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       # taz.de -- Kolumne Mittelalter: Die Hohe Schule des Ressentiments
       
       > Warum die Unterschichten so dumm sind, wie sie sind. Und was das mit
       > Goethe, Trotzki und den Studierenden zu tun hat.
       
   IMG Bild: Derzeitiges Hauptkampfgebiet der studentischen radikalen Linken.
       
       Dass Studenten derzeit die sprichwörtlich lahmen Enten wären, kann man
       eigentlich nicht behaupten. Im Gegenteil scheint, wenn man die Zeichen und
       Zeitungen richtig deutet, es sich eher so zu verhalten, dass ein relevanter
       Teil der Studierenden tatsächlich mal wieder die Welt verändern will,
       anstatt sie nur zu interpretieren.
       
       Dass die Felder, auf denen sie das tun, Älteren nicht unbedingt als die
       dringendsten erscheinen, ist dabei nichts Neues. Im Gegenteil ist es so,
       dass Kritik am Bestehenden immer erst mal abwegig platziert und
       [1][unverständlich] formuliert werden muss, um sicherzustellen, dass die
       alten Säcke nicht mitreden können – siehe dazu die verquasten Schriften der
       studentischen 68er Bewegung.
       
       Treibt man die Analogie mit 68 weiter, dann wird man vermuten dürfen, dass
       sich die heutigen studentischen Aktivist_Innen der Toiletten- und anderer
       Genderfragen mit den Jahren aufspalten werden: in eine Minderheit, die
       echte Risiken eingeht und für die ihr Kampf auch tragisch – in gewaltsamem
       Tod, in Suff, Armut und Isolation – enden kann, wie für so viele großartige
       Frauen und Männer der 68er Bewegung; und in eine wohlsituierte Mehrheit,
       die sich bei einem guten Glas Rotwein in der mit elterlicher Unterstützung
       erworbenen Eigentumswohnung schmunzelnd an die eigenen wilden Zeiten
       erinnert.
       
       Dass Studenten, die sich radikal denken, am Ende nichts anderes als die
       zukünftig Herrschenden über die dumme Masse sind, hat Didier Eribon in
       seinem in Deutschland gerade zum Buch der Stunde avancierenden,
       soziologisch unterfütterten Memoir „Rückkehr nach Reims“ glänzend
       aufgezeigt.
       
       Und wem der Weg nach Frankreich zu weit ist, für den haben wir ja noch
       immer Frankfurt im Angebot: Ein Jahr nach dem Erscheinen von „Die Leiden
       des jungen Werther“ wurde der Großbürgersohn Johann Wolfgang Goethe 1775 an
       den Hof nach Weimar berufen. Er bekam damit genau die gesellschaftliche
       Akzeptanz, deren Fehlen er ein Jahr zuvor so eindrucksvoll bequengelt
       hatte, dass eine ganze Generation sich wie Werther kleidete oder ihrem
       literarischen Helden sogar ganz real in den Suizid folgte. 1782 wurde
       Goethe dann geadelt und zeigte damit endgültig allen, dass er sich unter
       Befreiung nichts anderes als seine eigene vorgestellt hatte.
       
       ## Trotz Trotzki Karriere
       
       Wenn man heute in aufgeklärten Kreisen immer wieder auf großes Erstaunen
       stößt, warum eigentlich die unteren, die uncooleren Schichten sich nicht so
       verhalten wie die Eliten in deutscher Bank, deutschem Pop und deutscher
       Universität es gern hätten, dann sollte man das bei den Zurückgebliebenen
       historisch verankerte Gefühl des Verrats seitens der jung-forsch
       auftretenden bürgerlichen Nachwuchsweltverbesserer nicht unterschätzen.
       
       Dass glühend kämpfende Pariser Trotzkistinnen nach Hausbesetzungen und
       Revolutionspalaver am Ende doch – Vorsicht: Trigger! – einen
       Goethe-Forscher heiraten, hat übrigens Jörg Fauser in einem Gedicht
       gefasst, das man auch heute noch lesen kann: [2][„Trotzki, Goethe und das
       Glück“].
       
       Die beiden Herren sind tot. Auf das Glück können wir nicht verzichten.
       
       4 Aug 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://m.welt.de/kultur/article146577437/Ein-kleines-Woerterbuch-des-Gender-Wahnsinns.html#tl-151be227
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=SOYV3kMlerQ
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
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