URI: 
       # taz.de -- Politische Kultur in Kuba: Markt- und anderes Geschrei
       
       > Wo immer sich Dissidenten zeigen, werden Leute zusammengerufen, um sich
       > zu empören. Vor allem wir Studenten müssen hin.
       
   IMG Bild: Organisierte Empörung: Pro-Regierungsdemonstrant gegen die „Damen in Weiß“, 2010
       
       Für die spanische Originalversion bitte herunterscrollen! Si desea, puede
       consultar la versión original en español a continuación de esta traducción
       al alemán.
       
       „Schreit was ihr könnt, gerade heute nerven sie besonders!“ Die Unbekannte
       tritt aus der Menge heraus. Sie ist klein, hat einen wütenden Blick, und
       empfängt uns, die wir gerade erst angekommen sind. Sie verfügt
       offensichtlich über Autorität, vielleicht, weil sie ein politisches Amt
       bekleidet.
       
       „Löst die ab, die schon da sind,“ sagt sie und deutet auf das Fenster des
       Hauses, vor dem die Aktion stattfindet. „Die, die schon da sind“ schreien
       schon eine ganze Weile. Es scheint nur fair, dass sie jetzt die Stimme
       schonen dürfen. Wir sind aufgerufen zu helfen. Wir müssen mitmachen.
       
       Ich bin mit einer kleinen Gruppe inkognito gekommen, so gut das ging.
       „Heute gibt es Damas de Blanco“ war an der Fakultät für
       Kommunikationswissenschaften und an anderen der Universität in Havanna
       weitergesagt worden. Die Mitteilung bedeutete einen Aufruf zum
       Gegenprotest, zum repudio, zur empörten Zurückweisung.
       
       Seit Jahrzehnten ist diese Praxis kultiviert worden. Zum Glück, sagen
       einige. Ich hatte noch nie so einen acto de repudio, einen Gegenprotest
       gesehen, und vor allem deshalb ging ich hin: aus Neugier.
       
       Sie rufen immer uns, weil wir junge Studenten sind, deren Pflicht es ist,
       ihre feste Überzeugung von der Notwendigkeit unter Beweis zu stellen, dass
       es verhindert werden müsse, den Söldnern die Straße zu überlassen. In
       diesem Fall hieß das, sich vor jenes Fenster zu stellen und zu schreien.
       
       Mein Körper, eine Frucht der Revolution, muss als Barriere funktionieren,
       die es den Dissidenten unmöglich macht, ihren Zufluchtsort zu verlassen, wo
       sie sich an diesem Nachmittag versammelt haben und von wo aus sie
       ausdruckslos durch die Gardinen nach draußen schauen.
       
       Was denken sie? Wir können uns sehen, aber in Wahrheit sind wir tausende
       Kilometer und Millionen Jahre voneinander entfernt.
       
       „Erdbeer- und Pfefferminzbonbons!“ schreit der alte Dünne, der durch die
       Menschenmenge läuft und sich nicht darum schert, wer sich dort inner- und
       außerhalb des Hauses versammelt hat. Es ist ihm egal, er verkauft Bonbons.
       
       ## „Diese Straße gehört Fidel!“
       
       Die Damas de Blanco sind eine aus Miami bezahlte Gruppe, die begeisterte
       Freundschaften zu so schillernden Personen pflegt wie Luis Posada Carriles,
       der einst Bomben legte, und die, so sagen sie in der Universität, 125.000
       Dollar dafür bekommen, wenn sie drei Tage demonstrieren.
       
       „Diese Straße gehört Fidel!“ schreien die Jungen, die draußen am nächsten
       am Fenster jener Wohnung stehen, wo sie sich heute versammelt haben.
       
       Man weiß, dass sie Heldinnenallüren haben, obwohl es für Heldentum auf
       Gehaltsbasis keine Vorbilder gibt.
       
       Touristen und schaulustige Nachbarn halte einige Distanz zu den
       Universitätsstudenten. Sie sind die Zeugen, immer und überall, würde der
       Protagonist eines bekannten Films sagen, Beobachter, Zuschauer der Show,
       Petzen.
       
       ## „Mit unseren Panzern plattmachen“
       
       Die Straße wimmelt von Leuten, mehr oder weniger Beteiligten, mehr oder
       weniger aktiven, mit tragenden Rollen oder als Lückenfüller, Statisten, und
       Bonbons, viele, Erdbeere und Pfefferminz, an den Bushaltestellen und an
       jeder Ecke, die für längere Zeit Andrang verspricht. Und es gibt
       Süßigkeiten, Gebratenes… Hunger und Langeweile.
       
       Eine kubanische Fahne überspannt die Calle Neptuno auf ganzer Breite. Die
       Insignien des Vaterlandes spenden Schatten, einen großen Schatten. Man
       nimmt es dankbar hin: Es ist mittags und die Sonne ist unerträglich.
       Außerdem: Es geht doch bei all dem um die Fahne und ihren Stern: Einen
       einzigen, so wie es die Kubaner wollen, die Kuba sehr mögen.
       
