URI: 
       # taz.de -- Rechte Hochschuldozenten: Dürfen sie so etwas twittern?
       
       > Professoren, die islam- oder ausländerfeindliche Parolen verbreiten,
       > ecken an. Verboten ist ihre Hetze in den meisten Fällen nicht.
       
   IMG Bild: Wissenschafts- und Meinungsfreiheit sind schwer erkämpft. Und leicht zu verspielen
       
       Berlin taz | An einem Donnerstagabend im April wird den Studierenden der
       Uni Leipzig klar: Mit Argumenten ist dem rechten Professor nicht
       beizukommen. Werfen sie ihm Hetze vor, spricht er von Meinungsdiktatur.
       Appellieren sie an seine Verantwortung, gibt er sich als pflichtbewusster
       Patriot. Begrüßen sie, dass seine Fakultät ihm den Posten des
       Auslandsbeauftragten entziehen will, wähnt er sich rechtswidrig
       sanktioniert.
       
       Der Leipziger Zivilrechtler Thomas Rauscher erregt seit Monaten den
       Widerspruch von KollegInnen und Studierenden. Rauscher, der an der
       Juristenfakultät den Lehrstuhl für Internationales Privatrecht,
       Europäisches Privatrecht sowie Bürgerliches Recht innehat, verbreitet auf
       Twitter regelmäßig islam- und ausländerfeindliche Botschaften.
       
       In einem seiner Tweets verteidigt er etwa die Lehre vom „afrikanischen
       Ausbreitungstyp“, mit der sich der thüringische AfD-Fraktionsvorsitzende
       Björn Höcke Ende vergangenen Jahres selbst für Teile seiner Partei
       unmöglich gemacht hat: „Was Höcke sagt, ist nicht Rassismus, sondern
       Realität: 1,3 Kinder je deutsche Frau, 4,8 südlich der Sahara. Das ist
       NICHT unsere Verantwortung!“.
       
       An anderer Stelle bezeichnet Rauscher den Islam als „hochaggressive
       Ausbreitungsreligion“, die „71 Jahre Frieden in Europa“ beende. Aktuell
       wähnt er sich durch den Ansbacher Anschlag bestätigt, nachdem er vor
       Flüchtlingen gewarnt hatte, die in Deutschland nicht Schutz suchten,
       sondern Anschlagsziele: „Nichts unter Kontrolle! Ein längst auffällig
       gewordener abgelehnter Asylbewerber hat einen kleinen Bombenbaumarkt auf
       der Asylantenheimbude“.
       
       ## Man beruft sich auf das Grundgesetz
       
       All das sei gedeckt durch Artikel 5 des Grundgesetzes, das Recht auf freie
       Meinungsäußerung. So sieht es Rauscher. So sieht es – wenn auch
       zähneknirschend – ebenfalls die Hochschulleitung. Viele andere wundern
       sich: Darf ein verbeamteter Hochschullehrer so etwas twittern?
       
       Auch in der Vergangenheit hat das Land über die politische Haltung ihrer
       Beamten gestritten. 1972 wollte Kanzler Willy Brandt (SPD) mit dem
       „Radikalenerlass“ bekennende Kommunisten aus dem öffentlichen Dienst
       entfernen – oder erst gar nicht einstellen. Bis 1982 wurden 3,5 Millionen
       BewerberInnen auf ihre Gesinnung geprüft. Rund 10.000 erhielten ein
       Berufsverbot.
       
       Heute stellt sich die Frage nach dem Berufsverbot neu – aber für rechte
       Beamte. Und nicht nur in Leipzig. An der Universität Bayreuth machte der
       Islamwissenschaftler Hans-Thomas Tillschneider keinen Hehl aus seiner Nähe
       zur AfD. Auf der Website „Patriotische Plattform“, wo deren Mitglieder ihre
       Sicht der Welt darlegen, sprach sich der Professor schon 2014 gegen die
       Gleichbehandlung von Religionen aus. „Ein die Kulturen übergreifendes
       Rechts- und Wertesystem existiert nicht. Eben deshalb kann es eine volle
       Gleichberechtigung des Islam auch und gerade dann nicht geben, wenn wir ihn
       mit dem Christentum gleichstellen“, schrieb er.
       
       ## Statistikübungen
       
       Der Uni-Rektor distanzierte sich persönlich von seinem neurechten Kollegen,
       doch eine öffentliche Haltung zu Tillschneider hat die Hochschule nicht
       gefunden. Der Islamwissenschaftler zog im März für die AfD in das Parlament
       von Sachsen-Anhalt ein – damit ruhen automatisch seine universitären Ämter.
       
