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       # taz.de -- Kommentar Anschlag in Nizza: Die Strahlkraft des IS
       
       > Der „Islamische Staat“ ist immer wieder Vorbild für einzelne Gewalttäter.
       > Wer das verhindern will, muss ihn an seinen Basen attackieren.
       
   IMG Bild: Ein Bild des Schreckens: die Promenade des Anglais kurz nach dem Attentat
       
       Schon wieder Frankreich. Gerade durften wir uns noch darüber freuen, dass
       die Europameisterschaft ohne größere Anschläge vonstattenging, da richtet
       nun ein Psychopath am Steuer eines Lkw in Nizza dieses Massaker an.
       
       Frankreich kommt nicht zur Ruhe und Europa auch nicht. Noch wissen wir
       wenig über die Motive des Mörders, eines 31-jährigen Franzosen, der einen
       tunesischen Hintergrund haben soll. Er war bei der französischen Polizei
       als gewalttätiger Kleinkrimineller aktenkundig, nicht aber als
       radikalisierter Islamist. Dennoch: Die Tat von Nizza scheint sich in jene
       Kette von Anschlägen einzufügen, die dem Muster nach der Strahlkraft des
       sogenannten Islamischen Staats (IS) zuzurechnen ist.
       
       Ob Einzeltäter mit Messer oder Beilen auf jüdische Franzosen oder
       Polizisten losgehen oder im internationalen terroristischen Verbund
       Satiremagazine wie Charlie Hebdo oder Bars und Clubs wie das Bataclan in
       Paris angreifen, sie fühlen sich im Kampf für eine höhere Sache dazu
       berufen. Die religiös-faschistische Vorstellung vom Weltkalifat mag für uns
       wie ein schlechter Witz klingen, doch bei entsprechender Disposition
       scheint sie für einzelne Desorientierte in unseren Gesellschaften als
       Ermächtigungsfantasie weiterhin zu wirken.
       
       Den Rassisten vom IS ist schwer daran gelegen, einen Keil im Westen
       zwischen die Mehrheitsgesellschaften und ihre muslimischen Minderheiten zu
       treiben. Je stärker die ethnizistisch-religiöse Polarisierung, umso besser
       nach der Logik dieser Gotteskrieger. Die Marine Le Pens oder Trumps sind
       für sie die ausgemachten Wunschgegner.
       
       ## Deutschland ist eher Rückzugsraum als Ziel – noch
       
       Der IS spekuliert in seiner Propaganda auf verzweifelte und desperate
       Männer, wie sie nun mal jede real existierende Gesellschaft hervorbringt.
       Es sind Typen mit einfach gestrickten Weltbildern, die er für den
       religiös-faschistischen Rassenkampf instrumentalisieren kann. Und die sich
       im Zweifelsfall autonom und wie von selbst aktivieren, Modell Franchising.
       
       In Frankreich sieht der IS einen sehr günstigen Nährboden für den Angriff
       in Europa. Die französische Gesellschaft hat Gerechtigkeitsprobleme, die
       sich im Vulgären sehr simpel religiös-nationalistisch aufladen lassen.
       Zudem verfügt Frankreich, die Grande Nation, als postkoloniale und offene
       Gesellschaft über eine sehr große muslimische Community. Und Frankreich
       steht – anders als etwa die Bundesrepublik Deutschland – auch militärisch
       an vorderster Front, wenn es im südlichen Mittelmeerraum und Teilen Afrikas
       um Unterstützung im Kampf gegen die islamistischen Terrorgruppen geht.
       
       Also alles kein Zufall. Die Bundesrepublik Deutschland dient den
       Islamisten seit je eher als Rückzugsraum denn als strategisches
       Angriffsziel, was nicht zuletzt auch an den Sympathien liegen dürfte, die
       das Land der ehemaligen Judenmörder im islamistischen Kontext genießt.
       
       Man erinnere sich: Angegriffen wurde schon bei 9/11 in den USA, nicht in
       Hamburg, wo die Tat geplant und vorbereitet wurde. Doch das könnte sich
       ändern. Denn die Einsicht bei vielen Westeuropäern, auch den
       Bundesdeutschen, wächst, dass der Strahlkraft des IS vor Ort begegnet
       werden muss.
       
       Solange das Kalifat aus Syrien, Irak oder Libyen leuchtet und sendet, so
       lange müssen wir auch vermehrt mit Anschlägen wie jetzt zuletzt in Nizza
       rechnen. Selbst wenn es sehr schwierig erscheint: die westliche Allianz,
       Russland und die UNO müssen sich endlich zu einer Intervention in und
       Nachkriegsordnung für Syrien durchringen. Es sind globale Konflikte, wir
       können nicht so tun, als berührten sie uns nicht.
       
       Scharfmachern wie Trump oder Le Pen kann man nur mit einer aktiven
       Außenpolitik begegnen, die einer humanistischen Zielsetzung folgt.
       
       Dazu gehört es, was den IS angeht, die symbolische Verbindung zu seinen
       Empfängern durch die Zerstörung seiner Sender in Syrien, Irak und anderswo
       zu unterbrechen.
       
       15 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Fanizadeh
       
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