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       # taz.de -- EMtaz: Frankreichs Offensivspektakel: Fünf Tore gegen Island – und nun?
       
       > Gegen überforderte Isländer haben die Franzosen ihr Angriffsspiel
       > endgültig gefunden. Was bedeutet das gegen eine defensivstarke deutsche
       > Elf?
       
   IMG Bild: Und jetzt die Deutschen, Olivier!
       
       Paris taz | Fußball beruht auf zwei Typen von Spielen. Das eine ist das
       Spiel, das kommt. Das andere, das Spiel, das bleibt. Insofern ist die
       französische Nationalmannschaft bis Donnerstagabend in der bestmöglichen
       Situation. Das EM-Halbfinale gegen den Weltmeister Deutschland in Marseille
       ist der maximale Kitzel, der kommen kann. Und das Spiel für eine positive
       kollektive Erinnerung haben sie am Sonntag im Saint-Denis geliefert.
       
       Wie konnte es nach mühseligen Arbeitssiegen plötzlich gelingen, die bis
       dahin so starken Isländer mit 5:2 auseinanderzunehmen? Nun, der Trainer hat
       immer einen Matchplan, aber nur manchmal ist er in der Realität umsetzbar.
       Das war mal ein Spiel, in dem Didier Deschamps’ Matchplan besser aufging,
       als er selbst zu hoffen gewagt hatte.
       
       Wenn man das Amateurpsychologische weglässt, dass am Ende alles mental zu
       viel war für die Isländer, bleibt die Erkenntnis, dass Frankreichs
       Entfaltung des Fußballerischen zu viel war für die Isländer.
       
       Deschamps hatte sein Team spielen lassen, wie man gegen das militärisch
       aufgereihte 4-4-2 spielen muss. Druckvoll nach vorn. Sehr körperlich gegen
       den Ball, mit flachen Vertikalbällen und Direktkombinationen durch die
       erste Kette und mit Flugbällen über beide.
       
       ## Deschamps ist ein moderner Teamtrainer
       
       Ein solch simpler Flugball von Matuidi über die Kette führte zu Girouds
       frühem 1:0 (12.), eine kerzengerade Ecke von Griezmann köpfelte Pogba zum
       2:0 ein (19.), nach zwanzig Minuten war für die Isländer alles vorbei. Auch
       die weiteren französischen Treffer – Payet, Griezmann, noch mal Giroud –
       verdanken sich der Entfaltung individuellen und mannschaftlichen
       Potenzials, aber auch schlampiger Defensivarbeit der Isländer. Woraus sich
       für die Deutschen als Erkenntnis ableiten lässt: Die Franzosen können ganz
       schön was reißen – wenn man sie lässt.
       
       Nun kommen die Experten und Zuschauertrainer und sagen Deschamps, dass sie
       es gleich gesagt hätten, dass er mit 4-2-3-1 und Antoine Griezmann zentral
       agieren müsse. Seit er nach einem Rückstand im Achtelfinale gegen Irland
       entsprechend umstellte, flutscht es. Wenn die Frage darauf kommt, sieht
       man, wie Deschamps sich zu einem Lächeln zwingt, es aber nicht ganz
       schafft. „Ich wähle das Team nach der Situation“, sagt er dann. „Und da bin
       ich ja nicht der Einzige. Joachim Löw macht das auch und spielte gegen
       Italien mit einer Dreierdefensive, was sehr gut geklappt hat.“ Er müsse
       noch nachdenken, wie er das Halbfinale angehe.
       
       Deschamps ist ein moderner Teamtrainer, der sicher ist, dass Kollektivgeist
       und mentale Stärke den Unterschied machen und daher in der öffentlichen
       Kommunikation die Spieler stärkt, die hinten dran sind, und jene nicht
       größer macht, die schon als Stars gelten. Aber er ist kein Antonio Conte,
       der sich selbst in die Lücke schiebt. Er will das Spiel in der Hand haben,
       aber braucht den Ball nicht dazu. So hat er Frankreich als Spieler zu WM-
       und EM-Titel geführt. Manchmal sieht es aus, als wäre er beim Dirigieren am
       liebsten unsichtbar.
       
