# taz.de -- Hamburger Reproduktionsbiologe über die Technik des Kinderzeugens: „Es gibt keine künstliche Befruchtung“
> Der Reproduktionsbiologe Andreas Schepers hat an der Zeugung hunderter
> Kindern mitgewirkt. Die Situation der Paare in Kinderwunsch-Behandlung
> geht ihm nahe
IMG Bild: „Die Eizelle ist schon sehr wählerisch“: Hakt es mit der Befruchtung, assistiert Andreas Schepers
taz: Herr Schepers, an der Zeugung wie vieler Kinder waren Sie bisher
beteiligt?
Andreas Schepers: Das kann ich gar nicht sagen, aber es sind viele. Die
Zahl ist mir nicht wichtig. Mir ist wichtig, dass das Paar, das ich
kennengelernt habe, seinen Kinderwunsch verwirklichen konnte – mit meiner
Hilfe.
Sie wohnen und arbeiten in Hamburg. Ist es so, dass Sie manchmal durch die
Stadt laufen und Ihnen Familien begegnen und Sie denken sich: Das ist
meins, das auch, das auch…
Nein, das denke ich gar nicht. Aber manche Paare treffe ich regelmäßig
zufällig, auch schon seit über zehn Jahren. Und dann sprechen wir natürlich
über ihre Kinder. Und das freut mich sehr.
Sie erinnern sich an alle Paare?
Nein, ich habe aber den Anspruch, die Paare in der Behandlung
kennenzulernen. Wenn sie zur Behandlung kommen, spreche ich vor der
Eizellentnahme mit der Frau und vor der Spermienabgabe mit dem Mann. Somit
weiß ich, von wem die Keimzellen stammen, bevor ich Eizellen und Spermien
zusammenbringe. Ich habe immer in Laboren gearbeitet, in denen der
persönliche Kontakt zu den Patienten für mich möglich war. Diese Behandlung
hat sehr viel mit Vertrauen zu tun.
Die PatientInnen kommen immer mit sehr großen Erwartungen zu Ihnen. Lastet
das auf Ihnen?
Wenn ich merke, dass Paare sehr ängstlich oder unsicher sind, versuche ich,
sie zu beruhigen. Ich erkläre Ihnen den Ablauf der Behandlung und bereite
sie im Aufwachraum nach der Punktion darauf vor, dass in seltenen Fällen
auch mal keine Befruchtung stattfindet oder es zu einer schlechten
Befruchtungsrate kommen kann. Wichtig ist, immer Hoffnung zu vermitteln,
denn selbst dann, wenn nur eine Eizelle gewonnen werden konnte, ist die
Chance auf eine Schwangerschaft da.
Wann hören Sie auf, den Paaren Hoffnung zu machen?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Die Eizellen sind allen
Umwelteinflüssen ausgesetzt und sie altern, sodass irgendwann keine
befruchtungsfähigen Eizellen mehr vorhanden sind. Die Frage ist: Wann ist
dieser Zeitpunkt erreicht? Dieser Zeitpunkt ist bei jeder Frau verschieden,
die eine Frau ist früh in der Menopause, die andere erst spät.
Auch junge Frauen haben Einschränkungen in der Fruchtbarkeit.
Manche Frauen sind schon mit Ende 30 in der Menopause, andere haben mit 45
noch befruchtungsfähige Eizellen. Solange wir eine befruchtungsfähige
Eizelle gewinnen können, so lange hat diese Frau auch die Chance, schwanger
zu werden. Ich kann von einer 45-jährigen Patientin berichten, deren
Großmutter auch spät Kinder bekommen hat und sie es deshalb versuchen
wollte, so lange es geht. Die Patientin hat nach mehreren Behandlungen ein
Kind bekommen.
Es gab ja vor einer Weile den Fall einer Frau in Berlin, die mit 62 noch
Vierlinge bekommen hat. Hätten Sie damit ein Problem?
Ja, ich finde es fragwürdig, einer 62-jährigen Frau vier Embryonen
einzusetzen. Man muss über eine Eizellspende generell und individuell
diskutieren. Es gibt Fälle, in denen es sinnvoll erscheint und diese
Behandlung für das Paar die einzige Chance auf ein Kind ist. In Deutschland
ist die Eizellspende verboten, im europäischen Ausland ist sie erlaubt. Ich
finde es ethisch fraglich, einer Frau im fortgeschrittenen Alter über 60
mehrere Embryonen einzusetzen und eine Mehrlingsschwangerschaft zu
riskieren. Üblicherweise werden in Deutschland nur ein oder zwei Embryonen
übertragen.
Gibt es auch psychologische Gründe, eine Behandlung zu stoppen oder zu
unterbrechen?
Ja, die gibt es, wenn z.B. der Kinderwunsch so groß ist, dass dieser sehr
großen Stress beim Paar verursacht. Ich möchte von einem Paar berichten.
Die Frau war 38 Jahre alt und wollte sehr schnell schwanger werden, da sie
große Angst hatte, bald nicht mehr schwanger werden zu können. Im ersten
Versuch wurde sie nicht schwanger und die Anspannung war noch viel höher,
sodass sie sofort mit einem weiteren Versuch starten wollte. Aus
verschiedenen Gründen war ein weiterer Versuch erst zwei Monate später
möglich, sodass wir dem Paar einen gemeinsamen Urlaub ohne Stress und
Anspannung empfahlen und den Termin für eine weitere Behandlung nach dem
Urlaub festlegten. Eine weitere Behandlung war erfreulicherweise nicht mehr
notwendig, da das Paar im gemeinsamen Urlaub schwanger geworden war. Dies
ist ein Beispiel dafür, dass auch der Kopf eine sehr große Rolle spielt,
beziehungsweise die Harmonie von Körper und Seele.
