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       # taz.de -- US-Indiefilm „Maggies Plan“: Der Samenspender ist ein Supernerd
       
       > Maggie plant ein Baby, John seinen Debütroman – beide sind ein Paar.
       > Rebecca Millers Komödie schickt ihre Figuren in eine Hölle namens
       > „Beziehung“.
       
   IMG Bild: Ach, Beziehungen sind doch scheiße
       
       Wirklich auf Augenhöhe, so stellt der Literaturprofessor John schon bald in
       der New-York-Komödie „Maggies Plan“ fest, bewege man sich in einer
       Beziehung eigentlich nie. Irgendwie sei immer einer der Gärtner, der andere
       die Rose.
       
       Was er damit wohl meint: Es wäre langsam an der Zeit, dass er die Chance
       bekommt zu blühen. Das Potenzial dazu besitzt er, da ist er zuversichtlich.
       Sein akademisches Terrain ist die eher abseitige Disziplin „ficto-critical
       anthropology“. Doch nicht nur im passiven Sinn brennt John für die
       Literatur. Da ist dieser große Roman, der aus ihm heraus will!
       
       Allerdings ist John zu eingespannt, um sich kreativ zu verwirklichen,
       schließlich muss er sich um die Familie kümmern. In seiner Ehe ist nämlich
       seine akademisch deutlich erfolgreichere Überfliegerfrau Georgette die
       Rose.
       
       Um Menschen, die wie John dauernd über ihre Beziehung jammern, sollte man
       ja eigentlich einen weiten Bogen machen. Erst recht, wenn sie das gegenüber
       einer potenziellen Flamme tun. Doch misstrauisch veranlagt ist Maggie, bei
       der John über die dominante Gattin jammert und der er erste Entwürfe seines
       großen Romans offenbart, nicht. Im Gegenteil. Maggie wirkt so
       naiv-offenherzig, dass man sie leicht für ein bisschen bescheuert hält.
       
       ## Ein romantisches Faible für Mathematik
       
       Zudem muss sie gar nicht allzu kritisch mit ihm sein, ein netter
       Familienvater ist in ihrem aktuellem Lebensplan sowieso nicht vorgesehen.
       Die junge Frau arbeitet an der Schnittstelle von Universität und
       Wirtschaftswelt, ist entsprechend praktischer veranlagt als John und seine
       Gattin und glaubt, ihre Lektion aus diversen schnell verpufften Liebeleien
       gelernt zu haben. Statt einer Beziehung soll ein Kind die Leerstelle in
       ihrem Leben füllen.
       
       Ein Samenspender zu finden hat also erste Priorität. Und gute Gene gibt es
       in ihrem Bekanntenkreis. Der als Spender auserwählte Guy ist ein
       Super-Nerd, hat ein geradezu romantisches Faible für Mathematik und
       versucht, sein Geld mit Hipster-Sauren-Gurken zu verdienen. Als Vater soll
       er später selbstredend nicht in Erscheinung treten.
       
       Doch natürlich schlägt die Wirklichkeit beziehungsweise das Drehbuch ganz
       andere Haken. Dass man mitgeht, trotz einiger gewagter Plot Points (die zu
       offenbaren das Guckvergnügen doch sehr schmälern würde), liegt nicht
       zuletzt am starken Cast.
       
       Schon die eher knapp skizzierten Nebenfiguren sind so überzeugend, dass man
       sich mehr Aufmerksamkeit für sie wünscht. Allerdings halten die
       Hauptfiguren einen genug auf Trab. Ethan Hawke spielt besagten John und
       damit den berufsjugendlichen Mann, den er (zumindest gefühlt) immer gibt,
       wie man ihn etwa an der Seite von Julie Delpy in der „Before“-Trilogie
       erlebt hat: einen der Nabelschau zugeneigten, etwas wichtigtuerischen,
       dabei aber charmanten Schriftsteller. Julianne Moore spielt seine
       vordergründig dominante Frau, die sich jedoch als weitaus komplexere Figur
       entpuppt.
       
       ## Alle kriegen ihr Fett weg
       
       Und Greta Gerwig, das It-Girl des US-Indie-Kinos, bisher abonniert auf die
       nett verpeilten Lebenskünstlerinnen, die sie etwa in „Frances Ha“ oder
       „Mistress America“ darstellte (Komödien, bei denen Noah Baumbach Regie
       führte, mit dem sie auch privat liiert ist), hat als Maggie besagten
       titelgebenden Plan. Das allerdings macht sie nicht unbedingt sympathischer.
       Recht zwanghaft erscheint Maggies Gestaltungswille.
       
       Ihr anfänglicher Plan, allein mit Kind glücklich zu werden, mündet in ein
       Szenario, das sie sich jedoch bald schon ganz anders wünscht. Die Manöver,
       die über unterhaltsame anderthalb Stunden folgen – schließlich muss der
       ursprüngliche Plan nachjustiert werden –, wirken mitunter wie am Reißbrett
       entworfen. Was aber nicht weiter stört. Schließlich scheint auch in unserer
       Alltagswelt mancher Lebensentwurf überkonstruiert, was hier nur leicht
       zugespitzt und ironisiert auf die Schippe genommen wird.
       
       Der Regisseurin Rebecca Miller („The Ballad of Jack and Rose“, „Pippa
       Lee“), die auch das Drehbuch schrieb, ist eine humorvolle Balance aus
       Satire und Empathie, aus freundlichem Spott und Verständnis für ihre
       Figuren gelungen. Alle kriegen ihr Fett weg, niemand wird vorgeführt.
       
       Millers Schwenk durch die bürgerlich-intellektuellen Milieus der Metropole
       zitiert die Großstadtkomödien von Woody Allen oder Noah Baumbach, fügt
       ihnen aber eine eigene Note hinzu, die sich wohl am ehesten als wohltuende
       Distanz oder Unaufgeregtheit beschrieben ließe. Auch deswegen folgt man den
       wilden Handlungsschlenkern gerne. Miller erlaubt dem Zuschauer, Abstand zu
       halten, während ihre mal mehr, mal weniger selbstreflektierten Figuren um
       den richtigen Lebensplan ringen.
       
       Dankenswerterweise wird man als Zuschauer nicht aufgefordert, sich auf
       diese oder jene Seite zu schlagen. Denn wie Maggie mit ihrer blauäugigen
       Übergriffigkeit nur allzu deutlich macht: Idealismus und Manipulation
       können verdammt nah beisammen liegen.
       
       4 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stephanie Grimm
       
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