Auseinanderdriften
       von Arm und Reich in Deutschland ebenfalls nicht verhindern, sondern nur
       ein wenig verlangsamen.
       
       Alle Rechnungen über die Wirkung der Steuern sind allerdings vage
       Prognosen, weil keiner weiß, wie hoch die Vermögen Superreicher in
       Deutschland wirklich sind. Auch wäre so gut wie sicher, dass Superreiche
       auf ein neues Steuerrecht reagieren und ihre Vermögen umschichten würden,
       um möglichst wenig an den Staat zu zahlen.
       
       13 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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