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       # taz.de -- Türkei nach gescheitertem Putsch: Opposition geht wieder auf die Straße
       
       > Die HDP und die CHP demonstrieren in Istanbul. Derweil verkündet die
       > Regierung weitere Verschärfungen im Zuge des Ausnahmezustands.
       
   IMG Bild: Szene von der HDP-Demonstration am Samstag
       
       Istanbul taz | An diesem Wochenende ist die türkische Opposition nach
       tagelanger Schockstarre wieder aufgewacht. Mehr als eine Woche nach dem
       gescheiterten Putschversuch führte zunächst die kurdisch-linke HDP in einem
       Vorort von Istanbul am Samstag eine Kundgebung durch. Am frühen
       Sonntagabend soll in Istanbul zudem eine Großdemonstration starten, zu der
       neben der größten Oppositionspartei CHP auch viele Gewerkschaften und
       Berufsorganisationen aufgerufen haben.
       
       Aufmerksam wurde in der türkischen Öffentlichkeit registriert, dass Erdoğan
       trotz Ausnahmezustand beide Demonstrationen genehmigte und die AKP ihre
       Leute sogar dazu aufrief, sich an der CHP-Demo zu beteiligen. Damit keimte
       erste Hoffnung auf, dass Erdoğan vielleicht doch noch die von allen
       Parteien geteilte Ablehnung des Putschversuchs dazu nutzen könnte, die
       innenpolitischen Gräben im Land etwas einzuebnen. Sorgfältig werden deshalb
       von der Opposition alle Maßnahmen des Ausnahmezustands registriert.
       
       Als Erstes verkündete die Regierung am Wochenende eine Liste von
       Institutionen, die angeblich zum Umfeld der Gülen-Bewegung gehören und
       deshalb jetzt geschlossen werden. Darunter sind 934 Privatschulen, 15
       private Universitäten, 109 Schüler- und Studentenwohnheime, 1.125 Vereine
       und 104 Stiftungen.
       
       Die hohe Zahl resultiert daraus, dass die Gülen-Sekte einen ihrer
       Schwerpunkte in der Bildungsarbeit hatte. Ob die Schließung der
       Einrichtungen rechtsstaatlich vertretbar ist, wird stark bezweifelt. Der
       Staat zieht das Vermögen ein, Schüler und Studenten sollen auf staatliche
       Schulen und Universitäten umverteilt werden. Das Bildungsministerium plant
       die Einstellung von 20.000 neuen Lehrern.
       
       ## Längere Untersuchungshaft
       
       Massiv kritisierte der Co-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş,
       während seiner Kundgebungsrede am Samstag eine weitere Entscheidung im Zuge
       des Ausnahmezustands. Die Dauer, die ein Untersuchungshäftling in
       Polizeihaft gehalten werden darf, ohne einem Haftrichter vorgeführt werden
       zu müssen, wurde von 48 Stunden auf 30 Tage erhöht. „Das“, so Demirtaş,
       „ist ein Blankoscheck für Folter und Misshandlungen“.
       
       In der Vergangenheit fanden tatsächlich die schlimmsten Folterungen in
       Polizeihaft statt und nicht in regulären Gefängnissen. Daher ist jetzt zu
       befürchten, dass Festgenommene, um sie einzuschüchtern, in Haft misshandelt
       werden, ohne das es zu einem Prozess kommt.
       
       Auch die zunehmende rechtliche Unsicherheit wird zu einem Problem der
       Regierung. Die Schwachstelle in Erdoğans zunehmend totalitärer agierendem
       Staat ist die Wirtschaft, die dringend auf ausländisches Kapital angewiesen
       ist. Angesichts des Putschversuchs und der Reaktionen darauf haben die
       beiden großen US-Ratingagenturen Standard&Poors und Fitch die Bonität
       türkischer Staatsanleihen fast auf Ramschniveau gesenkt. Milliarden
       ausländischer Gelder sind bereits abgeflossen und neue Investoren zögern,
       in die Türkei zu gehen. Erdoğan hat den Ratingagenturen deshalb bereits
       „Türkenfeindlichkeit“ vorgeworfen.
       
       24 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
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