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       # taz.de -- Amnestiegesetz in El Salvador: Ende der Straflosigkeit
       
       > Seit 1993 schützte eine Amnestie Kriegsverbrecher des Bürgerkrieges. Das
       > ist jetzt vorbei. Doch es gibt Kritik an der Entscheidung.
       
   IMG Bild: Angehörige der Opfer des Massakers von El Mozote – hier bei einer Gedenkfeier im Mai 2016 – werden die Gerichtsentscheidung begrüßen
       
       Berlin taz | 23 Jahre lang waren die Kriegsverbrecher des Bürgerkriegs in
       El Salvador (1980 bis 1992) vor Strafverfolgung geschützt. Jetzt ist
       Schluss damit. Am Mittwoch urteilte der oberste Gerichtshof in der
       Hauptstadt San Salvador, die Generalamnestie von 1993 sei
       verfassungswidrig. Sie verstoße gegen mehrere Verfassungsartikel und gegen
       internationales Recht. „Eine Amnestie widerspricht dem Recht auf Zugang zu
       Gerechtigkeit, dem Schutz fundamentaler Rechte und dem Recht auf umfassende
       Entschädigung der Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
       Kriegsverbrechen“, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts.
       
       Das Gericht stellte klar, dass nicht nur die materiellen Täter von
       Kriegsverbrechen belangt werden können, sondern auch „die höchsten
       Befehlshaber der militärischen und paramilitärischen Strukturen und der
       Guerilla“. Das Verfahren war vor drei Jahren vom Menschenrechtsinstitut der
       Zentralamerikanischen Universität von San Salvador (UCA) und zwei
       juristischen Forschungszentren angestrengt worden.
       
       Kriegsverbrechen wie das Massaker in dem Dorf El Mozote, bei dem die Armee
       Ende 1981 rund tausend Zivilisten ermordete, können jetzt genauso von der
       Staatsanwaltschaft verfolgt werden wie das Massaker einer Eliteeinheit der
       Armee an der Führungsriege der UCA im November 1989 oder interne
       Säuberungen in den Reihen der FMLN-Guerilla, bei denen Mitte der 1980er
       Jahre in der Provinz San Vicente mehrere Hundert Menschen ermordet wurden.
       
       Der Bericht einer von der UNO eingesetzten Wahrheitskommission listet über
       22.000 Kriegsverbrechen auf. 95 Prozent davon werden der Armee, anderen
       staatlichen Sicherheitskräften und den von ihnen kontrollierten
       Todesschwadronen angelastet, 5 Prozent der FMLN. Fünf Tage nach der
       Veröffentlichung hat das damals von rechten Parteien dominierte Parlament
       am 20. März 1993 die Generalamnestie verabschiedet.
       
       Ähnlich wie in Guatemala, wo seit fünf Jahren die höchsten Kriegsverbrecher
       des dortigen Bürgerkriegs (1960 bis 1996) vor Gericht gestellt werden, ist
       auch dieses Urteil Ergebnis eines langsamen Wandels der juristischen
       Kultur. Lange waren die obersten Richter willfährige Handlanger rechter
       Regierungen. Seit 2009 aber stellt die FMLN den Präsidenten, die Besetzung
       der obersten Gerichte muss im Parlament ausgehandelt werden. Auf diese Art
       kamen Kammern zustande, deren Mitglieder gewillt sind, ihren Beruf auch
       wirklich auszuüben.
       
       Verteidigungsminister General David Munguía Payés nannte das Urteil einen
       „politischen Fehler“ und befürchtet „den Beginn einer Hexenjagd“. Vertreter
       der FMLN und der rechten Oppositionspartei Arena enthielten sich eines
       Kommentars. Sie wollen das Urteil erst einmal studieren.
       
       14 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Toni Keppeler
       
       ## TAGS
       
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