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       # taz.de -- EU-Gipfel in Brüssel: Auch Europa vertagt den Brexit
       
       > Die EU will mit Austrittsverhandlungen warten. Neue Visionen für Europa
       > schiebt sie ebenfalls auf. Vor allem die deutsche Kanzlerin bremst.
       
   IMG Bild: Suchbild: Was passt nicht?
       
       Berlin/Brüssel taz | Die Briten haben sich für den Brexit entschieden, doch
       die EU hat es nicht eilig mit der Scheidung. Beim EU-Gipfel am Dienstag in
       Brüssel war keine Entscheidung über den Beginn der Austrittsverhandlungen
       geplant. Auch die Sinnfrage nach der Zukunft der Union – mehr oder weniger
       Europa? – wurde vertagt.
       
       Auf der Bremse stand vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Keiner
       dürfe den britischen Noch-Premier David Cameron zum Brexit drängen, sagte
       sie in ihrer Regierungserklärung in Berlin. „Es kann und sollte niemand in
       Zweifel ziehen, dass es sich hierbei um eine innerbritische Entscheidung
       handelt.“
       
       Damit setzte sich Merkel über Forderungen der EU-Präsidenten in Brüssel,
       aber auch der Sozialdemokraten in Berlin hinweg. „Europa ist bereit, den
       Scheidungsprozess heute zu beginnen“, sagte Ratspräsident Donald Tusk. Die
       Verhandlungen müssten so schnell wie möglich beginnen, betonte
       Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
       
       Das Europaparlament ging noch weiter und forderte, Cameron müsse beim
       EU-Gipfel eine Mitteilung über den Ausgang des Referendums machen. „Durch
       diese Mitteilung wird das Austrittsverfahren eingeleitet“, heißt es in
       einer gemeinsamen Entschließung der Europaabgeordneten. „Wir sollten nicht
       zu lange warten, die Lage ist gefährlich“, erklärte Parlamentspräsident
       Martin Schulz.
       
       ## „Ein ganzer Kontinent in Geiselhaft“
       
       „Wir werden nicht zulassen, dass die britischen Tories einen ganzen
       Kontinent in Geiselhaft nehmen“, betonte Jo Leinen, SPD-Verfassungsexperte
       im Europäischen Parlament. Ähnlich klang es bei Thomas Oppermann, dem
       SPD-Fraktionschef im Bundestag: „Drängen Sie im Europäischen Rat darauf,
       dass möglichst schnell Klarheit geschaffen wird“, forderte er Merkel auf.
       
       Doch die Kanzlerin und einige andere, vor allem osteuropäische Staats- und
       Regierungschefs haben es nicht eilig. Man halte gar nichts davon, Cameron
       mit Sanktionsdrohungen oder anderen Druckmitteln zur Eile zu drängen, hieß
       es vor Beginn des Gipfels in Brüssel.
       
       Ein britisches „Rosinenpicken“ könne es aber auch nicht geben, sagte
       Merkel. Die Verhandlungen über den künftigen Status Großbritanniens könnten
       erst beginnen, wenn die britische Regierung offiziell ihren Austrittsantrag
       gestellt hat. Wann das geschehen soll, sagte sie nicht.
       
       Bis zum Herbst könne man aber durchaus noch warten, sagten EU-Diplomaten.
       Bis dahin will Cameron noch Premierminister bleiben und seine Nachfolge
       regeln. „Der September könnte der Augenblick sein, den Artikel 50
       auszulösen“, sagte Parlamentschef Schulz.
       
       ## Debatte um Neustart der EU verschoben
       
       Auch die Debatte über einen möglichen Neustart der EU wurde vertagt.
       Gipfelchef Tusk sagte zwar, es müsse nun einen Prozess „tieferer Reflexion“
       über die Zukunft Europas mit nur noch 27 Staaten geben. Allerdings hat man
       es auch damit nicht eilig.
       
       Er werde vorschlagen, dass sich die Staats- und Regierungschefs dazu im
       September zu einem informellen Sondergipfel treffen, so Tusk, „weil wir ein
       einige Wochen für die Vorbereitung brauchen“.
       
       Hinter der Verzögerungstaktik steht ein offener Richtungsstreit zwischen
       Konservativen und Sozialdemokraten. Während die Konservativen davor warnen,
       jetzt die EU-Integration voranzutreiben und mehr Europa zu wagen, fordern
       die Sozialdemokraten ein Umdenken – und ein Umsteuern in der Wirtschafts-
       und Finanzpolitik.
       
       SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz
       hatten schon am Morgen nach dem Brexit-Referendum einen „wirtschaftlichen
       Aufschwung in Europa“ gefordert. Merkel dagegen bremst. Sie sagte nun mit
       Blick auf einen Kurswechsel in Brüssel: „Es kommt entscheidend darauf an,
       dass sich die 27 Mitgliedstaaten fähig erweisen, auf der Grundlage einer
       besonnenen Analyse gemeinsam die richtigen Entscheidungen zu treffen.“
       
       Deutlichere Kritik an den Plänen der Sozialdemokraten kam im Bundestag von
       CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Sie sagte, Arbeitsmarktprobleme
       in Südeuropa lägen in nationaler Verantwortung und könnten „auch durch noch
       so viel Geld“ nicht gelöst werden. Stattdessen müssten die Krisenstaaten
       „ihre Hausaufgaben machen“ und weitere Strukturreformen durchziehen.
       
       28 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
   DIR Tobias Schulze
       
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