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       # taz.de -- Marily Stroux über ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz: „Ich werde kriminalisiert“
       
       > Die Fotojournalistin, die den Konflikt um die Hafenstraße begleitete, hat
       > ihre Akte eingesehen und wundert sich über die Bewertungen des
       > Geheimdienstes.
       
   IMG Bild: Vertraut Menschen jetzt weniger als vor der Überwachung: Marily Stroux
       
       taz: Frau Stroux, haben Sie je einen Verfassungsschützer ertappt? 
       
       Marily Stroux: Ja, natürlich. Vor allem während der Besetzung der Häuser in
       der Hamburger Hafenstraße in den 80er-Jahren. Ich habe dort zwar nicht
       gewohnt, aber ich gehörte zum UnterstützerInnenkreis. Wenn ich dort war,
       gab es Momente, in denen ich gemerkt habe, dass mir ein Auto folgt oder
       dass jemand unten an der Tür steht.
       
       Wie haben Sie reagiert? 
       
       Ich habe sie wissen lassen, dass ich es gemerkt habe. Meistens mit einem
       dummen Spruch.
       
       Waren das Männer im Trenchcoat? 
       
       Es ist nicht das Äußere, das sie enttarnt hat. Ich finde, dass Menschen die
       so eine Arbeit machen, danach riechen. Du spürst sofort, ob jemand einfach
       vorbeigeht oder ob er herumschnüffelt.
       
       Stand der Verfassungsschutz auch vor Ihrer privaten Haustür oder nur in der
       Hafenstraße? 
       
       Bei mir zu Hause habe ich niemanden bemerkt. Aber manchmal habe ich im
       Rückspiegel gesehen, wenn ich mit dem Auto zu einem Termin gefahren bin,
       dass mir ein Auto gefolgt ist. Das meiste kriegt man aber nicht mit. Die
       haben vielleicht Wanzen hier unter dem Schreibtisch installiert und hören
       alle Gespräche mit, über das Telefon sowieso. Sie brauchen heutzutage nicht
       mehr vor der Tür stehen. Auch wenn das jetzt ein bisschen nach Krimi
       klingt.
       
       Sie glauben, dass Sie heute abgehört werden? 
       
       Ich gehe immer davon aus, dass das sein kann. Vor ein paar Jahren ist hier
       jemand ins Büro eingebrochen. Das schwarze Pulver der Spurensicherung klebt
       noch immer am Archivschrank mit den Negativen. Nachträglich denke ich, es
       könnte auch eine Aktion gewesen sein, um hier Wanzen anzubringen.
       
       Warum sind Sie für den Verfassungsschutz so interessant? 
       
       Das frage ich mich auch. Vielleicht ist es, weil ich viel Kontakt zu
       Menschen aus der Szene habe, die sie interessieren. Wahrscheinlicher aber
       ist, dass ich unbequem bin, weil ich die Sachen, die mir politisch wichtig
       sind, in die Öffentlichkeit bringe. Als Fotojournalistin ist das mein
       Beruf. Das war zum Beispiel bei den Konflikten in der Hafenstraße nicht
       erwünscht. Auf meinen Fotos ist zu sehen, wie Polizisten die persönlichen
       Dinge von den BewohnerInnen einfach aus dem Fenster geworfen haben.
       
       In den Daten, die der Verfassungsschutz über Sie gespeichert hat, steht,
       dass Sie bei der Räumung einer Wohnung in der Hafenstraße von der Polizei
       hinausgetragen werden mussten. 
       
       Es ist gelogen. Die Wohnung, die geräumt werden sollte, lag im ersten
       Stock. Ich war mit KollegInnen anderer Medien als Fotojournalistin vor Ort.
       Als uns gesagt wurde, dass wir die Wohnung verlassen sollen, sind wir
       gegangen. Ich fange da doch nicht an zu kämpfen. Das Treppenhaus war eng
       und auf jeder Treppenstufe stand ein Polizist in voller Montur. Als ich die
       Treppe hinunterstieg, haben die mich geschubst. Ich bin die steile Treppe
       hinuntergefallen. Natürlich gab es keine Zeugen.
       