Die Frau hatte also Glück. Viele Paare haben das nicht. Die zehn Versuche
oder mehr hinter sich haben, viele tausend Euro investiert haben und viele
Jahre. Sagen Sie denen: Jetzt reicht es?
Wir suchen das Gespräch schon weit vor dem zehnten Versuch und überlegen
uns mit dem Paar Alternativen zu einer teuren hormonellen Stimulation. Eine
gute Alternative kann ein „Natural Cycle“ sein. Hierbei wird auf eine
hormonelle Stimulation verzichtet und man nutzt die eine Eizelle im
normalen Zyklus. Diese Behandlungszyklen sind sehr viel kostengünstiger und
weniger anstrengend für das Paar. Die Embryologen im Labor beurteilen die
Qualität der Eizelle in jedem Zyklus neu. Praktisch hat eine Frau in jedem
Zyklus mit einem Embryotransfer die Chance auf eine Schwangerschaft.
Frauen müssen bei einer Kinderwunschbehandlung meist viele Medikamente
nehmen, sich Spritzen setzen, obwohl das Problem manchmal auch beim Mann
liegt…
Der Kinderwunsch betrifft immer das Paar als Gemeinschaft, nie nur die Frau
oder nur den Mann. Leider sind die Eizellen nun mal viel schwieriger zu
bekommen als die Spermien. Meine Erfahrung ist in diesem Fall, dass die
Männer oft mehr leiden als ihre Frauen, weil sie sich schuldig fühlen.
Dabei geht es bei der Kinderwunschbehandlung nicht um Schuld, sondern um
vielleicht die eine oder andere Einschränkung, bei deren Überwindung wir
helfen wollen.
Warum und wie sind Sie Reproduktionsbiologe geworden?
Ich habe schon früh im Biologiestudium die Weichen auf
Reproduktionsbiologie und Embryologie gestellt, obwohl die praktische
Anwendung in der Medizin noch nicht verbreitet war. Dies geschah aus reinem
Interesse an diesen Bereichen der Biologie.
Wenn Sie in Ihrem Labor sitzen und Eizelle und Spermium zusammenbringen:
Was fühlen Sie?
Die ICSI ist auch nach 20 Jahren immer noch ein „magischer Moment“. Bei der
Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) handelt es sich um eine
Technik, die der Embryologe oder die Embryologin routiniert beherrschen
muss. Dennoch ist jede ICSI ganz individuell und besonders, da die
Keimzellen von einem individuellen Paar stammen. Dieses Paar habe ich vor
Augen, wenn ich die ICSI durchführe. Gleiches gilt natürlich auch bei der
Durchführung der konventionellen In-vitro-Fertilisation (IVF).
Und wenn das Spermium dann einen Kopfdefekt hat, sehen Sie dann auch den
Mann?
Defekte Spermien sind etwas ganz Normales und kommen in jedem Ejakulat vor.
Spermien werden auf Masse produziert, da ist ein gewisser „Ausschuss“ ganz
normal. Bei der ICSI suchen wir die Spermien nach morphologischen Aspekten
aus, da wir wissen, dass nicht alle Spermien von der Eizelle akzeptiert
werden. Ein Spermium mit Kopfdefekt reduziert trotz ICSI die Chance einer
Befruchtung. Die Eizelle ist da schon sehr wählerisch.
Sie übernehmen also die natürliche Selektion.
Das kann man so nicht sagen. Es gibt trotz ICSI keine Garantie auf
Befruchtung. Die Bezeichnung „künstliche Befruchtung“ suggeriert dieses.
Eine künstliche Befruchtung gibt es nicht. Ich spreche lieber von
assistierter Befruchtung, da wir lediglich den Weg zwischen Eizelle und
Spermium verringern können. Über die Befruchtung entscheidet die Eizelle
selbst. Nur wenn alles stimmt, kommt es zur Befruchtung.
Wie sehr nehmen Sie Anteil?
Ich nehme Schicksale auch mal mit nach Hause. Paare mit vielen erfolglosen
Versuchen etwa liegen mir sehr am Herzen. Hier hofft das ganze Team
besonders, dass der nächste Versuch gelingt. Jeder Fall wird im gesamten
Team der Praxis Kinderwunsch Valentinshof besprochen, Gynäkologinnen,
Androloge und Embryologen sind beteiligt.Der Tag des Schwangerschaftstests
ist dann eine besondere Situation, die für das Paar auch mal schwierig sein
kann.
Warum?
Die Patientin kommt morgens zur Blutabnahme und nachmittags bekommt sie
einen Anruf, ob der Schwangerschaftstest positiv ist oder nicht. Bei einem
negativen Ergebnis ist es wichtig, das Paar aufzufangen, schon am Telefon
einfühlsam zu sein. Wir nehmen uns Zeit am Telefon und bieten einen
schnellen Termin für ein Gespräch an.
Und wenn der Test positiv ist?
Dann rufe ich an, gratuliere und freue mich mit dem Paar. Wenn ich mit
einem Paar spreche, welches schon länger in Behandlung ist und endlich
schwanger wurde, freue ich mich ganz besonders und bin ganz gerührt.
Wie oft passiert Ihnen das?
Oft.
25 Jul 2016
## AUTOREN
DIR Annika Stenzel
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