       In Berlin hat der Diplom-Mathematiker Wolfgang Hebold im Mai seine
       Lehraufträge an zwei Berliner Hochschulen verloren. Grund: Unter
       Statistikübungen auf der privaten Webseite des Diplom-Mathematikers fanden
       sich diskriminierende Aufgaben. In einer sollten die Studierenden
       berechnen, welcher statistische Zusammenhang zwischen der Anzahl von
       Terroranschlägen und dem Anteil der muslimischen Bevölkerung besteht. Das
       Pikante: Auf derselben Plattform betreibt der Dozent ein Blog namens „Die
       Verheerung Europas“, in dem er gegen „Gutmenschen“, „Kopftuchmoslems“ und
       die „Ideologie Islam“ wettert.
       
       Als das bekannt wurde, kündigte erst die Hochschule für Wirtschaft und
       Recht (HWR), dann eine zweite Hochschule seinen Lehrauftrag. Hebold gibt
       sich als Verfolgter: Nach seiner Entlassung schreibt er in sein Blog: „In
       diesem Land ist das Äußern einer anderen Meinung zunehmend riskanter
       geworden. Man riskiert, dass einen die Phalanx der gutdeutschen Presse
       zertrampelt“.
       
       Im Gegensatz zu seinen Gesinnungskollegen aus Leipzig und Bayreuth jedoch
       sind Hebolds Äußerungen möglicherweise strafrechtlich relevant. Seit Mitte
       Juni ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Exdozenten. Ob sie
       ihn letztlich verurteilt, ist aber fraglich: „Das Recht auf freie
       Meinungsäußerung ist ein hohes Gut“, heißt es dort auf Nachfrage. Bei
       Hasskommentaren im Netz gebe es „immer schwierige Abwägungsfragen“.
       
       Entsprechende Passagen finden sich auf dem Portal zuhauf. In einem Eintrag
       vom April setzt er die Vernichtungsideologie des Nationalsozialismus mit
       dem Islam gleich. Die Nazis hätten es „versäumt, ihren Adolf zum Propheten
       zu machen. (…) Die Moslems waren da pfiffiger. Sie etikettieren ihre
       Ideologie als Religion und dürfen verbreiten und machen, was sie wollen.
       Sie dürfen das einzige Buch ihres Führers in der Einkaufsmeile verkaufen
       und natürlich dürfen sie sich jeden Tag zichmal [sic!] im Namen Mohammeds
       grüßen. Da ändern all die Verbrechen des Kinderschänders nichts dran.“
       
       ## „Ich bin nicht rassistisch“
       
       Sind solche Aussagen noch vom Recht auf freie Meinung gedeckt? Der
       Rechtsanwalt Christian Solmecke hat für die taz mehrere Passagen aus
       Hebolds Blogs untersucht. Aus seiner Sicht erfüllen sie grundsätzlich weder
       den Straftatbestand der Beleidigung noch der Volksverhetzung. Mit einer
       Ausnahme: Dass der Dozent den Propheten Mohammed als „Kinderschänder“
       bezeichnet, könnte strafbar sein. Begründung: Wer religiöse oder
       weltanschauliche Bekenntnisse anderer beschimpft, riskiere den öffentlichen
       Frieden. „Im Falle der Mohammed- Karikaturen wurde deutlich, wie sehr die
       Öffentlichkeit in Aufruhr versetzt wurde“, erinnert sich Solmecke.
       
       Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt jedoch aus einem anderen Grund:
       Sie verdächtigt den Exdozenten – entgegen Solmeckes Einschätzung – der
       Volksverhetzung.
       
       Gegenüber der taz sagt Hebold: „Ich bin nicht rassistisch, ich bin
       antiislamisch. Genauso wie ich auch antifaschistisch oder antikommunistisch
       bin.“ Wenn er Mohammed als Kinderschänder bezeichne, spreche er nur
       Tatsachen aus. Er wolle damit auf die Frauenfeindlichkeit des Islam
       hinweisen. Eine Beleidigung oder gar Volksverhetzung sieht Hebold darin
       nicht. Gegen die Kündigungen klagte er vor dem Arbeitsgericht. Ein erstes
       Treffen mit einer der Hochschulen führte zu keiner Einigung. Hebold fordert
       die volle Semestervergütung.
       
       Egal, wie Arbeitsgericht und Staatsanwaltschaft entscheiden – der Fall
       zeigt, wie weit der Schutz der freien Meinungsäußerung reicht. Und wie
       selten die Hochschulen von selbst auf die Umtriebe ihres Personals kommen.
       Hätte sich nicht ein Student mit der diskriminierenden Statistikübung an
       den rbb gewandt – die Hetze des Dozenten wäre vielleicht nie aufgeflogen.
       In den fünf Jahren, in denen Hebold an der HWR unterrichtete, versichert
       die Hochschule, hätten die Studierenden nicht eine Beschwerde über den
       Dozenten eingereicht. Anders beim Leipziger Jura-Prof Rauscher. „Von Ihnen
       will ich nichts lernen“, wirft ihm eine Studentin an den Kopf.
       „Verantwortungslos“ nennt ihn ein anderer.
       
