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       # taz.de -- Kolumne Hier und dort: Was ist da los in Deutschland?
       
       > Angenommen, nicht ein Mörder, sondern ein Forscher aus München hätte
       > Schlagzeilen gemacht. Hätte man dann auch seine iranische Identität
       > genannt?
       
   IMG Bild: Ja, was ist denn bloß los?
       
       Gerade war ich unterwegs zu deutschen Freunden von mir, da bekam ich
       plötzlich haufenweise Nachrichten von Freunden in Syrien wie auch von
       denen, die wie ich irgendwohin geflüchtet waren.
       
       Alle erkundigten sich in besorgtem Ton, was da in Deutschland los sei und
       ob es mir gut ginge. Zuerst wunderte ich mich darüber, ich hatte noch
       nichts mitbekommen. Dann erfuhr ich es von ihnen: Terroranschlag in München
       – mit Toten!
       
       Bei meinen Freunden angekommen, ließ ich mich von ihnen auf den neuesten
       Stand bringen und begann, die Reaktionen auf die Tragödie zu verfolgen.
       Voller Mitleid mit den Opfern fragte ich mich, wie jemand so weit gehen
       konnte, einem anderen das Leben zu nehmen, gar einen Massenmord zu begehen.
       Nur geistig Verwirrte konnten so etwas tun, so mein erster Gedanke.
       
       Ich dachte gar nicht weiter darüber nach, wer der oder die Täter sein
       mochten. Mir war ohnehin klar, dass allen Mördern – ob hier in Deutschland
       oder dort im kriegsgebeutelten Syrien – nur ein Identitätsmerkmal gemeinsam
       ist: das Mördersein. Nationale, ethnische oder religiöse Identitäten hin
       oder her.
       
       ## Syrische Exilcommunity
       
       Alle Welt schien sich in der Verurteilung des Anschlags überbieten zu
       wollen. Manche machten es sich leicht, indem sie ins Blaue hinein den
       „Flüchtlingen“ die Schuld gaben, noch bevor die zuständige Polizei eine
       Stellungnahme abgegeben hatte.
       
       Die ganze syrische Exilcommunity analysierte, schlussfolgerte, prangerte an
       und bemitleidete. Gleichzeitig machte sich – angesichts der wild aus dem
       Boden schießenden Spekulationen, die allesamt von einer nichtdeutschen
       Täterschaft ausgingen – Sorge um die Situation der Geflüchteten breit.
       
       Diese würden sich nun mehr denn je genötigt sehen, ihre Unschuld zu
       beweisen und das ihnen wie ein Fluch anhaftende Stereotyp zu entkräften,
       wonach „die Flüchtlinge“ einfach nicht für das Leben in einer Gesellschaft
       wie der deutschen taugten.
       
       Waren sie nicht bildungsfern und kamen aus gesellschaftlichen und
       religiösen Kontexten, wo solche Taten quasi dazugehörten? Als hätte es
       davor in Deutschland und Europa keine Verbrechen gegeben und gäbe es sie
       ohne Flüchtlinge nicht auch weiterhin.
       
       ## Angst vor Rassismus
       
       In den sozialen Netzwerken formulierten zahlreiche syrische Geflüchtete
       ihre Ängste. Jemand schrieb resigniert: „Wir sind aus Angst vor dem Krieg
       geflohen, jetzt hat uns die Angst vor dem Rassismus eingeholt. Wie kommen
       wir da bloß raus?“
       
       Schließlich verdichteten sich die Meldungen: Bei dem Täter handelte es sich
       um einen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen jungen Mann. Dennoch
       konnten es sich die Medien nicht verkneifen, ihn als iranischstämmig zu
       titulieren.
       
       Was wiederum zu einer Reihe von ironischen Kommentaren Anlass gab, wie etwa
       dem: „Und wenn es nun kein Amokläufer, sondern, sagen wir mal, ein Forscher
       gewesen wäre, der ein Medikament gegen eine unheilbare Krankheit entwickelt
       hätte. Wäre dann auch von seinen iranischen Wurzeln die Rede gewesen? Oder
       hätte man seinen Erfolg dann nicht ausschließlich seiner deutschen
       Identität zugeschrieben?“
       
       1 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kefah Ali Deeb
       
       ## TAGS
       
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