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       # taz.de -- Fuchsbau-Festival in Hannover: Auf Eroberungskurs
       
       > Als Vorgeschmack für das Fuchsbau-Festival werben die Macher mit einem
       > Konzert des Hip-Hoppers Mykki Blancos. Der ist im August gar nicht dabei
       
   IMG Bild: Lesung: Beim Fuchbau-Festival ist auch Autor Kevin Kuhn dabei.
       
       Hildesheim taz | Der Auftritt des Rappers Mykki Blanco beginnt eigentlich
       erst mit dem zweiten Song, als er das Publikum zu sich auf die Bühne
       stürmen lässt. Das ist längst nicht der Höhepunkt seiner liebe- und
       druckvollen Performance. D[1][as Fuchsbau-Festival] hat in eine für
       Rapkonzerte ungewöhnliche Location geladen: in Hannovers herrschaftliche
       Herrenhäuser Gärten. „jmdn/etw. erobern“ ist der Titel der Veranstaltung.
       
       Allein die Übernahme des barocken Großen Gartens durch die Macher des
       Festivals ist eine Eroberung, die in Niedersachsens Kulturlandschaft von
       Seltenheit ist. Ein Kollektiv, das sich vor fünf Jahren zusammengetan hat,
       um „mit einem Festival eine eigene Wirklichkeit in Hannover zu erschaffen“,
       wie es in der Auftaktrede der Performance pathetisch heißt. Schön, dass die
       Stadt ihren schmuckvollen Vorzeigepark dennoch zur Verfügung stellt, und
       umso ungewohnter, dass die Fuchsbau-Leute sich diesen Ort der Macht und der
       Traumhochzeiten tatsächlich zu eigen machen wollen.
       
       Macht ist auch das Thema, um das sich die Performance dreht, die eigentlich
       eine Art Planspiel ist. Die Gäste werden anhand von Auftragskarten in
       einzelne Lustgärten geschickt. Dort warten kleine Szenen auf die Besucher,
       die immer wieder eingreifen müssen: „Sei ein gutes Publikum! Leide mit!“,
       steht auf einer der Karten, die die Spiellaune der Gäste allerdings nur
       mäßig in Schwung bringt.
       
       Im Rosengarten leidet die blasse Kurfürstin Sophie von Hannover – hier
       inszeniert als Crossdresserin zwischen den Geschlechtern – unter ihrer
       Einsamkeit und legt als Machtdemonstration kurzerhand einen prächtigen
       Garten an: die Herrenhäuser Gärten. Ob der Gärtner ihr Liebhaber oder
       Mörder ist, bleibt offen. Im Garten nebenan stellt sich eine laut T-Shirt
       „junge, aufstrebende Politikerin“ den Fragen des Publikums, die allesamt
       auf ihr Geschlecht und Privatleben abzielen, dabei aber wenig originell
       gescripted sind.
       
       Spätestens jedoch in der Szene, in der die Machtstrukturen und
       Inszenierungen von Männlichkeiten in der Hip-Hop-Szene kritisiert werden,
       wird Macht ermüdend eindimensional und als unnötig enges Konfliktfeld
       definiert.
       
       Die Anspielung auf genderqueere und schwarze RappeInnen ist als Querverweis
       auf das anschließende Mykki-Blanco-Konzert ebenso plump wie die
       Hiobsbotschaft der vermeintlichen Regisseurin, dass der queere Star des
       Abends seinen Flug verpasst habe, albern ist. So stellt sich für den
       Betrachter bald das Gefühl ein, bei dieser Schnitzeljagd der etwas
       planlosen Willkür der teils furchtbar spielenden SpielerInnen ausgeliefert
       zu sein. Dies verleiht der Machtkritik der immer chaotischer werdenden
       Inszenierung eine ungewollte Metaebene.
       
       Anders als es auf den durchgestalteten Plakaten den Eindruck erweckt, ist
       der Musiker und Crossdresser Mykki Blanco nicht in die Performance
       „jmdn/etw. erobern“ eingebunden. Er dient, wie ein Spieler
       bezeichnenderweise zugibt, lediglich „als Appetizer für diese
       Veranstaltung“. Wohl eine unglückliche Formulierung von den hauptsächlich
       weißen und privilegierten Organisatoren, einen schwarzen, queeren Künstler
       als Appetithäppchen für eine schwer zugängliche theatrale Kunstform zu
       verkaufen, die ohne den nordamerikanischen Star als Zugpferd wohl weniger
       Publikum gefunden hätte.
       
