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       # taz.de -- Kolumne German Angst: Die Antwort auf alles? Abgrenzung
       
       > Das Attentat von München zeigt das Missverständnis unserer Gesellschaft
       > über Identität – und das über die Aufgaben von Polizei und Medien.
       
   IMG Bild: Warum? Als Antwort wird gerne auf die nicht-deutsche Herkunft des Attentäters verwiesen
       
       München ist wie ein Spiegel. In diesem entfaltet sich langsam eine ganz
       spezifische deutsche Tragödie. Vor lauter Islamistenangst rückte die
       Möglichkeit, dass hier ein Deutscher explizit als Deutscher gemordet haben
       könnte, [1][an den Rand des Vorstellbaren]. Kaum jemand traute sich, auf
       den Jahrestag von Breiviks Utøya-Morden auch nur hinzuweisen.
       
       Die Geschichte von Ali David S., dem stolzen Deutschen, musste darum erst
       nachgearbeitet werden. Denn obwohl für die Tat ohne Bedeutung, machten die
       (sozialen) Medien – auf den Pressekodex geschissen – die [2][Herkunft der
       Eltern] zur Hauptnachricht. Ganz so, als sei die Antwort auf das „Warum?“
       die, dass David S. ein falscher Deutscher gewesen sei.
       
       Diesen Kurzschluss zeigt der Dialog zwischen einem Anwohner und dem
       Attentäter. „Scheißkanake!“, brüllt der Rentner, eine rassistische
       Beschimpfung, die ihm wohl als Erstes (!) einfiel, und als Antwort bekam
       er: „Ich bin Deutscher. Ich bin in Deutschland geboren.“ Aber das zählt
       halt nicht bei einem Ali mit schwarzen Haaren.
       
       Dieser Wortwechsel zeigt die ganze verquere Debatte, das brutale
       Missverständnis, das in Deutschland über Identität allgemein und die seiner
       BewohnerInnnen herrscht. In einem Einwanderungsland sollte es keine
       Neuigkeit sein, dass Deutsche, auch die mit Migrationsgeschichte, sich
       deutsch fühlen. Zum Nazisein braucht es eben keinen Ariernachweis (mehr).
       
       Nach Würzburg, Ansbach und München müsste nun also die Diskussion beginnen:
       darüber, was jemanden dazu bringt, sein Deutschsein so wichtig zu nehmen.
       [3][Warum junge Männer sich zum Töten entschließen]. Über Radikalisierung
       in Europa.
       
       Aber wozu? Die Lösung ist ja schon gefunden: [4][Die Vereinfachung der
       Abschiebung] soll es richten. Abgrenzung, das ist die Antwort auf alle
       Fragen. Dabei geht es eben nicht um den aktuellen Fall, sondern um etwas
       anderes, Altes: Identität im Sinne von Herkunft.
       
       Gut, dass es in all dem Schlechten noch etwas Gutes gab. Um dem Horror von
       München etwas Tröstendes zu geben, fehlte ein Held. Helden hatte es in
       Paris gegeben und in Nizza, mutige Menschen, die ihr Leben für andere
       riskierten.
       
       In Deutschland war dieser Held – ein Polizist. Und bei aller Zufriedenheit
       mit der Polizeiarbeit, darüber, dass da ein starker Mann den aufgewühlten
       Leuten ein Gefühl vermittelt, in guten Händen zu sein, vergaß man eben das
       eine: dass die Polizei ein Staatsorgan ist und mit ihrer
       Informationspolitik eben den [5][Staatsinteressen dient] – ich verweise
       hier wieder auf den NSU, die Rechtsblindheit der Polizei.
       
       Die JournalistInnen haben in München nicht geglänzt. Ihre Aufgabe –
       Informationen zu verarbeiten, in einen Kontext zu stellen, zu kritisieren –
       erfüllten sie nur ansatzweise. Was aber passiert, wenn Staat und Polizei
       die Berichterstattung kapern? Wir sehen es unter anderem in der Türkei.
       
       Und hier ist man offenkundig bereit, sich zu fügen. Ein Uniformierter in
       Lodenjacke als Hauptsympathieträger jedenfalls spricht Bände über unserer
       Gesellschaft. Fürs nächste Mal schaue ich dann ins Ödipus-Handbuch. Oder in
       die Studien zum autoritären Charakter.
       
       2 Aug 2016
       
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