       Die Vorstellung, es gäbe die eine richtige Mannschaft, die man im
       Turnierverlauf nur finden müsse, ist romantisch, aber hoffnungslos
       antiquiert. Und das im Falle Löws von manchen kritisierte „Anpassen“ an den
       Gegner ist eine selbstverständliche Voraussetzung, um Turniere gewinnen zu
       können. Didier Deschamps’ Vorrundenprobleme bestanden darin, eine Variante
       auf den Platz zu bringen, die nicht nur defensiv funktioniert, sondern auch
       Chancen kreiert. Seit der zweiten Halbzeit des Achtelfinales gegen Irland
       hat er eine, die einen Gegner auseinandernehmen kann und in der sich die
       individuellen Qualitäten seiner Angreifer wunderbar ergänzen: Die
       Kopfballstärke von Keilstürmer Olivier Giroud, die Dribbelstärke und
       Schusskraft des smoothen Dimitri Payet und das Gefühl für die richtigen
       Raumbewegungen und das klinische Vollstrecken von Antoine Griezmann, der
       nun mit vier Treffern die EM-Torschützenliste anführt.
       
       ## Schlampige Verteidigung
       
       Der Stürmer von Atlético Madrid sei „ein bisschen müde“ gewesen, sagt
       Deschamps, nach einer fast 70 Pflichtspiele umfassenden Saison. Griezmann
       habe einen „harten Start“ in die EM gehabt, „jetzt ist er fit.“ Sein
       Treffer zum 4:0 war der Höhepunkt des französischen Spiels (und der
       Tiefpunkt des isländischen), als Pogba einen Vertikalflachball aus der
       eigenen Abwehr spielte, den Giroud passieren ließ und der Griezmann
       erlaubte, allein auf Halldorsson zuzulaufen. Im Eins-gegen-eins ist er in
       einer eigenen Klasse, wie auch Manuel Neuer bekannt ist.
       
       Griezmann wird in Marseille spielen, das ist klar. Aber es ist nicht
       ausgemacht, dass man gegen Deutschland ohne einen zentralen Mann vor der
       Abwehr spielt. Gegen die tiefstehenden Isländer und Iren war es ideal, weil
       man damit zwischen den Linien die Manpower und Klasse hatte, um
       durchzukommen – und das avisierte Konterspiel eher früher als später
       unterbinden konnte. Gegen Joachim Löws Kombinationsmaschine und ihrem
       Vertikalpasser Toni Kroos sieht das anders aus.
       
       Man sollte bei allem Respekt vor dem Offensivspektakel im Stade de France
       nicht vergessen, dass die Deutschen erst ein Tor kassiert haben, den
       italienischen Elfmeter nach Boatengs Handgewedel. Frankreich hat schon drei
       Gegentore. Auch Islands Ehrentreffer durch Sigthorsson (56.) und Bjarnason
       (84.) waren schlampiger Verteidigung geschuldet. Gut, die Spannung war
       raus, alle Gelbsperre-gefährdeten Spieler auch, aber trotzdem.
       
       Am Ende der Fehlerkette stand einmal der Neuling Umtiti. Der wird aber
       vermutlich in Marseille nicht spielen, weil der Innenverteidiger Rami nach
       Gelbsperre wieder ran kann und mit Koscielny eingespielt ist. Beim anderen
       Gegentor sah Patrick Evra zu. Der Linksverteidiger ist in diesem Turnier
       bisher noch nicht auf Schwächen getestet worden.
       
       Das sollten die Deutschen tun, es könnte sich für sie lohnen. Im besten
       Fall haben sie dann auch ein Spiel, das bleibt. Und noch ein Spiel, das
       kommt.
       
       5 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
   DIR EMtaz Bericht/Analyse
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