       Haben Sie sich verletzt? 
       
       Ich habe mir das Steißbein gebrochen und musste sofort ins Krankenhaus.
       Zwei Jahre lang konnte ich nicht lange sitzen. Das Interessante dabei war,
       dass einer der Einsatzleiter direkt Strafanzeige gegen seine eigenen
       Beamten gestellt hat, weil der verstanden hat, dass es nicht das Schlaueste
       war, mich als Journalistin zu verletzen. Die internen Ermittlungen dauerten
       so lange wie die Schmerzen. Aber sie haben den Täter nie gefunden. Da kann
       man sich schon ärgern, wenn der Verfassungsschutz schreibt, sie hätten mich
       rausgetragen.
       
       Sind Sie denn Teil der linken Szene? 
       
       Ja. Das ist mir auch wichtig. Wenn KollegInnen für die Pharmaindustrie, das
       Militär oder politische Parteien arbeiten und dafür bezahlt werden,
       positive Artikel zu schreiben, interessiert das niemanden.
       
       Ich würde sagen, dass es kein objektiver Journalismus ist. 
       
       Das stimmt, wird aber wenig kritisiert. Ich sehe mich, gleichen Rechten für
       alle verpflichtet, werde aber kriminalisiert. Würde ich für die
       Pharmabranche schreiben, wäre das anders.
       
       Können Sie Kritik daran verstehen, dass Sie zu nah an der Szene sind, um
       objektiv darüber zu berichten? 
       
       Journalisten sind nie objektiv. Sie tun nur so. Ich finde es besser, wenn
       die Leute zeigen, was sie denken, zwischen den Zeilen kommt es so oder so
       durch. Jeder von uns hat eine Haltung, und es ist nicht die Sache von
       Behörden, zu entscheiden, ob es die richtige ist, um journalistisch
       arbeiten zu können. Alle Journalisten müssen die gleichen Rechte und den
       gleichen Zugang bekommen.
       
       Ihr Antrag für eine Akkreditierung für den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm
       wurde abgelehnt. 
       
       Ja, aber ich habe mich vor dem Verwaltungsgericht in Berlin dagegen gewehrt
       und Recht bekommen. Dabei stellte sich heraus, dass sich der
       Verfassungsschutz eingemischt hatte und bestimmen wollte, wer berichtet und
       wer nicht. In meiner Auskunft taucht das jetzt wieder als Grund dafür auf,
       dass ich angeblich linksextrem bin. Das heißt, dass der Verfassungsschutz
       nicht einmal das Urteil eines Gerichts akzeptiert.
       
       Die Liste über Aktionen und Versammlungen, die Sie besucht haben sollen,
       ist ziemlich lang. Woher hat der Verfassungsschutz diese Informationen über
       Sie? 
       
       Die waren vor Ort. Aber nehmen wir nur den ersten Termin. Der Mensch, der
       die Demonstration mit 35 TeilnehmerInnen beobachtet hat, war nicht einmal
       in der Lage, zu ermitteln, was das Thema war. Es war eine Aktion gegen
       Miethaie in Hamburg und ich war dort, um zu fotografieren. Genau wie bei
       allen anderen Punkten auf der Liste.
       
       In Hamburg sind in den vergangenen eineinhalb Jahren drei verdeckte
       Ermittlerinnen der Polizei in der linken Szene aufgeflogen. Glauben Sie,
       dass die unrechtmäßig Informationen über Sie an den Verfassungsschutz
       weitergegeben haben? 
       
       Das ist offensichtlich. In der Liste stehen lauter Termine, bei denen die
       verdeckte Ermittlerin Maria B. dabei war. Das kann ich anhand der Fotos
       rekonstruieren.
       
       Wie gut kannten Sie Maria B.? 
       