       ## Freiheit der Wissenschaft
       
       An jenem Donnerstag im April stellt sich Rauscher der Diskussion mit
       Studierenden – und der Uni-Rektorin Beate Schücking. Das Audimax ist voll.
       Bisher hat sich die Rektorin klar gegen gegen Sexismus, Fremdenhass und
       Nationalismus positioniert. Auf Plakaten wirbt sie um eine „weltoffene
       Hochschule“. Doch an diesem Tag werden die Anwesenden enttäuscht: „Ich bin
       als Rektorin nicht die Polizei der Universität, die auch noch Eingriffe in
       die Meinungsfreiheit nimmt, indem sie dann versucht, einzelne Professoren
       auf Linie zu bekommen“, stellt Schücking zu Beginn klar. „Wir haben neben
       der Meinungsfreiheit ja auch noch die Wissenschaftsfreiheit.“
       
       Es klingt wie eine Resignation vor einem Kollegen, der das Plakat, auf dem
       die Hochschule gegen Fremdenhass wirbt, aus seiner Fakultät hat entfernen
       lassen. Schließlich sagt die Rektorin, Ausländerfeindlichkeit betreffe den
       Kern der Universität: den Austausch ohne Grenzen. Dazu gehöre, zwischen
       Ausländern und Inländern keinen Unterschied zu machen. Die Uni-Leitung,
       schließt Schücking, sei kein politisches Amt. Aber auch kein unpolitisches.
       
       Für Rauschner heißt das: Nicht nur die Uni muss seine rechten Tweets
       verkraften. Auch der Professor, der hetzt, muss eine politische Uni
       ertragen.
       
       1 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Pauli
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Wissenschaft
   DIR Meinungsfreiheit
   DIR Rechtstextreme
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Universität Leipzig
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Diskriminierung
   DIR Freie Universität Berlin
   DIR Schwerpunkt taz Leipzig
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Hass
   DIR Islam
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rassismusvorwürfe an der Uni Leipzig: Rechter Juraprofessor darf bleiben
       
       Der Juraprofessor Thomas Rauscher fällt immer wieder mit rassistischen
       Äußerungen auf. Laut sächsischer Regierung kann er nicht aus dem Dienst
       entfernt werden.
       
   DIR Proteste gegen rechten Professor: Thomas Rauscher isoliert sich selbst
       
       Nach den rechten Twitterausfällen des Juraprofessors fordert die Leipziger
       Studierendenschaft seine Entlassung. Die Uni prüft rechtliche Schritte.
       
   DIR Uni Leipzig und rassistische Tweets: Juraprofessor für ein weißes Europa
       
       Studierende protestieren gegen die rassistischen Tweets eines
       Jura-Professors. Wegen der jüngsten Ausfälle prüft die Uni Leipzig Schritte
       gegen ihn.
       
   DIR Debatte um Safe Spaces: Bitte nicht den Kopf schütteln
       
       Britische Unis etablieren Safe Spaces – Orte, an denen nicht diskriminiert
       werden darf. Kritikern geht das zu weit. Wo endet die Meinungsfreiheit?
       
   DIR Petition zu Perspektiven an der Uni: Hinterm Pult waren alle weiß
       
       In der Vorlesung „Klimawandel in Afrika“ an der Freien Universität Berlin
       unterrichtete niemand aus Afrika. Das darf nicht sein.
       
   DIR Abzocke in Leipzig: Leere Versprechen, volle Bezahlung
       
       Die Panda GmbH lockt chinesische Studierende an die Uni Leipzig. Im
       vermeintlichen akademischen Paradies winken aber häufig nur hohe Kosten.
       
   DIR Potsdamer Tagung über AfD und FPÖ: Von Natur aus widersprüchlich
       
       Rechte sehen ihre völkische Ideologie als naturgegeben. Die
       Widersprüchlichkeit ihrer Argumentation ist kein Problem, sondern höchst
       erfolgreich.
       
   DIR Kommentar Hass-Postings im Netz: Ein spätes Erschrecken
       
       Allein mit juristischen Mitteln ist der Hetze im Netz oft nicht
       beizukommen. Es gilt, zivilisatorische Standards zu verteidigen.
       
   DIR Muslimin über Ausgrenzung: „Wie eine Reise ins Mittelalter“
       
       Sie kämpft gegen antimuslimischen Rassismus. Hatice Durmaz über
       salonfähigen Hass, Rechtspopulisten und Anfeindungen in Universitäten.