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       # taz.de -- Kolumne „Jung und Dumm“: I beg your Bratwurst
       
       > Dieser Text hätte niemals veröffentlicht werden dürfen. Schon gar nicht
       > jetzt, wo er einen Bezug herstellt, der ekelhaft ist und so nie gedacht
       > war.
       
   IMG Bild: „Wer anderen die Bratwurst brät, der hat ein Bratwurstbratgerät“
       
       Auf dem Bahnsteig steht vor mir ein Wahnsinniger. Spinnenweben und
       Katzenhaarbüschel umgeben seine blanke blaue Busfahrerfresse, aus
       Leibeskräften schreit er: „Goethe ist tot!“ „Warum?“, frage ich, er
       retourniert routiniert: „Wegen dem Tod!“. Unter anderem deshalb halte er
       jenen für überbewertet: „Es gibt ja zum Beispiel wirklich überall auf der
       Welt „Goethe-Institute“. Das ist doch Schwachsinn!“ Welche Namenspatron*in
       er denn stattdessen fordert? „Bismarck, Napoleon, Thomas Bernhardt oder
       Sibylle Berg.“ Ich schlage ihm Schlingensief, Günther Jauch und Dörte
       Hansen vor; wir einigen uns auf Volker Weidermann.
       
       Dann fällt mir ein, dass sich jener mit dem jüngsten „Quartett“, zu dem er
       das unälteste Buch der unsäglichen Juli Zeh anschleppte, in Sachen Stil
       eindeutig disqualifiziert hat; außerdem hätte ich meinen Gesprächspartner
       gern noch gefragt, ob er Dreadlocks auch für geschmorgeschmolzenen Matsch
       hält, und ob er auch so gut U-Bahn-Geräusche imitieren kann wie ich – aber
       auf einmal ist er weg.
       
       Eigentlich bin ich hier, am (zumindest für mich Provinzler), sagenumwobenen
       (Crystal Beck) Nollendorfplatz, auf der Suche nach etwas Essbarem
       ausgestiegen, irre nun aber durch das ihn umgebende Nebenstraßengeflecht:
       da vorne, das sieht doch… ach nee, da kommt doch bestimmt noch was
       Besseres. Ist ja schließlich Berlin, hier gibt’s so viel Gastro wie Luft
       über 'nem Rewe-Parkplatz. Da, ah, das, schon viel besser, obwohl, nein,
       nicht zum Mitnehmen, hier wird ambulant gegessen, auch nicht das Richtige.
       Hier, Moment, das da sieht doch, hmm, das könnte man doch mal… – oh, stinkt
       nach Scheiße. Berlin, ich kann Dein Gefresse nicht mehr sehen.
       
       ## Hunger, Harndrang, Häresie.
       
       Rückkehr auf die stickige, drückende, tote Hauptstraße. Die Rettung rechts
       am Wegesrand: ein Bratwurstgriller. „Wer anderen die Bratwurst brät, der
       hat ein Bratwurstbratgerät“ stand beim Online-Kapitalismus-Simulationsspiel
       immer, das ich mit zehn Jahren immer spielte, als ich Börsenmakler werden
       wollte (sowas ist doch aus postironischer Sicht auch wieder völlig
       vertretbar, genauso wie „Coca-Cola“ trinken oder Tretminen verkaufen) –
       folglich muss er doch über ein solches verfügen, und es damit machen wie
       der Apfelwein der Marke „Frau Rauscher“: halten, was er verspricht.
       
       Nochmaliges Hinsehen bestätigt – ein Mann, ein Grill. Warum also eigentlich
       nicht mal eine gute, (vermutlich wohl wirklich) alte „Rostbratwurst“ für
       1,80€? Der Bratmann, klein, alt, verhutzelt: „Was darf's denn sein?“
       Reflexartig will ich „Heuschnupfen“ sagen, kriege aber noch die Kurve:
       „Eine Bratwurst bitte.“ „Wird jemacht.“
       
       Einfach wundervoll. Und welch' elysischer Radioklang diese drei Minuten
       Seligkeit auch noch untermalt… „I beg your pardon / I never promised you a
       rose garden…“.
       
       Das Gesicht des Bratmanns ist tiefrunzlig, rötlich-vernarbt, und vegetiert
       entweder noch nicht oder nicht mehr in hellgelber Eitrigkeit; ich find's
       großartig… – „When you take you gotta give / so live and let live or let
       go-oh-oh-oh-oh / I beg your pardon…“. „Senf oder Kätschap?“ – … I would
       give you the world right now on a silver platter / But what would it
       matter? … –
       
       „Senf“.
       
       7 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Adrian Schulz
       
       ## TAGS
       
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