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       # taz.de -- Die Wahrheit: Die essbare Küste
       
       > Seetang ist das neue Superfood und prima fürs Geschäft. Ob auch in
       > Zukunft alle Iren sich am Grünzeug bereichern dürfen, ist fraglich.
       
   IMG Bild: Voll super für Haifischzähne: die Acerola-Kirsche
       
       Man kann das Zeug essen oder trinken, man kann darin baden, oder man kann
       es rauchen. Man verwendet es in der Kosmetik und der Pharmazie, für
       Tierfutter oder auch als Düngemittel. Seetang scheint eine Art Superfood zu
       sein. Warum sind das stets jene Produkte, die mir nicht schmecken? Warum
       darf eine mit fettem Speck, Gurken und Zwiebeln gefüllte Roulade kein
       Superfood sein?
       
       Im westirischen Connemara hat ein Restaurant namens „Dillisk“ in einem
       Bootsschuppen eröffnet, wo man die Zutaten vom Fenster aus abrupfen kann.
       Dillisk heißt auf Deutsch Lappentang, und den bekommt man in dem Restaurant
       serviert. Ebenfalls populär ist der Knorpeltang Carrageen, auch als „Irisch
       Moos“ bekannt – nicht zu verwechseln mit dem Rasierwasser, das sich
       olfaktorisch Minderbemittelte ins Gesicht schmieren.
       
       Da Irland mit einer 7.800 Kilometer langen Küste gesegnet ist, herrscht
       kein Mangel an Seetang. Bisher war die staatliche Firma Arramara Teoranta
       in Connemara für die Verarbeitung zuständig. Doch dann wurde sie vor
       einiger Zeit an das kanadische Unternehmen Acadian Seaplants verkauft. Der
       zuständige Minister Dinny McGinley jubelte damals: „Der Verkauf sichert die
       Zukunft der Firma.“
       
       Er vergaß zu erwähnen, dass die Zukunft keineswegs in Gefahr war, denn
       Arramara Teoranta war durchaus profitabel. Wenn eine Behörde ein
       florierendes Staatsunternehmen an eine Privatfirma verhökert, kann man
       sicher sein, dass etwas faul ist, zumal die Vertragspartner Stillschweigen
       über die Verkaufsbedingungen vereinbart haben. Erst in zehn Jahren wird man
       erfahren, welche Politiker dabei abkassiert haben.
       
       Die Küstenbewohner fürchten nun um ihr uraltes Recht, Seetang zu sammeln,
       um es zu verkaufen oder das karge Land fruchtbarer zu machen. Die
       Befürchtungen sind berechtigt. Hatte Arramara Teoranta bereits den Seetang
       von rund 300 Erntearbeitern gekauft, so beantragte das Unternehmen kurz vor
       der Privatisierung die Exklusivrechte. Darüber hinaus möchte man den
       englischen Namen „Seaweed“ abschaffen – klingt zu sehr nach Unkraut.
       Stattdessen sollen die Algen künftig Meeresgemüse heißen. Irgendwann wird
       McDonald’s einen Algenburger auf die Speisekarte setzen.
       
       Unser Nachbar James hat sein Leben lang Seetang in Fanore an der Bucht von
       Galway gesammelt und verkauft. Sollte das nun verboten sein? Es gibt ein
       Gesetz über das Sammeln von Seetang, aber niemand scheint zu wissen, was da
       genau drinsteht. Nun ist James alt, und es fällt ihm schwer, die mühsame
       Arbeit zu verrichten.
       
       Nachdem im Frühjahr ein heftiger Sturm an der Westküste getobt hatte,
       glaubte James am nächsten Morgen seinen Augen nicht zu trauen: Die Fassade
       seines Hauses war bis zum Dach mit Seetang bedeckt, insgesamt waren es mehr
       als 100 Kilo. Er verkaufte sie an die Konkurrenz von Acadian Seaplants und
       verprasste das Geld in einem Restaurant. „Aber in einem, das garantiert
       keinen Seetang auf der Speisekarte hatte“, sagte er.
       
       1 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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