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       # taz.de -- EMtaz: Der neue DFB-Präsident: Staatstragend im Kuhstall
       
       > Reinhard Grindel steht seit wenigen Wochen an der Spitze des DFB. Der
       > CDU-Politiker sieht sich in der Rolle eines Fußballbundespräsidenten.
       
   IMG Bild: Hält sich parteipolitisch zurück: Reinhard Grindel (r.)
       
       Paris taz | Reinhard Grindel bringt sich in Positur. Die Fußspitzen kehrt
       er ein wenig weiter nach außen. Die Hände berühren sich leicht vor dem
       fülligen Bauch. Die Augen nehmen mit ernstem Ausdruck den Gesprächspartner
       ins Visier. Kamera an. Es kann wieder losgehen.
       
       An diesem Tag im Goethe-Institut von Paris ist der Mitte April neu gewählte
       DFB-Präsident ein begehrter Gesprächspartner. So wie überhaupt in diesen
       Wochen in Frankreich. Der Delegationsleiter des deutschen Nationalteams
       arbeitet mit einer beachtlichen Ausdauer und einem unerschütterlichen
       Gleichmut ein Interview nach dem anderen ab.
       
       Ende April hat er noch ein letztes Mal als CDU-Abgeordneter im Bundestag zu
       einem Gesetzesentwurf zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in
       einem psychiatrischen Krankenhaus gesprochen. Jetzt geht es um die Frage,
       wie die deutsche Nationalelf den Ball besser nach vorn spielen kann. Der
       über 1,90 Meter große Grindel, ein Mann von mächtiger Statur, erklärt: „Es
       kommt darauf an, dass wir im Bereich der Offensive das ein oder andere im
       Training noch entwickeln.“
       
       Mit der Wahl an die DFB-Spitze ist plötzlich seine Fußballexpertise
       gefragt. Die Gefahr, sich hierbei die Zunge zu verbrennen, ist nicht
       gering. Aber der Politikprofi weiß, wie man etwas sagt, ohne etwas gesagt
       zu haben. „Ich gehe davon aus“, betont er, „dass wir uns sehr konzentriert
       vorbereiten werden.“ Einer seiner typischen Schablonensätze, die vor jedem
       Länderspiel wieder zur Anwendung kommen können.
       
       ## Grindel ist Politiker geblieben
       
       Sein Vorgänger, Wolfgang Niersbach, der über die DFB-Affäre um die Vergabe
       der WM 2006 nach Deutschland stolperte, formulierte wesentlich salopper.
       Bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien sagte er etwa anlässlich des
       100. Länderspiels von Per Mertesacker: „Langer, du bist ein Großer.“ Und
       über die erstmals mit Spraydosen ausgerüsteten Schiedsrichter erklärte er
       launig, sie würden sich schon keinen Hexenschuss zuziehen, wenn sie sich
       mal bücken müssten.
       
       Niersbach hatte sich aus den inneren Zirkeln der DFB-Nationalmannschaft
       emporgearbeitet und war mit dem Kabinenslang vertraut. Vom handzahmen
       Berichterstatter war er einst zum Pressesprecher der Nationalelf befördert
       worden, von dort aus war es dann nur noch ein Katzensprung bis nach ganz
       oben.
       
       Grindel dagegen steht für ein anderes Karrieremodell. Er übt den Posten wie
       ein hohes Staatsamt aus. Er ist Politiker geblieben. Die Bedeutung des
       Fußballs kann man aus seiner Sicht kaum groß genug veranschlagen. Von einer
       Blase, die jederzeit platzen könnte, will er nichts wissen. Im Pariser
       Goethe-Institut erklärte er dazu: „Das Spiel gegen Polen haben in
       Deutschland 27 Millionen Menschen gesehen. Das gibt es nur im Fußball. Und
       dann muss man sich auch der Verantwortung stellen, die sich daraus ergibt.“
       
       ## Repräsentieren statt politisieren
       
       Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalelf, hat einmal gesagt: „Die
       Nationalelf ist quasi die vierte Macht im Staat.“ Mit Grindel hat der
       Verband nun einen Repräsentanten gefunden, der dieses Selbstverständnis mit
       größter Konsequenz nach außen trägt. Vor seiner Wahl an die DFB-Spitze
       wurde ein (mittlerweile gelöschtes) Video von Grindel zum Internethit, in
       dem der ehemalige TV-Moderator seine Wahlkreisarbeit als
       Bundestagsabgeordneter ins Bild setzte: Sie bestand aus Händeschütteln in
       der Kita, im Kuhstall, im Krankenhaus, in der Kaserne und an vielen anderen
       Orten mehr. Es ging um Plakatives, nicht um Inhaltliches. Er präsentierte –
       und politisierte nicht.
       
