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       # taz.de -- Oranienplatz-Flüchtlinge in Berlin: Ein Umweg mit ungewissem Ende
       
       > Neun Männer vom Oranienplatz haben es geschafft, eine
       > Ausbildungsstelle zu bekommen. Eine Aufenthaltserlaubnis
       > erhalten sie aber nicht.
       
   IMG Bild: Einige Flüchtlinge, die auf dem Kreuzberger Oranienplatz demonstriert haben, sind noch in Berlin
       
       Flüchtlinge in Berlin müssen viele Hindernisse überwinden, wenn
       sie eine Ausbildung machen wollen: Ausreichende Deutschkenntnisse
       werden verlangt, mindestens ein Hauptschulabschluss, eine
       Arbeitserlaubnis – und nicht zuletzt muss die Ausländerbehörde
       ihre Zustimmung geben. An dieser letzten Hürde scheitern
       Geflüchtete immer wieder, denn die Behörde unter CDU-Innensenator
       Frank Henkel (CDU) legt geltendes Recht sehr restriktiv aus.
       
       Gerade bekommen das wieder einmal die Oranienplatz-Flüchtlinge
       zu spüren. Sie leben unter besonders erschwerten Bedingungen in der
       Stadt, weil sie staatlicherseits gar nicht versorgt werden und auf das
       Engagement Einzelner und von Kirchengemeinden angewiesen sind.
       Trotzdem haben es neun von ihnen geschafft, einen Ausbildungsbetrieb
       zu finden.
       
       Damit, so dachten die Männer, könnten sie endlich ihren Aufenthalt in
       Berlin legalisieren. Die meisten haben nur Papiere für Italien,
       in Berlin sind sie formal Touristen. „Die Leute von der Kirche sagen
       uns seit Monaten, wir sollen Deutsch lernen, Praktika machen, einen
       Ausbildungsplatz besorgen. Dann hätten wir gute Chancen, und sie
       würden versuchen uns zu helfen“, erzählt Mohammed Tanko, einer von
       ihnen.
       
       Der Student aus Niger ist wütend – auf die evangelische Kirche. Zwar
       lebt er, wie 131 andere Männer vom Oranienplatz, seit mittlerweile
       fast zwei Jahren von ihrer Unterstützung. „Aber die Kirche hält ihr
       Versprechen nicht“, findet er. Bei einem Treffen vor zwei Wochen
       zwischen dem Mittelsmann der Kirche und den neun Flüchtlingen mit
       Ausbildungsvertrag habe es auf einmal geheißen, es werde so schnell
       keinen Aufenthaltstitel geben. Sie müssten nach Italien ausreisen
       und dort bei der deutschen Botschaft ein Visum beantragen. „Davon war
       vorher nie die Rede“, beschwert sich Tanko.
       
       Pfarrer Peter Storck von der Kreuzberger Gemeinde Heilig Kreuz –
       Passion, der sich für den Kirchenkreis Stadtmitte um die
       Oranienplatz-Leute kümmert, sieht das anders. „Wir haben mit der
       Visum-Problematik nie hinterm Berg gehalten“, sagt er. „Aber es ist
       sehr verständlich, dass die Männer verunsichert sind.“ Denn
       natürlich bedeute die Reise nach Italien ein Risiko für die
       Betreffenden: Niemand könne garantieren, dass die
       Ausländerbehörde am Ende grünes Licht für ein Visum gibt. „Aber wir
       können nur weitergeben, was die Behörde uns als gangbaren Weg
       vorgeschlagen hat“, so Storck.
       
       Den neun Flüchtlingen empfiehlt er daher, den Weg über Italien zu
       gehen – politisch und juristisch sei das wohl ihre einzige
       Möglichkeit. In Richtung Senat sagt der Pfarrer: „Wir als Kirche haben
       nun aber auch die Erwartung, dass das klappt.“ Diese Menschen hätten
       einen enorm langen Weg hinter sich und bräuchten dringend eine Chance
       anzukommen und ihr eigenes Geld zu verdienen. „Es ist für uns
       weiter unverständlich, warum es nicht möglich sein soll, endlich auch
       den vielen anderen, die einen festen Arbeitsplatz bekommen oder an
       einem berufsvorbereitenden Kurs teilnehmen wollen, diesen Weg in
       eine Existenzgründung zu ermöglichen.“
       
       Vermutlich, weil es politisch nicht gewollt ist: Die
       Ausländerbehörde habe den Ermessensspielraum, den Betreffenden auch
       ohne Umweg über Italien eine Duldung oder Aufenthaltserlaubnis zu
       geben, sagt Berenice Böhlo, Anwältin für Aufenthaltsrecht.
       Stattdessen lege die Behörde das Recht restriktiv aus und beharre auf
       dem komplizierten Visum-Verfahren – was bedeute, dass die Männer
       monatelang in Rom warten müssen, ohne Geld, Unterkunft, Kontakte.
       „Nach den Erfahrungen mit dem Oranienplatz-Verfahren bin ich sehr
       skeptisch, ob die Leute so einen Aufenthaltstitel bekommen“, so
       Böhlo zur taz. Auch Tanko glaubt nicht, dass der Vorschlag ernst meint
       gemeint ist: „Die wollen uns doch einfach nur loswerden“, sagt er.
       
       ## Abkommen gebrochen
       
       Das „Oranienplatz-Verfahren“ war eine schriftliche Vereinbarung
       zwischen dem Senat und den Platz-Besetzern vom März 2014. Im Gegenzug
       für die Räumung wurden den Flüchtlingen Sprachkurse, berufliche
       Eingliederungshilfen sowie eine wohlwollende Regelung des
       Aufenthaltsstatus zugesagt. Zu all dem kam es nicht. Einige
       wenige Männer erhielten Duldungen, weil sie sich in medizinischer
       Behandlung befinden. Für den Senat ist das Thema seither erledigt.
       Nicht nur die Flüchtlinge, auch die Kirchen, der Flüchtlingsrat,
       AnwältInnen wie Böhlo und die Opposition im Abgeordnetenhaus
       bezeichnen das bis heute als Bruch des Abkommens durch den Senat.
       
       Auch deshalb unterstützt die evangelische Kirche weiterhin viele
       der ehemaligen Besetzer, die noch in der Stadt leben. Und sie führt – von
       der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – Verhandlungen mit dem
       Senat, um vielleicht doch noch eine Lösung für die Männer zu finden.
       Fortschritte gebe es bislang aber nur in Bezug auf die sehr kleine
       Gruppe der Flüchtlinge mit Ausbildungsplatz, sagt Storck. „Es ist
       nicht einfach“, fügt er diplomatisch hinzu.
       
       Vielleicht tickt ein anderer Innensenator nach der Wahl am 18.
       September anders. Aber so viel Zeit haben die neun Männer eigentlich
       nicht – am 1. September beginnt das Ausbildungsjahr. Und so hat sich
       einer von ihnen, Ahmed Salihu, vor kurzem nach Italien aufgemacht,
       um das mit dem Visum zu probieren.
       
       Der 30-jährige Nigerianer hatte über das vom Senat geförderte
       Integrationsprojekt „Arrivo“ einen Ausbildungsplatz bekommen
       und bereits sechs Monate gearbeitet. Im Frühjahr bekam er die
       Aufforderung auszureisen. Da half auch die vom Präsidenten der
       Berliner Handwerkskammer initiierte Petition bei der
       Härtefallkommission nichts. Innensenator Henkel lehnte sie mit einem
       Federstrich ab.
       
       5 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
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