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       # taz.de -- Kommentar Schutz von Kundendaten: Das große Sammeln
       
       > Für die meisten Unternehmen sind Daten erst dann persönlich, wenn es
       > einen zugehörigen Namen gibt. Das ist falsch. Und gefährlich für Nutzer.
       
   IMG Bild: Der Fingerabdruck ist weniger eindeutig als digitale Metadaten
       
       So ein Fingerabdruck ist einzigartig. Wie sich die Linien formen, wo Wirbel
       entstehen, das gibt es kein zweites Mal, nicht einmal bei eineiigen
       Zwillingen. Und trotzdem ist kein ganzer Fingerabdruck notwendig, um den
       zugehörigen Menschen zu identifizieren. Zwölf Punkte des Mustergeflechts
       reichen gemeinhin aus.
       
       Diese Information sollte man im Hinterkopf behalten, wenn es um die Frage
       geht, wann Daten so individuell sind, dass sie Rückschlüsse auf eine Person
       zulassen. Unternehmen machen es sich bei dieser Frage meistens leicht:
       Persönlich wird es erst, wenn ein Name dabeisteht. Umgekehrt heißt das: die
       Kaufhistorie samt Schuhgröße, Brillenstärke und
       Lebensmittelunverträglichkeit gespeichert, aber Name gelöscht? Ist doch
       anonymisiert, also alles super!
       
       Nein, ist es nicht. Denn Daten sind persönlich, lange bevor es um Namen,
       Adressen oder Kombinationen von Geburtsdaten und Postleitzahlen geht. Und
       das wird zunehmend zum Problem. Zu sehen ist das aktuell in der
       Autobranche. Dort geht das große Sammeln gerade los. Das vernetzte Auto
       macht es möglich, dass Hersteller gigabyteweise Daten speichern, von der
       Motordrehzahl bis zur GPS-Position, von der Zahl der eingelegten CDs bis
       zur Tankfüllung. Einfach nur, weil es geht.
       
       Auch BMW sammelt fleißig mit und weil das Unternehmen nicht nur Autos
       verkauft, sondern über die Beteiligung an dem Carsharing-Dienst DriveNow
       auch Autos vermietet, hat das kürzlich für größeren Aufruhr gesorgt. Dabei
       unterliegt auch BMW der bequemen Annahme, dass nicht persönlich ist, was
       keinen Namen dabeistehen hat. Zwar speichert ein in den
       Carsharing-Fahrzeugen verbautes Modul diverse Fahrzeugdaten, unter anderem
       den Standort. Aber Bewegungsprofile zu erheben oder zu speichern bestreitet
       das Unternehmen. Schließlich habe man keine Namen, die hat nur DriveNow,
       das wiederum keinen Zugriff auf die Standortdaten habe, abgesehen vom
       Start- und Endpunkt der Fahrt.
       
       ## Individuelle Bewegungsmuster
       
       Doch so einfach ist es nicht. Zur Erinnerung: Beim Fingerabdruck sind zwölf
       Punkte notwendig, um seinen Träger zu identifizieren. Forscher der
       Harvard-Universität und des Massachusetts Institute of Technology (MIT)
       haben sich vor drei Jahren angeschaut, wie eindeutig eigentlich
       Standortdaten sind, also die Kombination von Zeitpunkt und Ort. Sie nahmen
       sich dafür die Daten von Handynutzern vor, das ist praktisch, weil hier
       viele Ort-Zeit-Kombinationen vorliegen. Das Ergebnis: Mit vier zufällig
       ausgewählten Punkten konnten sie 95 Prozent der Nutzer identifizieren. Mit
       elf Punkten erreichten sie hundert Prozent. Das Muster, in dem wir uns
       bewegen, ist also noch individueller als unser Fingerabdruck.
       