       Es war ein vielsagendes Selbstporträt. Grindels Auftreten hatte selbst im
       Kuhstall etwas sehr Staatstragendes. Das lässt den 54-Jährigen älter
       erscheinen, als er ist. Der Wechsel vom Deutschen Bundestag zum Deutschen
       Fußball-Bund ist auch dieser Vorliebe fürs Präsentieren geschuldet. Auf dem
       parteipolitischen Parkett waren seine Karrieremöglichkeiten zu sehr auf die
       Rolle des Rechtsaußen und CDU-Hardliners verengt. Die Versuche, dieses
       Stigma abzuschütteln, waren zum Scheitern verurteilt. Sie stärkten eher die
       Vorbehalte. Man lerne als Politiker dazu, erklärte er einst und führte
       folgenden Beweis an: „Zum Beispiel bin ich heute für das Bleiberecht von
       Kindern geduldeter Eltern. Das war ich anfangs nicht.“
       
       Nach einer Bundestagsrede von Grindel 2013 zur Staatsbürgerschaft ging beim
       DFB ein offener Brief ein, den unter anderem die Grünen-Abgeordneten Ekin
       Deligöz und Özcan Mutlu unterzeichnet hatten, indem dem damaligen
       DFB-Schatzmeister eine Haltung vorgeworfen wird, die „rassistische
       Elemente“ aufweise. Die Antwort des Fußballverbandes sorgte für Aufregung.
       Man habe mit Grindel vereinbart, hieß es, dass er künftig „parteipolitisch
       umstrittene Themenfelder“ nicht in den Mittelpunkt seiner Arbeit stelle.
       
       Auch wenn Grindel eine solche mit dem Grundgesetz unvereinbare Absprache
       dementierte, so fiel doch auf, dass er sich zurückhielt, sich mehr seiner
       Arbeit im Sportausschuss des Bundestags widmete. Dies verhalf ihm aus der
       politischen Sackgasse und ebnete seinen Weg an die DFB-Spitze. Er
       schüttelte wieder viele Hände.
       
       ## „Monsieur Le President“
       
       Das hat er dieser Tage auch in Hennef auf der Versammlung des
       Fußballverbands Mittelrhein gemacht. Dafür hatte er seinen
       Frankreichaufenthalt unterbrochen. „Es ist wichtig“, erklärte er, „dass man
       sich nicht nur im Olymp in der Verbandszentrale, sondern auch an der Basis
       bewegt.“
       
       Oliver Bierhoff und seine Mitstreiter haben ihren gesellschaftlichen
       Machtanspruch immer losgelöst von der Basis betrachtet. Mit entsprechendem
       Argwohn hat man deshalb die Nominierung von Grindel begleitet, der ohne
       Absprache mit den Vertretern des Profifußballs von den Amateurvertretern
       des Verbands ins Rennen geschickt wurde.
       
       Aber der begabte Netzwerker Grindel vermochte auch diese Wogen zu glätten.
       In Frankreich wird er derzeit häufig mit „Monsieur Le President“
       angesprochen. Und seine Reden kreisen nun viel um das Thema Integration und
       die Flüchtlingsarbeit in den Vereinen. „Der Integrationserfolg ist
       alternativlos für die Vereine“, erklärt er etwa. Oder: „Das Ehrenamt ist
       unbezahlbar. Es ist die Basis für die Integrationsarbeit.“ Es sind Sätze,
       wie sie Bundespräsidenten formulieren, die kraftvoll wirken, obgleich sie
       eigentlich Selbstverständliches transportieren. Aber sie entsprechen dem
       Amtsverständnis von Reinhard Grindel, dem neuen Fußballbundespräsidenten
       Deutschlands.
       
       1 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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