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       # taz.de -- Vinyl-Boom in Deutschland: Endlich wieder Plattenbau
       
       > Vinyl boomt – doch nach jahrzehntelanger CD-Herrschaft gibt es kaum noch
       > Schallplattenpressen. Nun arbeiten Hersteller an neuen Maschinen.
       
   IMG Bild: It's vinyl, baby
       
       Stolz steht Erwin Neubauer neben einer Maschine, bei der vor wenigen Jahren
       niemand dachte, dass sie jemals wieder gebaut werden würde. Es ist ein
       recht schlanker Apparat aus blau-weißem Metall auf einem langen Fuß, gut
       1,50 Meter hoch. Versehen mit orangefarbigen Schläuchen für kochend heißes
       und Kühlwasser, zusammengehalten von faustgroßen Muttern, um dem immensen
       Druck in der Produktion standzuhalten: eine neue Schallplattenpresse.
       
       Das Wort klingt wie aus einer vergangenen Zeit. Nach einer Technik, für die
       sich ewig niemand interessierte – die dafür mittlerweile aber umso
       begehrter ist. „Heute ist der Markt abgegrast“, sagt Neubauer mit einem
       Grinsen. Genau das will er ausnutzen. Der 55-Jährige ist Geschäftsführer
       der Firma Newbilt aus Alsdorf bei Aachen. Im Januar brachten er und seine
       Mitstreiter nach 30 Jahren wieder eine neue Schallplattenpresse auf den
       Weltmarkt und wollen damit vom aktuellen Vinylrevival profitieren.
       
       Nachdem Schallplatten lange Zeit nur von einem kleinen Liebhaberkreis
       gekauft wurden, zieht der Markt seit einigen Jahren mit zweistelligen
       Wachstumsraten wieder rasant an. Laut dem Bundesverband Musikindustrie
       stieg der Vinylumsatz in Deutschland allein im Jahr 2015 um 31 Prozent auf
       50 Millionen Euro an. In den USA setzte die Musikindustrie im vergangenen
       Jahr mit knapp 17 Millionen Schallplatten gar über 416 Millionen US-Dollar
       um und damit so viel wie zuletzt Ende der Achtziger. Was den gesamten
       Musikmarkt betrifft, ist Vinyl mit einem einstelligen Umsatzanteil zwar
       noch immer ein Nischenprodukt – aber eines, das konstant und stark wächst.
       
       Das merken auch die Presswerke: „Die Zahl der Pressaufträge,
       beziehungsweise der Wunsch nach Fertigung übersteigt immer noch die
       weltweit bei den wenigen Anbietern vorhandenen Kapazitäten“, sagt Petra
       Funk von Optimal Media. Bei Deutschlands größtem Presswerk aus Röbel an der
       Müritz würden sie gerne ihre Kapazitäten ausbauen, sprich Pressen
       dazukaufen. Bloß: Es gibt kaum noch welche.
       
       ## Globale Suche nach Pressen
       
       Die letzten Maschinen stellte die schwedische Firma Toolex Anfang der
       achtziger Jahre her. Geld machte man damals plötzlich mit CDs, die
       Schallplattenproduktion aber wurde zunehmend gedrosselt oder ganz
       eingestellt. Für Vinylpressen bestand kein Bedarf mehr. Die Maschinen
       verstaubten in den Presswerken, oder wurden gleich verschrottet. Heute
       hingegen suchen Unternehmen mühsam den Globus nach Pressen ab, manche bis
       nach Simbabwe oder Venezuela.
       
       Dies bekam auch Erwin Neubauer mit. Der Maschinenhersteller ist seit
       Jahrzehnten im Tonträgergeschäft tätig. Zuletzt hatte er in Alsdorf
       gebrauchte CD- und DVD-Anlagen überarbeitet und weiterverkauft. Ein alter
       Bekannter kam auf ihn zu, der das Gleiche mit Vinylpressen vorhatte und nun
       Platz brauchte, um die Maschinen aufzubereiten.
       