       Durch die gemeinschaftliche Nutzung des Fahrzeugs könnte eine
       Identifizierung beim Carsharing etwas schwieriger sein als bei
       Handynutzern. Andererseits werden vermutlich die gleichen Nutzer häufig die
       gleichen Strecken zurücklegen, nur eben mit verschiedenen Autos. Und wie
       lange die Daten gespeichert werden, verrät BMW nicht. Doch je länger die
       Daten aufgehoben werden, desto mehr Information lassen sich herauslesen,
       auch ohne Namen.
       
       Bewegungsdaten haben längst nicht nur Mobilfunkanbieter und Autohersteller.
       Sondern zum Beispiel auch Fitnesstracker. Sie sammeln Vitaldaten von
       Herzfrequenz bis Kalorienverbrauch und kombinieren sie mit
       Geschwindigkeiten und zurückgelegten Strecken, um dadurch das Absolvieren
       oder Nichtabsolvieren eines Sportpensums zu ermitteln. Die Daten? In der
       Cloud. Also beim Anbieter. Was der Anbieter damit macht, welche
       Auswertungen er erstellt, an wen er sie in welcher Form weitergibt und
       welches Niveau eigentlich der Schutz vor unbefugten Zugriffen auf die
       Server hat – all das weiß der Jogger mit dem Fitnessarmband nicht. Wenn er
       Glück hat, hält sich der Anbieter daran, was er in die Allgemeinen
       Geschäftsbedingungen geschrieben hat. Wenn der Nutzer viel Glück hat, sind
       diese auch noch verständlich formuliert und eindeutig. Obwohl, das wäre
       eigentlich schon extrem viel Glück und mithin unwahrscheinlich.
       
       Wie eindeutig individuell selbst Vitaldaten sein können, zeigt ein Produkt
       aus den USA: Ein Start-up hat dort eine Art Armband entwickelt, das als
       universeller Türöffner im Alltag – von der digitalen Geldbörse über das
       Einloggen in einen E-Mail-Account bis zum realen Öffnen von Türen – dienen
       soll. Der Mechanismus zum Authentifizieren: das Elektrokardiogramm, quasi
       die Summe der Herzaktivitäten. Die sind bei jedem Menschen unterschiedlich,
       abhängig unter anderem von der Größe des Herzens und der Physiologie des
       Körpers. Und wie es aussieht, sind die biometrischen Muster verschiedener
       Personen ausreichend unterschiedlich, um Nutzer voneinander zu
       unterscheiden beziehungsweise denselben Nutzer wiederzuerkennen.
       
       ## Die IP-Adresse verrät alles
       
       Wann Daten persönlich sind, wird in den kommenden Wochen auch der
       Europäische Gerichtshof beantworten müssen, und zwar für Menschen, die im
       Internet unterwegs sind. Dabei hinterlassen sie vielfältige Spuren, aber
       eine, die sie nur unter Aufwand und Komforteinbußen verfälschen können: die
       IP-Adresse. Die hinterlässt jeder Besucher einer Seite bei deren Betreiber,
       ähnlich einer Visitenkarte. Ohne den Zugangsprovider – also Telekom, Kabel
       Deutschland oder Ähnliche – weiß der Seitenbetreiber zwar nicht, wer
       dahintersteht. Aber es ist eben möglich herauszufinden, wer sich bei den
       Anonymen Alkoholikern informiert hat, wer über die Fälschungssicherheit von
       Ausweisdokumenten und wer die Anschaffung eines Halogenstrahlers mit
       ungewöhnlich hoher Wattzahl plant.
       
       Internetnutzer, Verwender von Fitnesstrackern und -apps, Autofahrer – ihnen
       allen ist gemein, dass die gesammelten Daten sensibel bis kompromittierend
       sein können; spezifische Werbung ist dabei noch das Harmloseste. Wenn die
       Daten erst mal beim Hersteller sind, bei der Versicherung oder bei
       Unbefugten, die sich in den Server gehackt haben und sämtliche
       Bewegungsprofile veröffentlichen, dann fragt niemand mehr, ob es stimmt,
       was das Auto da aufgezeichnet oder die Fitnessapp gemessen hat. Im Zweifel
       gegen den Nutzer.
       
       5 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Svenja Bergt
       
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