# taz.de -- Afrikaforscher über Kolonialverbrechen: „Das konstituiert Völkermord“
> Die Deutschen wollten das Volk der Herero vernichten, sagt der
> Afrikaforscher Jürgen Zimmerer. Er fordert eine Resolution des
> Bundestags.
IMG Bild: Nachkommen der Herero haben sich am Rand der Omaheke-Wüste versammelt, um an den Beginn des Völkermordes vor über 100 Jahren zu erinnern
taz: Herr Zimmerer, seit 1884 galt Südwest-Afrika vertraglich als deutsches
Schutzgebiet. Wie muss man sich das Zusammenleben zwischen Siedlern und den
einheimischen Herero- und Nama-Stämmen vorstellen?
Jürgen Zimmerer: Die Schutzgebietserklärung von 1884 war lediglich ein
Anzeige der eigenen Absichten (des Deutschen Kaiserreiches) gegenüber
anderen europäischen Mächten. Die deutsche Kolonialherrschaft war von
Anfang an auf das Militär gestützt. Im Grunde hatte man einen Eroberungs-
und Besiedlungsprozess, der zunehmend zu Konflikten und Übergriffen führte,
weil immer mehr Deutsche kamen. Es kam zu Vieh- und Landenteignungen, aber
auch zunehmend zu körperlichen – einschließlich sexueller – Übergriffe von
Deutschen auf Afrikaner und Afrikanerinnen. Das alles trug dazu bei, dass
der Wille zum Widerstand anwuchs.
Was war dann der konkrete Auslöser für die Proteste der lokalen Bevölkerung
1904?
Zur Vorgeschichte muss man wissen, dass 1897 eine Rinderpest die
Gesellschaft der Herero, in der Rinder auch einen hohen symbolischen Rang
hatten, destabilisierte. Zudem nutzten deutsche Händler die Unkenntnis der
Herero über dieses Finanzinstrument aus, um mit windigen Kreditverkäufen
Gewinne zu machen. Diese ließen sie dann durch die deutsche Verwaltung
eintreiben. Als der Gouverneur um die Jahrhundertwende versuchte solche
Kreditvergaben durch eine Verordnung zu stoppen, trieben die Händler
gleichzeitig ihre Kredite ein, was die Lage noch weiter einheizte.
Der Widerstand war dann ja erst einmal erfolgreich.
Das stimmt. Die Herero töteten 123 Männer, schonten aber Frauen und Kinder.
Damit gelang es ihnen das gesamte Herero-Land, mit Ausnahme der militärisch
befestigten Stationen, zu besetzten.
Dann entsandte das Deutsche Kaiserreich aber General Lothar von Trotha mit
15.000 Mann und brach diesen Widerstand. Weshalb ist das nun ein Völkermord
und kein Kriegsverbrechen?
Es war ein Völkermord und ein Kriegsverbrechen, das ist ja kein Gegensatz.
Ein Kriegsverbrechen besteht ja auch darin, dass man Frauen und Kinder
tötet, was die deutsche Armee ebenfalls machte. Auch standrechtliche
Erschießungen gab es von gefangenen Herero. Das war also von deutscher
Seite kein Krieg, bei dem man dem Gegner gewisse Rechte zugestand, sondern
von Anfang an heißt es, wer Widerstand leistet, hat sein Leben verwirkt.
Und auch nach der zentralen Schlacht von Waterberg wurden die Herero – auch
Frauen, Kinder und Greise – in die Omaheke-Wüste getrieben und die
Wasserstellen am Rande besetzt, sodass die Herero verdursten mussten. Das
konstituiert Völkermord, weil es mit der Absicht begangen wurde, die Herero
als Volk zu vernichten.
Sticht die deutsche Kolonialherrschaft im Vergleich zu den anderen
europäischen Kolonialmächten hervor?
Nein, alle Mächte hatten militärische Exzesse, Vernichtungsfeldzüge und
genozidale Momente. Das deutsche Beispiel ist bezeichnend, weil es relativ
spät geschieht und auf Befehl des militärischen Oberkommandos erfolgt. Der
systematische Charakter und das danach etablierte und juristisch fixierte
System eines ‚Rassenstaates‘ hebt die deutschen Aktionen etwas ab von den
Aktionen anderer Kolonialmächte.
Sie haben zu den Völkermorden an den Herero, den Armeniern und dem
Holocaust geforscht. Gibt es da eine Verbindung?
Nicht im Sinne einer Kausalität. Der Holocaust war keine unausweichliche
Folge auf den Völkermord an den Herero. An allen drei Verbrechen war aber
das deutsche Militär beteiligt. Als ausführender Akteur in Afrika, als
Verbündeter des Osmanischen Reichs und als Wegbereiter im Vernichtungskrieg
im Osten im zweiten Weltkrieg. Die Logik der Beherrschung war immer gleich,
nämlich Kontrolle von „Raum“ durch „Rasse“ und durch die Ersetzung einer
Bevölkerung durch eine andere.
Wie bewerten Sie als Historiker es, wenn Politiker über historische Fragen
entscheiden, wie im Falle der Armenien-Resolution?
Ich denke, dass Politiker keine historischen Wahrheiten verkünden können,
dafür sind Historiker zuständig. Politiker können aber historische
Verantwortung übernehmen und historische Schuld anerkennen.
Müsste der Bundestag dann nicht auch eine Resolution zum Völkermord an den
Herero und Nama verabschieden?
Doch, ich hoffe dass der Bundestag die Meinung der Wissenschaft bald
übernimmt. Die Völkermordforschung ist sich ja ebenso einig, wie die
historische Afrikaforschung, dass es ein Völkermord war.
14 Jul 2016
## AUTOREN
DIR Felix Hackenbruch
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