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       # taz.de -- Russland, Türkei und die EU: Zweimal Dialog, einmal Sanktionen
       
       > Die Türkei und die EU öffnen ein neues Beitritts-Kapitel. Moskau
       > verlängert das Einfuhrverbot für EU-Lebensmittel – nimmt dafür aber den
       > Dialog mit Ankara wieder auf.
       
   IMG Bild: Sie reden wieder miteinander
       
       Brüssel/Moskau afp | Die EU weitet am Donnerstag die umstrittenen
       Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nochmals aus. Bei einem Treffen mit
       türkischen Regierungsvertretern in Brüssel wird das Verhandlungskapitel 33
       zu Haushaltsfragen eröffnet. Die Eröffnung bis Ende Juni hatten die
       EU-Staats- und Regierungschefs Ankara im März im Gegenzug für die Rücknahme
       von Flüchtlingen aus Griechenland versprochen.
       
       Insgesamt wurden bisher 15 von 35 Verhandlungskapiteln mit der Türkei
       eröffnet. Nach der Vereinbarung eines gemeinsamen Aktionsplans zur
       Flüchtlingskrise hatte die EU bereits im Dezember erstmals seit zwei Jahren
       die Gespräche wieder auf einen neuen Bereich ausgeweitet. Es handelte sich
       um das Kapitel 17 zur Wirtschafts- und Währungspolitik.
       
       Zudem wird die Türkei ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen
       zu Russland neu beleben. Nach einem Telefonat mit seinem türkischen
       Kollegen Recep Tayyip Erdogan kündigte der russische Präsident Wladimir
       Putin am Mittwoch die Aufhebung der Sanktionen gegen die Türkei an.
       Zugleich verlängerte Putin die Strafmaßnahmen gegen den Westen wegen der
       Ukraine-Krise bis Ende 2017.
       
       Das russisch-türkische Verhältnis war Ende November in eine Krise geraten.
       Die türkische Luftwaffe hatte damals an der Grenze zu Syrien einen
       russischen Kampfbomber abgeschossen, der angeblich den türkischen Luftraum
       verletzt hatte. Der Pilot des Flugzeugs wurde dabei getötet.
       
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       Putin bezeichnete den Vorfall als „Stich in den Rücken“ und forderte von
       Erdogan eine Entschuldigung. Seine Regierung verhängte Sanktionen gegen die
       türkische Lebensmittelindustrie und ein Verbot für den Verkauf von
       Pauschalreisen und Charterflügen in die Türkei, was die dortige
       Tourismusbranche hart traf.
       
       Diese Strafmaßnahmen will Putin nun beenden, wie er bei einer im Fernsehen
       übertragenen Regierungssitzung sagte. Russlands allgemeine Wirtschaft- und
       Handelsbeziehungen zur Türkei würden normalisiert.
       
       Laut Vize-Regierungschef Arkadi Dworkowitsch wird Putins Anweisung in den
       „nächsten Tagen“ umgesetzt. Nach Einschätzung aus Regierungskreisen könnten
       nun auch die Verhandlungen über die Gas-Pipeline TurkStream aus Russland in
       die Türkei und südeuropäische Länder wieder aufgenommen werden.
       
       Vor der Ankündigung hatten Putin und Erdogan miteinander telefoniert. Dabei
       hätten sie „die Bedeutung der Normalisierung der bilateralen Beziehungen
       betont“, erklärte die türkische Präsidentschaft. Aus Regierungskreisen in
       Ankara hieß es, Putin und Erdogan planten ein persönliches Treffen am Rande
       des G20-Gipfels in China Anfang September.
       
       Das Telefonat erfolgte zwei Tage, nachdem Erdogan einen Brief an Putin
       geschrieben hatte, der nach Moskauer Angaben eine Entschuldigung für den
       Abschuss des russischen Kampfjets am 24. November enthielt.
       
       ## Sanktionen bis Ende 2017
       
       Das Versöhnungsangebot kam dem seit langem in einer Rezession steckenden
       Russland anscheinend gelegen, da eine baldige Normalisierung seiner
       Beziehungen zur EU derzeit nicht in Sicht ist. In einem am Mittwoch
       veröffentlichten Dekret verlängerte Putin das Einfuhrverbot für
       Lebensmittel aus den EU-Ländern, den USA und anderen westlichen Staaten. Es
       gilt nun bis zum 31. Dezember 2017 für landwirtschaftliche Erzeugnisse wie
       Milchprodukte, Fleisch und fast alle anderen Lebensmittel.
       
       Russland hatte das Embargo erstmals im August 2014 verhängt. Im Mai
       erklärte die russische Regierung, sie plane, die Strafmaßnahmen bis 2018 zu
       verlängern. Das russische Einfuhrverbot ist die Reaktion auf die erstmals
       Mitte 2014 im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt verhängten
       EU-Sanktionen. Der Westen wirft Moskau vor, die prorussischen Rebellen im
       Osten der Ukraine zu unterstützen.
       
       Die EU hatte ihre Wirtschaftssanktionen gegen Russland vor gut einer Woche
       bis Januar 2017 verlängert. Sie richten sich unter anderem gegen
       Staatsbanken, den Im- und Export von Rüstungsgütern sowie die wichtige
       russische Öl- und Gasindustrie. Für beide Seiten bedeuten die gegenseitigen
       Sanktionen Verluste in Milliardenhöhe.
       
       Eine Aufhebung ihrer Sanktionen machen die Europäer von der vollständigen
       Umsetzung des Minsker Abkommens für einen Frieden in der Ukraine abhängig.
       Dort gab es zuletzt keine wesentlichen Fortschritte mehr, die
       Sicherheitslage im Osten des Landes gilt als fragil.
       
       30 Jun 2016
       
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