       Im vergangenen Jahr sind erstmals internationale KünstlerInnen beim
       Fuchsbau aufgetreten und 2016 konnte das Line-up aus Bands, DJs, bildenden
       und Performance-KünstlerInnen noch veredelt werden. Das gemeinnützige
       Organisationsteam legt Wert darauf, nicht wie bei einigen kommerziellen
       Festivals so viele erfolgreiche Bands wie möglich in drei Tagen auf einer
       Bühne zu versammeln. Alle Beteiligten sollen sorgfältig ausgewählt sein und
       auch anderen künstlerischen Disziplinen sollen eine gleichberechtigte
       Plattform bekommen.
       
       So werden die in Berlin lebenden Künstler und Designer Sebastian Piatza und
       Christian Zöllner etwa ihre digitalen Werke zeigen, die sich mit
       verschiedenen Formen von Wahrnehmung beschäftigen. Zudem gibt es unter dem
       diesjährigen Leitmotiv „Die Hitze des Gefechts“ weitere theatrale Formate,
       Filme, Literatur, Gespräche und Workshops zu erleben.
       
       Dennoch bleibt das Fuchsbau ein Festival, dessen Herzstück auch dieses Jahr
       die Konzerte bleiben. Zumindest legt das Line-up das nahe, das zum einen
       namhaft besetzt ist, aber doch keine beliebige Auswahl zu sein scheint. Der
       New Yorker Le1f etwa macht einzigartig radikalen Rap, der sich – ganz wie
       Blanco – mit Ausgrenzungen, Normen und Machtstrukturen beschäftigt, ohne
       dass den trashig-smoothen R-’n’-B-Beats die Feierlaune abgeht.
       
       Mit Me And My Drummer hat das Fuchsbau ein Duo an Bord, das eines der
       besten Ambient-Pop-Alben des Jahres veröffentlicht hat: „Love Is A Fridge“
       ist der programmatischer Titel. Dabei erzeugen die Direktheit der Texte und
       Auftritte eine überwältigende Nähe zwischen Band, Publikum und Schlagzeug.
       
       Hinzu kommen der Leipziger Synthie-Künstler cmd q (Sprich: command q),
       dessen sphärische Loops für manchen Popexperten schon etwas Religiöses
       haben, sowie die ehemalige Profibasketballerin Sevdaliza aus den
       Niederlanden. Ihre gefühlvollen Songs leben von unerwarteten
       Rhythmuswechseln, traurig schwebenden Melodien und vor allem einer
       schleifenden Stimme, so tief und warm, dass sie zugleich zerbrechlich und
       bedrohlich wirkt.
       
       In den letzten Jahren musste das Festival schon mehrmals innerhalb
       Hannovers umziehen, jetzt wird das Gelände einer alten Ziegelei bei Lehrte
       ähnlich liebevoll geschmückt wie in den vergangenen Fuchsbau-Jahren. Wenn
       das Fuchsbau-Kollektiv die Stadt mit den letzten vier Festivals nicht schon
       längst erobert hätte, wäre es mit der halbgaren Performance in den
       Herrenhäuser Gärten wohl nicht gelungen. Obwohl Mykki Blancos einzigartiger
       Auftritt einen guten Eindruck verschafft, wie es auf dem Festival selbst
       musikalisch zugehen wird.
       
       Nachdem das Sicherheitspersonal wieder die geplante Distanz zwischen
       Publikum und der Bühne mit den güldenen Statuen gebracht hat, verlässt
       Blanco, selbst auch Aktivist und Performancekünstler, die Bühne, um seine
       Show mitten im Publikum und mit vollem Einsatz fortzusetzen: „This is not a
       fucking real gay party! But I am getting wavy!“, sagt er ins Mikro, reißt
       sich die Perücke vom Kopf. Mykki Blanco hat sein Publikum längst erobert.
       
       15 Jul 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://fuchsbau-festival.de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kornelius Friz
       
       ## TAGS
       
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