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       # taz.de -- Humanitäre Hilfe für Aleppo: Das Problem mit der Luftbrücke
       
       > Außenminister Steinmeier will die Zivilisten im syrischen Aleppo aus der
       > Luft versorgen. Das aber ist schon technisch sehr schwierig.
       
   IMG Bild: In Aleppo fehlen Lebensmittel, Wasser und medizinische Geräte
       
       Berlin/Karlsruhe taz | Die Bundesregierung hat Russland mit deutlichen
       Worten dazu aufgefordert, auf eine mehrtägige Waffenruhe im syrischen
       Aleppo zu dringen und Hilfslieferungen zu ermöglichen. Regierungssprecher
       Steffen Seibert sagte in Berlin, das Elend der Menschen in der Stadt sei
       nicht mit drei Stunden Feuerpause pro Tag zu lindern, wie es die russische
       Regierung angeboten hatte.
       
       „Das soll wie ein Entgegenkommen klingen, ist aber eigentlich Zynismus,
       denn jeder weiß, dass diese Zeit nicht annähernd ausreicht, um eine
       Versorgung der verzweifelten Menschen wirklich aufzubauen“, sagte Seibert.
       Ähnlich äußerte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier während eines
       Kurzbesuchs im russischen Jekaterinburg. „Diese dreistündigen Feuerpausen
       werden die Situation nicht wirklich verändern“, sagte er.
       
       Rund 250.000 Zivilisten im Osten Aleppos warten auf Hilfslieferungen. Ihre
       Stadtteile werden von Rebellen kontrolliert, aber größtenteils von
       Regierungstruppen belagert. Nach neuen Kämpfen zwischen den Kriegsparteien
       ist die Wasserversorgung seit Tagen unterbrochen. Auch Lebensmittel und
       medizinische Geräte fehlen.
       
       Schon vor seiner Russlandreise hatte Steinmeier deshalb am Wochenende
       weitere „humanitäre Zugänge“ für Aleppo gefordert. Falls es keine Einigung
       für die Versorgung am Boden gebe, müsse „auch die Möglichkeit von Hilfe aus
       der Luft“ geprüft werden.
       
       ## Im Osten Syriens gibt es einen solchen Hilfseinsatz
       
       Für solch einen Hilfseinsatz gibt es eine Blaupause: Die Versorgung der
       Stadt Deir al-Sor im Osten Syriens, die nicht von Regierungstruppen
       belagert wird, sondern vom IS. Mit Genehmigung aus Damaskus hat das
       Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinen Nationen schon mehrmals
       Lebensmittel für die umzingelte Bevölkerung abgeworfen.
       
       Das WFP verfügt für solche Aufgaben über eine eigene Fluglinie mit
       insgesamt über 70 Flugzeugen und Hubschraubern. Für den Einsatz in Syrien
       starteten die UN-Piloten in Jordanien. Am Stadtrand von Deir al-Sor warfen
       sie ihre Fracht ab, Mitarbeiter des Roten Halbmonds nahmen sie am Boden
       entgegen.
       
       Bereits vor Monaten hatten die Staaten der Syrien-Kontaktgruppe angeregt,
       diese Hilfsflüge auszuweiten. Im Mai forderten sie die Vereinten Nationen
       auf, auch eine Reihe weiterer Städte in Syrien aus der Luft zu beliefern.
       
       Das Welternährungsprogramm (WFP) präsentierte daraufhin einen Plan.
       Demzufolge sind die meisten belagerten Städte nicht aus großer Höhe per
       Flugzeug zu versorgen, ohne die Bevölkerung zu gefährden, weil die Fracht
       dabei auf einer Fläche von fünf Kilometern Länge zu Boden kommen kann.
       Stattdessen schlug das WFP vor, Helikopter einzusetzen. Eine Bedingung der
       UN-Behörde war allerdings, dass die syrische Regierung den Einsätzen
       zustimmt.
       
       ## Russland drängt nicht auf Meinungsänderung
       
       Und hier wird es problematisch: Luftbrücken für Städte, die von
       Regierungstruppen belagert werden, lässt das Regime in Damaskus nicht zu.
       Und Syriens Verbündeter Russland drängt nicht auf eine Meinungsänderung.
       
       „Wir sehen die große Gefahr, dass die Fracht in den Händen von Terroristen
       landet und nicht bei denjenigen, für die sie eigentlich gedacht ist“, sagte
       Außenminister Lawrow am Montag nach seinem Termin mit Steinmeier in
       Jekaterinburg.
       
       Damit ist eine Luftbrücke so gut wie unmöglich. Rein völkerrechtlich
       gesehen dürfen ausländische Flugzeuge ohne Zustimmung der Regierung in
       Damaskus nicht den syrischen Luftraum durchfliegen. Unautorisierte
       Flugzeuge der Luftbrücke dürften also rechtmäßig abgeschossen werden.
       Mithilfe russischer Flugabwehrsysteme wäre Syrien dazu prinzipiell sogar in
       der Lage. Die Zustimmung aus Damaskus wäre nur entbehrlich, wenn es einen
       Beschluss des UN-Sicherheitsrats gibt. Dort hat Russland aber ein
       Vetorecht.
       
       ## Eingriffe in die nationale Souveränität
       
       Das westliche Konzept der „humanitären Intervention“ erlaubt Eingriffe in
       die nationale Souveränität auch bei blockiertem Sicherheitsrat. Es hat sich
       international aber nicht durchgesetzt, ist also nicht zu allgemein
       anerkanntem Völkerrecht geworden.
       
       Das Konzept der „Schutzverantwortung“ wurde 2005 von der
       UN-Generalversammlung zwar einstimmig beschlossen – es sieht zum Schutz der
       Menschenrechte im Notfall auch internationale Interventionen vor –,
       erforderlich wäre aber nach wie vor ein Mandat des Sicherheitsrats. Und so
       bleibt es dabei: Solange Moskau und Damaskus dagegen sind, wird es für
       Aleppo keine Luftbrücke geben.
       
       15 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
   DIR Christian Rath
       
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