       Sie, die jungen Leute, dürfen nicht der Sünde der Arglosigkeit verfallen –
       ein Etikett, was jedem aufgeklebt wird, der sich der Paranoia nicht
       anschließen und dementsprechend handeln will. Einige Presseorgane sagen,
       man müsse dem Sirenengesang widerstehen.
       
       Wenn zum Beispiel diese augenscheinlich gewaltfreien Frauen anfangen
       würden, die Straßen zu erobern, dann könnte die Situation außer Kontrolle
       geraten, andere Oppositionelle würden dann auch anfangen zu demonstrieren,
       und es könnte dazu kommen, dass wir „nur die Ordnung wiederherstellen
       können, indem wir sie mit unseren Panzern plattmachen,“ sagt jemand mit dem
       fatalen Hauch der Weisheit, der in einem anderen Schatten steht, nicht in
       dem der Fahne. Ich beeile mich, das Bild zu verscheuchen, als wäre es eine
       Fliege.
       
       ## Ich will nicht schreien
       
       Es wäre eine sehr teure Wiederherstellung, zu teuer, viel teurer als die
       Unordnung und die Süßigkeiten, die diese Frau da verkauft: 6 Pesos, wo der
       Preis normalerweise die Hälfte ist. Kleiner aber teurer. Wer soll das
       verstehen?
       
       Die Zeit vergeht. Ich halte Abstand, ich will nicht schreien, ich will
       nicht in die erste Reihe, nicht ins Fenster hineinschauen und alte Parolen
       rufen. Ich kenne diese Frauen nicht, ich werde meinen Körper nicht als Wall
       benutzen, ich bin kein Hüter einer Ordnung, die gewiss vor allem durch die
       Sperrung der Straße, die riesige Fahne und den unerträglichen Lärm des
       Geschreis gestört worden ist. Ich bin nicht in diesem Haus. Aber ich bin
       auch nicht draußen. Ich bin – bei mir.
       
       Stunden vergehen. Sie kommen nicht raus, heute nicht. Die Mission der
       Schreienden ist erfüllt, und mit dem Sonnenuntergang gehen auch die
       letzten. Wie sie, gehen auch die Verkäufer nach Hause, auch heiser und müde
       von all der Arbeit.
       
       Versión original: 
       
       ## Pregoneros
       
       – Griten bastante que hoy están majaderísimas.
       
       Apartándose de la multitud, esta desconocida, corta de extremidades,
       furiosa de mirada, nos recibe a los recién llegados. Evidentemente es
       alguien con autoridad, acaso la que le otorga algún cargo político.
       
       - Releven a los que están ahí- dice señalando a la ventana de la casa que
       concentra la acción.
       
       “Los que están ahí“ gritan hace rato. Parece que sería justo que ya reposen
       la voz. Estamos llamados a apoyar y ser considerados. Debemos colaborar.
       
       Yo había llegado entre un pequeño grupo de gente a lo incógnito, a toda la
       posibilidad que me aguardaba. “Hoy hay Damas de Blanco“ había trascendido
       en la facultad de Comunicación como en otras de la Universidad de La
       Habana. La notificación implicaba una convocatoria a repudiar, algo que se
       ha cultivado sistemáticamente en las últimas décadas, cada vez menos. Por
       suerte, dicen algunos. Yo nunca había visto un acto de repudio. Sobre todo
       fui por eso: por curiosidad.
       
       Nos convocan por aquello de ser Jóvenes Universitarios, cuyo Deber es
       demostrar su Ferviente Convicción de la necesidad de impedir que las
       Mercenarias tomen las calles. En esta ocasión, expresada en el acto de ir a
       aquella ventana a gritar.
       
       Mi cuerpo, administrado como fruto de la Revolución (el Ministerio de
       Conquistas, no la otra –la de verdad–), debe funcionar como barrera que
       impida que las disidentes salgan de su refugio, donde se han concentrado
       esta tarde y desde donde miran en gesto inexpresivo hacia afuera a través
       de la reja de la ventana.
       
       ¿Qué piensan? ¿Qué opinión les merecemos? ¿Les merecemos alguna? Podemos
       vernos, pero la verdad es que estamos a miles de kilómetros, a millones de
       años.
       
       ¡Caramelo de fresa y menta!- grita el viejo flaco que camina entre la
       pequeña multitud, ignorante de quiénes son los que se agolpan fuera de esa
       casa, y de quienes están dentro.
       
       Le da igual: él vende caramelo.
       
       Las Damas de Blanco, grupo pagado desde Miami, entusiastas amigas de
       personajes coloridos como Luis Posada Carriles, que puso la bomba y qué,
       han recibido una oferta de 125 mil dólares a cambio de tres jornadas de
       protesta, dijeron en la Universidad. Pero “esta calle es de Fidel“,
       insisten los muchachos más próximos a la ventana de la vivienda donde se
       encuentran reunidas.
       