       Nicht richtig gut, aber ich habe sie manchmal auf Veranstaltungen getroffen
       und sie war auch einmal hier in meinem Büro, als wir eine Aktion zur
       Innenministerkonferenz vorbereitet haben.
       
       Wie war sie denn so? 
       
       Ich fand die Beamtin Maria war eine sympathische, zuverlässige junge Frau,
       zuverlässig. Und sie war eher zurückhaltend.
       
       Kannten Sie auch die anderen Ermittlerinnen? 
       
       Iris P., die erste aufgeflogene Polizistin, kannte ich nicht. Die Astrid
       mit ihrem Dackel habe ich kennengelernt, aber sie kam mir merkwürdig vor
       und war unsympathisch, deshalb hatte ich dann nie wieder etwas mit ihr zu
       tun.
       
       Was macht das mit der Szene, wenn jeder ein verdeckter Ermittler sein
       könnte? 
       
       Ich kann nur für mich sprechen. Ich traue Menschen noch weniger als vorher.
       Privat habe ich mit Menschen zu tun, die ich schon lange kenne. Denen kann
       ich vertrauen, aber sonst mache ich mir schon Gedanken, mit wem ich rede.
       Es bestätigt etwas, das mir meine Mutter gesagt hat. Sie war immer der
       Meinung: „Erzähl den Leuten nichts Persönliches. Du weißt nie, wie es gegen
       dich genutzt wird.“
       
       War Politik in Ihrem Elternhaus ein Thema? 
       
       Ich bin mit Politik aufgewachsen, aber nicht mit der Art von Politik, die
       ich heute mache. Ich war nicht politisch. Ich bin erst in Deutschland
       politisiert worden.
       
       Warum sind Sie nach Hamburg gekommen? 
       
       Aus Liebe. Ich habe meinen Ex-Mann kennengelernt, der war ein deutscher
       Theaterregisseur. Im Theater habe ich auch angefangen zu fotografieren. Ich
       habe mich im Theater aber bald total gelangweilt. Ich wollte raus und auf
       der Straße mit dem echten Leben zu tun haben. Und als ich meine Tochter
       gekriegt habe, da fing ich an, mir Gedanken zu machen, was das für eine
       Welt ist, in die ich ein Kind setze.
       
       Wie haben Sie die Welt damals wahrgenommen? 
       
       Es war die Zeit der Pershing-II-Raketen und von Tschernobyl. Da brauchtest
       du nicht sehr intelligent zu sein, um zu erkennen, dass sich etwas ändern
       musste. Dann habe ich bei Robin Wood angefangen und viele Aktionen
       fotografisch begleitet.
       
       Es kann nicht lange gedauert haben, bis Sie dabei dem Verfassungsschutz
       aufgefallen sind. Warum wollten Sie nach so vielen Jahren Gewissheit? 
       
       Ich habe schon viele Jahre in Deutschland gelebt und wollte mich nun
       einbürgern lassen.
       
       Und dann haben Sie gefragt, ob Informationen über Sie gespeichert sind? 
       
       Genau, mein Anwalt hat es mir geraten. Ich will diesen Schwachsinn löschen
       lassen. Deutschland verändert sich. Ich denke, dass Rechte und Faschisten
       auf alle Sachen, die über einen in Behörden gespeichert sind, Zugang haben.
       
       Wie war es für Sie, diesen Brief zu öffnen? 
       
       Ich hatte den Antrag schon fast vergessen. Die Antwort kam ja erst drei
       Jahre später. Dann habe ich mich geärgert, weil es so lächerlich ist, wie
       sie bei mir einen Linksextremismus konstruieren. Aber ich habe eine Lösung
       gefunden, um mit meinem Ärger umzugehen. Ich werde den Brief als Broschüre
       veröffentlichen und jeden Vorwurf mit einem passenden Foto und einem
       Kommentar drucken – damit aus diesem Dreck etwas Inhaltliches wird.
       
       17 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Scharpen
       
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