URI: 
       # taz.de -- Japanische Filmkomödie „Lowlife Love“: Hoffen auf den kleinen Karrieresprung
       
       > In „Lowlife Love“ von Eiji Uchida wird viel vom Filmemachen geredet.
       > Unterschwellig geht es um den Sexismus der Branche.
       
   IMG Bild: Trotz Schlaf müde Augen: Kiyohiko Shibukawa (Mitte) in „Lowlife Love“
       
       Tetsuo (Kiyohiko Shibukawa) schläft eine ganze Menge, und wenn er einmal
       wach ist, sind seine Augen trotzdem müde. Sein Tag beginnt mit ein paar
       Zigaretten und einer antriebsarmen Onanie. Vor Jahren hatte der
       Neununddreißigjährige mal einen Film gedreht, seitdem raucht, schläft und
       masturbiert er – und nebenbei fantasiert er von einer großen Karriere als
       Independent-Filmemacher.
       
       Ein wirklich autobiografischer Hintergrund ist dem japanischen Regisseur
       Eiji Uchida angesichts seines schluffigen Protagonisten nicht zu
       unterstellen. Seit 2004 hat er 14 Langfilme gedreht, und „Lowlife Love“,
       eine über Crowdfunding produzierte Low-Budget-Produktion, die jetzt in
       Deutschland in den Kinos startet, ist mittlerweile auch schon wieder der
       vorletzte.
       
       Trotzdem ist dieser Film, der sich bald selbst um einen Filmdreh
       beziehungsweise das endlose Nichtzustandekommen eines solchen drehen wird,
       eine intime Auseinandersetzung mit dem eigenen Metier – erst recht, weil
       das Intime in diesem Film auf ganz besondere Weise auf dem Spiel steht.
       
       Tetsuo, der mit einem halbherzig organisierten Filmclub ebenso halbherzig
       engagierte Leute um sich schart, um sein neues Projekt zu verwirklichen,
       schafft es noch nicht einmal, das Set seiner Amateurpornofilme, mit denen
       er sich gerade so über Wasser hält, unter Kontrolle zu behalten. Mit
       Zigarette im Mund stürmt Tetsuo einmal die Matratze, reißt dem filmenden
       Darsteller die Kamera aus der Hand, dann flippt auch noch die Darstellerin
       aus und verlässt das Set.
       
       Das Intime in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Metier nimmt in
       Uchidas Film in allererster Linie ziemlich tätliche Formen an. Tatsächlich
       wird in diesem Film quasi nie eine Kamera in die Hand genommen, dafür
       werden permanent weibliche Intimzonen begrabscht. Regisseur sein heißt,
       jederzeit und überall den weiblichen Körper befummeln zu können.
       
       ## Mädchen und besoffene Platzhirsche
       
       Um der jungen Schauspielerin Minami (Maya Okano) den richtigen Affekt
       abzuringen, greift ihr Tetsuo mehrmals an den Busen; für eine zweite
       Nebenrolle stellt sich Kyoko (Chika Uchida) den perversen Fantasien sehr
       viel älterer Produzenten zur Verfügung; und abends, wenn sich die
       Filmschaffenden, vom Mainstreamregisseur bis zum Nachwuchsautor, in einer
       kleinen Kneipe treffen, streicheln junge Mädchen die besoffenen Gesichter
       der Platzhirsche im Filmbusiness – immer in der Hoffnung, dass dabei ein
       kleiner Karrieresprung herausspringt.
       
       „Lowlife Love“, der in vielerlei Hinsicht als bissige Metakomödie über die
       japanische Filmbranche verstanden werden will und werden kann, ist
       unterhalb dieser Schicht ein ziemlich bedrückender Film. Nur selten wird
       dem weiblichen Schmerz in dieser Welt tatsächlich Ausdruck verliehen;
       einmal bricht Minami in Tränen aus; vereinzelt hört man eine einsame
       Gitarre oder ein Klavier brüchige Melodien ins Geschehen eintragen.
       