       Se sabe que tienen ínfulas de heroínas, por más que nadie haya tenido jamás
       noticia de heroicidad a sueldo.
       
       Turistas y vecinos curiosos se aglomeran guardando cierta distancia de los
       Jóvenes Universitarios. Ellos son Los testigos; siempre en todas partes,
       diría el protagonista de una película famosa, espectadores, mirones del
       show, sapos.
       
       El lugar es un hervidero de gente, más o menos involucrada en la acción,
       más o menos actora, con papeles protagónicos, de relleno, figurantes; y
       caramelos, muchos, de fresa y menta, de los alargados hechos en casa,
       populares en paradas de autobús y cualquier esquina que prometa
       concurrencia de público por un tiempo prolongado. Y hay dulces, y frituras…
       hambre y aburrimiento.
       
       Una bandera cubana cubre la calle Neptuno a lo ancho, de una azotea a otra.
       Insignia de la Patria dando sombra, una sombra grande como ella. Se
       agradece: es mediodía y el sol es implacable; además, de la bandera se
       trata todo esto, y de su estrella: u-na-so-la, como la quieren los cubanos
       que quieren bien a Cuba.
       
       Ellos, los Jóvenes, no deben pecar de Ingenuos, etiqueta que se estampa en
       la frente de cualquiera que ose no estar sumido en la paranoia y actuar en
       consecuencia. Dice cierta prensa que no deben prestar oídos a cantos de
       sirenas (sic.), no. Por ejemplo, si estas mujeres aparentemente inofensivas
       llegaran a tomar las calles comenzaría a perderse el control de la
       situación, otros opositores comenzarían a salir también, y llegaría el
       momento en que “solo aplastándolos con nuestros tanques podremos
       restablecer el orden“, advierte con fatales aires de sabiduría alguien
       parado en otra sombra, no la de la bandera, un poco más allá. Me apresuro a
       espantar la imagen como si fuera una mosca.
       
       Sería un restablecimiento caro, demasiado caro; mucho más que el desorden y
       que los dulces que vende esa señora: 6 pesos cuando normalmente el precio
       es la mitad. Más chiquitos pero más caros. Quién entiende.
       
       Pasa el tiempo. Mantengo la distancia: yo no quiero gritar, no quiero ir a
       la primera línea, junto a la ventana, entrando en aquella casa con los ojos
       y el grito de viejas consignas. No conozco a esas mujeres, no voy a usar mi
       cuerpo como barrera, no soy una agente del orden, que por cierto, no ha
       sido quebrantado más que por el corte en la calle, esa enorme bandera y la
       bulla insoportable de los gritos. No estoy dentro de esa casa, pero tampoco
       estoy fuera. Estoy… en mí.
       
       Pasan horas. No saldrán, no hoy. La misión de los gritantes ha sido
       cumplida, y con el sol se retiran los últimos. Como ellos, vuelven los
       vendedores a sus casas, también sin voz, cansados de tanta faena.
       
       22 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mónica Rivero Cabrera
       
       ## TAGS
       
   DIR Kubataz
   DIR Dissidenten
   DIR Kuba
   DIR Kubataz
   DIR Kuba
   DIR Kuba
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Bürokratie in Kuba: Die Schlafende Schönheit
       
       Seit über zwei Jahren steht in Camagüey ein teurer Marmorsockel. Die
       dazugehörige Statue aber musste eingelagert werden.
       
   DIR Kommentar Obama in Kuba: Ein offenes Geheimnis
       
       Die USA könnten einiges tun, um einen Wandel in Kuba zu befördern: zum
       Beispiel das Embargo aufheben. Doch viele andere Probleme löst das nicht.
       
   DIR Opposition in Kuba: Zahl der Verhaftungen stark gestiegen
       
       Mehr als 400 Festnahmen aus politischen Gründen soll es allein im Oktober
       gegeben haben. Besonders betroffen: die Bürgerrechtsbewegung „Frauen in
       Weiß“.
       
   DIR Der Papst besucht Kuba: Keine Audienz für Kritiker
       
       Papst Benedikt XVI. reist nach Kuba – zur „Wiedergewinnung von Räumen in
       der Gesellschaft“. Für ein Treffen mit Dissidenten gibt es keinen
       Spielraum.
       
   DIR Interview mit kubanischem Ökonom: "Kuba verändert sich"
       
       Dass Fidel Castro sich aus der Politik zurückzieht, passt ins Bild. Denn
       das Kuba öffnet sich langsam für Reformen und kulturelle Freiheiten, so der
       kubanische Ökonom Omar Everleny Pérez
       
   DIR Nachruf auf Laura Pollán: Kubas Protestsymbol ist tot
       
       Die Gründerin der einflussreichen Frauenorganisation "Frauen in Weiß",
       Laura Pollán, ist am Freitag in Havanna im Alter von 63 Jahren einem
       Herzstillstand erlegen.