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       # taz.de -- Hausprojekt Rigaer Straße 94 in Berlin: Gericht: Räumung war illegal
       
       > Die Teilräumung des Hausprojekts war rechtswidrig, sagt das Landgericht.
       > Innensenator Henkel wiegelt ab – und erntet Rücktrittsforderungen.
       
   IMG Bild: Darum geht es: die Teilräumung des Hauses Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain
       
       Berlin taz | Vor dem Gericht knallen die Sektkorken. Bewohner und
       Unterstützer des linken Hausprojekts Rigaer Straße 94 feiern ihren Sieg.
       Eine Zivilkammer des Berliner Landgerichts hatte in einem Eilverfahren am
       Mittwochvormittag entschieden: Die Teilräumung des Hauses am 22. Juni war
       illegal.
       
       Die Räume, zu denen unter anderem die Kneipe „Kadterschmiede“ gehört,
       dürfen wieder von den Bewohnern genutzt werden. Wie deren Anwalt Lukas
       Theune ankündigte, wollen seine Mandanten noch am Mittwoch versuchen, die
       Räumlichkeiten mithilfe eines Gerichtsvollziehers erneut in Besitz zu
       nehmen.
       
       Eine Stunde zuvor war die Anspannung vor und im Gericht noch greifbar. Ein
       Großaufgebot der Polizei hatte das Gerichtsgebäude in der Littenstraße
       weiträumig abgesperrt. Etwa 100 Sympathisanten der Rigaer Straße 94 und
       Dutzende Pressevertreter versuchten, einen Platz im Saal zu ergattern.
       
       Die erste Überraschung: Während auf der Klägerseite Theune und die
       Vorstandsmitglieder des Vereins „Freunde der Kadterschmiede – Kultur im
       Kiez e.V.“ Platz nahmen, blieb die Beklagtenseite des Hauseigentümers
       unbesetzt. Der Anwalt der auf den Britischen Jungferninseln gemeldeten
       Firma „Lafone Investment Limited“ hatte sich kurz vor Prozessbeginn
       abgemeldet – ein Ersatz war nicht aufzutreiben. Richterin Nicola Herbst
       zeigte sich enttäuscht: Nun entfalle die Möglichkeit, darüber zu sprechen,
       „wie man die Sache wieder ordnen könne“.
       
       ## Das Besitzrecht entscheidet
       
       In der Sache machte Herbst jedoch deutlich: Zwar könnten die Hausbewohner
       kein vertragliches Nutzungsrecht für die Räumlichkeiten vorweisen, wohl
       aber ein Besitzrecht geltend machen. Seit mehr als 20 Jahren werden die
       Räume von den Linken genutzt, nachweisbar ist dies mindestens für die
       letzten drei Jahre, in denen die Anwesenden als Vorstandsmitglieder des
       Vereins fungierten. Die Seite des Hauseigentümers habe nicht darlegen
       können, wieso dieses Besitzrecht ausgeschlossen sei, so die Richterin.
       
       Eine Räumung hätte demnach nur mit einem gerichtlich erlangten
       Räumungstitel erfolgen dürfen. Eine Gerichtsentscheidung im Sinne des
       Hausbesitzers sei in einer Hauptverhandlung aber weiterhin möglich, betonte
       die Richterin. Vorerst aber haben sich die Bewohner der Rigaer94
       durchgesetzt. Ihre Rechtsauffassung wurde gestützt. Wegen der Abwesenheit
       der Beklagten erging ein Versäumnisurteil. Dabei gewinnt eine Seite
       automatisch, wenn die Gegenseite nicht kommt.
       
       „Die Polizei hat die Räumung ohne rechtsstaatliche Grundlage unterstützt“,
       urteile Bewohneranwalt Theune. Er ging davon aus, dass der Einsatz von
       Polizei und Security im und vor dem Haus damit sein Ende finde. Die
       Begründung, Bauarbeiter bei den Umbaumaßnahmen zu unterstützen, würde nun
       entfallen. Theune sagte, die Kneipe „Kadterschmiede“ sei nur noch ein
       Rohbau.
       
       ## Henkel bleibt uneinsichtig
       
       Innensenator Frank Henkel (CDU) äußerte sich am Nachmittag: „Wir nehmen mit
       Respekt zur Kenntnis, dass das Landgericht‎ heute zu einem Versäumnisurteil
       gekommen ist. Da die Eigentümerseite nicht vertreten war, ist
       zivilrechtlich gar keine andere Entscheidung zu erwarten gewesen.“ Dass
       sich das Gericht auch inhaltlich auf die Seite der Bewohner stellte,
       erwähnte Henkel nicht. Dafür entschuldigte er das Fehlen des Anwalts
       aufgrund von „massiven Einschüchterung bzw. einem Brandanschlag“.
       
       Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Ramona Pop und der Landesvorsitzende Daniel
       Wesener forderten Henkels Rücktritt: „Ein Innensenator, der nach Belieben
       und ohne gültige Rechtsgrundlage handelt, ist seiner Aufgabe offensichtlich
       nicht gewachsen. Regierungsmitglieder mussten auch schon wegen weniger
       zurücktreten.“ Auch der innenpolitische Sprecher der Piratenfraktion,
       Christopher Lauer, forderte den Innensenator auf, sich „für sein politisch
       motiviertes Fehlverhalten“ zu entschuldigen und „persönliche Konsequenzen“
       zu ziehen.
       
       Sowohl die Grünen-Spitzenpolitiker als auch der innenpolitische Sprecher
       der SPD-Fraktion, Tom Schreiber, forderte eine Sondersitzung des
       Innenausschusses. Dafür braucht es ein Drittel der stimmberechtigten
       Mitglieder – und in den Parlamentsferien die Zustimmung des
       Abgeordnetenhauspräsidenten.
       
       Die Sympathisanten der Rigaer94 feierten am Nachmittag vor ihrem Haus
       weiter. Dabei kam es wiederholt zu Diskussionen mit den Polizisten, die den
       Zugang zum Haus weiter absperrten. Laut dem stellvertretenden
       Abschnittsleiter erwäge die Polizei, die Maßnahmen für die Dauer des
       Widerspruchszeitraums von 14 Tagen aufrecht zu erhalten.
       
       Die Bewohner der Rigaer94 veröffentlichten unterdessen ein Statement auf
       dem linken Internetportal Indymedia. „Es gibt keinen Grund, sich zurück zu
       lehnen. Wir werden weiter daran arbeiten, dass diese ganze Angelegenheit
       ein noch größeres Desaster für die Politik und die Bullen wird, als es
       sowieso schon ist.“
       
       13 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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