       Anfang 2015 legten sie los und entwarfen ihre Maschine nach dem Vorbild
       einer Presse der US-Firma Finebilt aus dem Jahr 1955. „Es kamen zunehmend
       Anfragen. Der Markt an gebrauchten Maschinen aber wurde immer kleiner“,
       sagt der Geschäftsführer. „Wenn es aber immer schwerer wird, alte Pressen
       zu finden und deren Preise zunehmend steigen, warum sollte man da nicht
       gleich neue bauen?“ Die erste konnten sie im Januar dieses Jahres
       ausliefern.
       
       ## Neue Anbieter drängen auf den Markt
       
       Auch wenn es weltweit der erste Verkauf einer neuen Presse seit über 30
       Jahren war, sind die Alsdorfer nicht die ersten, die einen neuen Apparat
       zur Schallplattenproduktion gebaut haben. Das tschechische Unternehmen GZ
       Media in Loděnice, das nach eigenen Angaben das größte Plattenpresswerk der
       Welt betreibt, hat ebenfalls neue Pressen entwickelt. Seit Ende 2014 sind
       die Maschinen in Betrieb. Um die eigene Marktstellung zu sichern, verkauft
       GZ Media die Gerätschaften jedoch nicht an andere Presswerke.
       
       Trotzdem wird das Alsdorfer Unternehmen nicht mehr lange der einzige
       Anbieter auf dem Markt bleiben. Viryl Technologies aus Toronto hat
       ebenfalls eine neue Presse entwickelt und gibt an, die ersten Maschinen im
       August 2016 ausliefern zu können. Und auch in Schweden arbeitet eine Firma
       an einer neuen Presse.
       
       Im Unterschied zur halbautomatischen Presse von Newbilt handelt es sich bei
       den Apparaten aus Kanada und Schweden zudem um Vollautomaten. Während der
       Halbautomat von Newbilt immer von einem Mitarbeiter bedient werden muss,
       der die weichen Vinylkuchen für jede Platte einzeln in die Presse legt,
       werden bei einem Vollautomaten die Scheiben komplett maschinell
       hergestellt. Der Pressvorgang ist dadurch nicht nur schneller und erlaubt
       höhere Stückzahlen, es werden auch weniger Angestellte benötigt, die sich
       um die Anlagen kümmern. „Halbautomaten sind für uns weniger interessant, da
       sie viel Personal brauchen“, sagt Patrick Roll von der Schallplattenfabrik
       Pallas im niedersächsischen Diepholz. Hier wie in anderen großen
       Presswerken geht es daher um neue Vollautomaten, um die Kapazitäten zu
       erhöhen.
       
       ## Maschinen für Jack White
       
       Hat Newbilt also am Markt vorbeientwickelt? Neubauer beunruhigen solche
       Statements nicht. Seine Firma sei international ausgerichtet: Die erste
       Presse im Januar wurde an ein Werk in Argentinien verkauft. „Das blaue Ding
       hier geht nach Florida“, sagt er, auf die Maschine neben sich zeigend. Für
       Presswerke in Irland und Frankreich seien die nächsten Aufträge bestimmt.
       Und dann haben sie auch schon vier Maschinen an Third Man Records verkauft,
       das Label des ehemaligen White-Stripes-Sängers und Vinylenthusiasten Jack
       White, die nur noch auf ihre Auslieferung warten.
       
       White baut derzeit in Detroit ein neues Presswerk für Third Man Records
       auf. Berühmt ist das Label für seine aufwendig-verspielten
       Schallplatteneditionen. Mal sind die Platten statt wie üblich in Schwarz
       jeweils zur Hälfte Rot und Weiß, mal ist gleich ein richtiges Bild der Band
       auf die Scheibe gepresst. Bei Fans und Sammlern sind diese Platten heiß
       begehrt. Anfertigen lassen sie sich aber nur mit halbautomatischen Pressen.
       
       Da auch die Zahl solcher Spezialeditionen steigt, bleibt Neubauer
       zuversichtlich, was seine Maschine betrifft. „Zudem sind sie besser
       geeignet für kleine Aufträge und im Moment geht es vor allem darum“, sagt
       er. Trotzdem wollen sie auch in Alsdorf nicht stehen bleiben und zukünftig
       auch Vollautomaten anbieten. Der Bedarf danach scheint da zu sein –
       zumindest solange der Vinylboom anhält.
       
       27 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Latz
       
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