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       # taz.de -- Bewohner über Rigaer94 in Berlin: „Provokationen rund um die Uhr“
       
       > Drei Wochen wurde das Berliner Hausprojekt Rigaer94 von der Polizei
       > besetzt. Für die Mieter war es der totale Ausnahmezustand.
       
   IMG Bild: Das Ende eines umstrittenen Einsatzes: die Polizei zieht aus der Rigaer94 ab
       
       taz: Am Donnerstag beendete eine Gerichtsvollzieherin den Polizeieinsatz im
       Haus. Bis dahin waren Polizisten und Securities drei Wochen ununterbrochen
       präsent. Wie kann man sich das vorstellen? 
       
       Bewohner: Ein freies Bewegen im Haus war nicht mehr möglich. Das Erste, was
       ich die vergangenen Wochen morgens sah, egal ob ich in die Küche, Dusche
       oder aufs Klo wollte, war ein Bulle, der sagt: „Na, gut geschlafen?“ Das
       waren Provokationen rund um die Uhr. Frauen wurden sexuell belästigt,
       unsere Sachen aus dem Dachgeschossfenster geworfen. Nachdem uns alle
       Sicherungen herausgedreht wurden, waren wir fünf Tage ohne Strom. Also ein
       absoluter Ausnahmezustand.
       
       Wie geht man damit um? 
       
       Zuerst war ich überfordert. Bei den ganzen Schikanen war es schwierig, den
       Hass auf die Besatzer zu unterdrücken. Doch mit der Zeit findet man einen
       Umgang. Die meisten von uns haben sich in Arbeit gestürzt, engagieren sich
       in der Kampagne für das Haus – das ist wie eine Therapie. Einige Bewohner
       treffen sich zu einem Lachkreis. Und das Kollektiv ist näher
       zusammengerückt. Alle sind fest entschlossen, sich nicht unterkriegen zu
       lassen. Auch gibt es keinen Unterschied mehr zwischen den regulären
       Bewohnern des Vorderhauses und unserem Hausprojekt im Hinterhaus.
       
       Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie Wohnungen für Geflüchtete in Ihrem Haus
       verhindern wollen. 
       
       Das ist so abstrus, dass der Hauseigentümer, ein ehemaliger
       Apartheidsrichter in Südafrika, versucht, Flüchtlinge gegen uns in
       Stellung zu bringen. Hier haben immer Geflüchtete gewohnt und unsere Räume
       genutzt. Das Problem für sie ist, dass sie als Bewohner des Hauses dauernd
       von der Polizei kontrolliert werden. Reguläre Flüchtlingswohnungen werden
       hier auch nicht entstehen, die Miete liegt weit über dem, was das Lageso
       zahlen würde. Sollten sie dennoch kommen, würden wir natürlich solidarisch
       auf sie zugehen.
       
       Wie würde eine optimale Lösung für das Haus aussehen? 
       
       Wir haben die Kadterschmiede, den Werkstattraum, die Räume in Dachgeschoss
       zurück – und es bleibt unser Haus. Dazu wird das Gefahrengebiet aufgelöst
       und andere linke Projekte wie der M99, die Friedel54, der Schwarze Kanal
       oder die Linienstraße können bleiben.
       
       Seid Ihr für eine dauerhafte Lösung zu Verhandlungsgesprächen bereit? 
       
       Die Gegenseite versucht uns zu zermürben, bis wir ausziehen. Worüber sollen
       wir da verhandeln? Wir haben nichts anzubieten. Und was
       Verhandlungsergebnisse mit Frank Henkel wert sind, hat man bei der
       besetzten Schule in der Ohlauer Straße gesehen (Gerhart-Hauptmann-Schule,
       Anm. d. Red.). Das mühsam ausgehandelte Ergebnis hat ihn überhaupt nicht
       interessiert. Um das Haus zu kaufen, fehlen uns die Kapazitäten und das
       Geld. Die Mieten, die wir zahlen müssten, kann sich die Mehrheit der
       Bewohner nicht leisten. Das war schon vor drei Jahren so, als es eine
       Kaufmöglichkeit gab.
       
       Sie haben wirklich nichts anzubieten? Wie wäre es mit einem Verzicht auf
       Aufrufe, wie zum „schwarzen Juli“? 
       
       Wir wurden mit Gewalt geräumt, daher ist es legitim, dass Menschen zeigen,
       dass sie das scheiße finden. Wir sind aber nicht das Hauptquartier der
       autonomen Szene. Wir können nicht befehlen, dass ab morgen mehr oder
       weniger Autos brennen. So funktionieren anarchistische Strukturen nicht.
       Selbst wenn wir sagen würden, der Tag X ist vorbei, heißt das nicht, dass
       sich alle Gruppen dem anschließen.
       
       Glauben Sie, dass die in Ihrem Namen verübten Autobrandstiftungen und
       Sachbeschädigungen helfen? 
       
       Ja, die Presse wäre nicht hier, wenn wir mit einer Gitarre vor dem Haus
       sitzen würden – auch wenn nicht jeder B.Z.-Artikel wirklich hilfreich ist.
       Doch der Druck auf die Politiker ist enorm gestiegen. Dabei ist Militanz
       nur eines von vielen Mitteln. Aber ein Werkzeugkoffer ohne Hammer ist
       keiner.
       
       Dieses Interview ist Teil des Wochenendschwerpunkts der taz.berlin. Darin
       außerdem: eine Reportage aus der Rigaer Straße, diesseits und jenseits des
       umstrittenen Hausprojekts. Ab Samstag in Ihrem Briefkasten und am Kiosk.
       
       15 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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