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       # taz.de -- EMtaz: Die ARD und das DFB-Team: An „Manuel“ rangewanzt
       
       > Die ARD feiert nach dem Viertelfinale der Deutschen gegen die Italiener
       > wieder eine Rekordquote, aber ist damit alles in Butter? Nein.
       
   IMG Bild: Großkritik an der Taktik von Bundestrainer Joachim Löw: Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl
       
       Jürgen Bergener steht vorm Mannschaftshotel. Oder vorm Mannschaftsbus.
       Jürgen Bergener, dieser kregle Typ, steht auch im Stadioninnern vor einer
       Werbetafel und interviewt Mitglieder „der Mannschaft aus Stahl“ (Bergener).
       Er ist nah dran. Er ist dabei. Bergener duzt, na logisch. „Du, Jogi, hey,
       Mats!“
       
       Am Samstagabend hat er in einem Kurzinterview mit Manuel Neuer seine
       gesamte journalistische Restkompetenz in die Tonne getreten. ARD-Mann
       Bergener hat das wahrscheinlich nicht mal gemerkt, weil er so dermaßen in
       der Rolle des Präsentators und harmlosen O-Ton-Herauskitzlers aufgeht – wie
       im Übrigen fast alle seine Sportkollegen vom Fernsehfunk. „Danke auch von
       der gesamten ARD, dass Sie uns ein weiteres tolles Spiel beschert haben“,
       sagte er, um dann Manuel Neuer dies und das zu fragen zum Elfmeterschießen
       und zu dem Sieg über die Italiener.
       
       An wen erinnerte das noch mal? Ach ja, an die DDR-Journalistin Anja Ludewig
       von der „Aktuellen Kamera“, die am 18. Oktober 1989 den neuen
       Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Egon Krenz, mit den Worten
       begrüßte: „Herzlichen Glückwunsch zur Wahl vom Massenmedium Fernsehen. […]
       Wie fühlt man sich am Beginn einer solch wichtigen Etappe?“ Krenz fühlte
       irgendwie die Last der Geschichte auf seinen Schultern ruhen.
       
       ## Eine Frage des Gefühls
       
       Auch Bergener greift gern zur rhetorischen Allzweckwaffe: „Wie fühlen Sie
       sich?“ Fakt ist: Wer als Zuschauer den irrigen Anspruch hat, von den
       Fußballrechteeinkäufern, noch dazu im Taumel eines deutschen Sieges,
       Journalistisches geliefert zu bekommen, der fühlt sich nicht gut. Er sollte
       sich aber auch nichts vormachen: Wer wie die ARD und das ZDF ein Produkt
       sehr teuer ersteht, an Zuschauer und Werbekunden weiterverscherbelt, der
       wird dieses Produkt nicht schlechtreden. Der geht nicht auf kritische
       Distanz, sondern kumpelt sich heran an die Leute von der
       Ballbewegungsbranche.
       
       Bergener ist Teil dieses Systems, allerdings gibt er sich im Gegensatz zu
       manchem seiner TV-Kollegen weniger Mühe, die Systemzwänge zu verschleiern.
       Man weiß nicht, was nun fragwürdiger ist: das journalistische So-tun-als-ob
       oder die offene Fraternisierung mit den Spielern und Trainern. Es hat
       beides einen Hautgout. Jeder Zuschauer muss selbst entscheiden, welchen
       Mief er erträglicher findet.
       
       An der Diagnose ändert auch der quasijournalistische Auftritt von Mehmet
       Scholl nach dem Spiel nichts. Der Experte, der vor seinen Wortspenden immer
       recht nervös wirkt, zog vom Leder – ohne Not. Das deutsche Team hatte ja
       mit einer Dreierkette als Verteidigungsformation gegen den Angstgegner
       gewonnen, endlich mal. Die journalistischen Defizite seines Senders
       versuchte er offensichtlich mit einer Großkritik an der Taktik von
       Bundestrainer Joachim Löw zu übertünchen. In sein Visier geriet nicht wie
       weiland der indisponierte Stürmer Gomez („Ich hatte zwischendrin Angst,
       dass er sich wund gelegen hat, dass man ihn wenden muss“), sondern der
       Scout der DFB-Elf, Urs Siegenthaler.
       
       ## 28,32 Millionen vor dem TV
       
       Der Schweizer sollte Schuld an der ungewohnten Aufstellung haben, an einer
       Spielweise, die das Team seiner offensiven Schlagkraft beraubt habe. Scholl
       schimpfte: „Der Herr Siegenthaler möge morgens liegen bleiben und die
       anderen zum Training gehen lassen.“ Man mag sich nicht ausmalen, welche
       Kreise Scholls Polemik gezogen hätte, wären die Deutschen wie in Warschau
       bei der EM 2012 ausgeschieden. Dann hätte Scholl sich an die Spitze eines
       Mobs der Jogi-Basher setzen können. Aber so wirkte Scholls
       Hauruckphilippika deplatziert – wie ein verzweifelter Versuch, im Gespräch
       zu bleiben.
       
       Kritische Anmerkungen dieser Art gehören in der Sportwelt der
       Öffentlich-Rechtlichen eher zum Metier der externen Experten – oder aber in
       den Arbeitsbereich von Außenseitern, die fern des redaktionellen Milieus
       ihre Recherchen vorantreiben. Der ARD wird das alles herzlich egal sein.
       Ein Blick auf die Quote des Abends reicht, um die Kritiker für Deppen und
       sich selbst für Avantgardisten zu halten: 28,32 Millionen Zuschauer
       verfolgten das Spiel am Samstagabend – Rekord in diesem Jahr. Danke, Jürgen
       Bergener, für diese tolle Übertragung!
       
       3 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
       ## TAGS
       
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