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       # taz.de -- Kommentar Alltagsflucht in Krisenzeiten: Nicht tanzen ist auch keine Lösung
       
       > Wieder und wieder Attentate in der Welt. Dabei gilt: Vergesst das Schöne
       > nicht. Alltagsfluchten in Zeiten der Krise sind dringend notwendig.
       
   IMG Bild: Da tanzt sie, die Belegschaft der taz
       
       Da war es neulich wieder: dieses döselige Gefühl, völlig verschwitzt und
       irgendwann sogar barfuß zu tanzen bis in den Morgen. Schlimme gute Hits
       waren dabei. [1][I will survive]. Hier im SO36 in Berlin Kreuzberg.
       
       Als im letzten November die Anschläge im Bataclan in Paris waren, stellte
       ich mir vor, dass das auch in diesem Club hätte sein können. Jetzt tanze
       ich. Während woanders womöglich wieder ein Anschlag verübt wird.
       
       Nizza, Istanbul, Baton Rouge, Würzburg, München, Kabul, Ansbach: Andere
       leiden, wir tanzen. Was für eine Farce. Was für ein Luxus. Musik ist
       meistens eine Flucht aus der Gegenwart heraus.
       
       Wir erinnern uns mit einem Song an einen schönen Moment. Oder wir versetzen
       uns mit Absicht in frühere, traurige Momente zurück. Für eine ganze
       Generation ist „[2][Sour Times]“ von Portishead wohl so ein Song. Lieder
       wie „[3][Ancora Tu]“ von Róisín Murphy führen dagegen in die Sonne und den
       letzten Italienurlaub.
       
       Es gibt auch verstörende Musik. Deren Beat und Melodie einen mitschwingen
       lässt und deren Texte gleichzeitig Beklemmungen auslösen. „[4][Drone Bomb
       Me]“ von Anohni ist so ein Fall. Allerdings weicht der Text schnell der
       Musik. Denn Musik funktioniert intuitiv, wir reagieren emotional darauf.
       Melodien wirken stärker als Texte, stärker auch als Bilder.
       
       ## Die Gegenwart erträglicher machen
       
       [5][Laute Elektrobeats] sind zum Vergessen gut. Hinreichend bekannt sind
       die Geschichten über israelische Soldat_innen, die nach dem Wehrdienst erst
       einmal zu Trance in Goa die Gedanken ausschalten.
       
       Andere Musik nimmt uns mit auf eine Reise. Lana Del Rey lebt davon, die
       Sehnsucht nach Hippie-Zeiten zu wecken. Kiffen, tanzen, im Kreis drehen und
       mit Scott McKenzie singen: „[6][Be sure to wear some flowers in your
       hair].“ Flower-Power-Zeit. Kriegszeit. Während US-Soldaten in Vietnam
       kämpften, dröhnten sich die Zurückgebliebenen den Kopf zu. Und sangen vom
       Frieden.
       
       Die Blumenmusik von damals war auch eine Forderung: Vergesst das Schöne
       nicht. Die Welt sollte ein Ort sein, in dem das gedankenlose Tanzen der
       Normalzustand ist, nicht die Angst vor Gewalt. Das ist das Ziel. Auf dem
       Weg dahin darf es nicht verloren gehen.
       
       Die Welt dreht sich weiter. Und sie dreht weiter durch. Ein Tanz mehr oder
       weniger wird daran nichts ändern. Aber er macht die Gegenwart erträglicher.
       
       26 Jul 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=Faf1ch7Q9XE
   DIR [2] http://www.dailymotion.com/video/x2u6lo3_portishead-sour-times_music
   DIR [3] https://vimeo.com/99908276
   DIR [4] https://vimeo.com/152637866
   DIR [5] /Ntz,-ntz,-ntz/!5327203/
   DIR [6] https://www.youtube.com/watch?v=bch1_Ep5M1s
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gottschalk
       
       ## TAGS
       
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