       Wie sehr dieser Spielfilm aber nichtsdestoweniger als ein Film über
       weibliche Abhängigkeitsverhältnisse gelesen werden kann, wie sehr Uchida
       das Filmmilieu Pate stehen lässt, um genau solche Verhältnisse zu
       zentrieren – und das löst er durchaus sehr klug –, zeigt sich dadurch, dass
       es um eine Sache seltsamerweise gar nicht geht: nämlich um den Film selbst.
       
       ## Das Kino ist ein Miststück
       
       Was in dem scheinbar sensationellen Drehbuch genau steht, das Tetsuo
       verfilmen will und das ihm bald ein Mainstreamregisseur unter den Nägeln
       wegreißt, spielt zu keiner Zeit in „Lowlife Love“ eine Rolle. Wenn ein
       beleibter Produzent am Tresen den umstehenden Mädchen erklärt, dass das
       Kino eine Kausalität der Wahrnehmung sei, dann weiß er selbst nicht, was er
       damit meint, nimmt die einmal dozierte Weisheit aber dennoch zum Anlass,
       den Damen auf die Hintern zu fassen. Das Kino ist ein Miststück, sagt
       einmal ein ganz besonders arroganter Filmfuzzi, eines, das man getrost ein
       Leben lang vögeln könne.
       
       Völlig egal ob aus dem Independent-Film, der Großproduktion, dem Pornofilm
       oder der Fernsehserie, niemand hat auch nur die geringste Vorstellung von
       dem, was er macht oder machen will. Es ist alles einerlei: Abends sitzen
       alle in derselben Kneipe, teilen dieselbe sexuelle Fantasie.
       
       Erst durch den Nihilismus dieses Milieus, seine völlige Interesselosigkeit
       an dem, womit es beschäftigt ist, zeigt sich sein spezifischer Sexismus;
       nämlich als letztlich einzige Form männlicher Aktivität in einem Metier, in
       dem es nie auch nur eine Sekunde wirklich um den Film geht.
       
       Dass diese Dynamik dann immer wieder hinter der Komödie verschwindet und
       mit Sarkasmus überflutet wird, macht „Lowlife Love“ erst recht spannend.
       Denn so äußert sich der Sexismus in einer besonders problematischen Form:
       als unterschwelliger.
       
       17 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Stern
       
       ## TAGS
       
   DIR Japanisches Kino
   DIR Komödie
   DIR Filmbranche
   DIR Sexismus
   DIR Filmbranche
   DIR Kino
   DIR Kino Polen
   DIR China
   DIR Japan
   DIR Schwerpunkt Berlinale
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gleichstellung in der Filmbranche: Die Realität ist männlich
       
       Es gibt nur wenige Frauen, die bei Filmproduktionen in Schlüsselpositionen
       arbeiten. Filmemacherinnen in den USA wollen das ändern.
       
   DIR Tokyo International Film Festival: Mut zum No-Budget-Film
       
       Der beschwerliche Weg in die westlichen – und heimischen – Kinos: neue
       japanische Independentfilme beim Tokyo International Film Festival.
       
   DIR Polnisches Kino: History-Horror aus der Grube
       
       In „Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen“ erzählt der Regisseur Marcin Wrona
       klug und witzig von Gespenstern der Vergangenheit.
       
   DIR Martial-Arts-Film aus Taiwan: Eine lauernde Kämpferin
       
       Hou Hsiao-Hsiens „The Assassin“ zeigt eine Killerin im China des 9.
       Jahrhunderts. So wie die Protagonistin schleicht sich auch die Handlung an.
       
   DIR Anime über Japan im 19. Jahrhundert: Einladung zum Schwelgen
       
       Traumsequenzen, von Hand gezeichnet: „Miss Hokusai“ findet für das Leben
       der Tochter des Malers Hokusai einen Fluss poetischer Bilder.
       
   DIR Regisseur Diaz über philippinisches Kino: „Ich drehe nur einen einzigen Film“
       
       Der philippinische Regisseur Lav Diaz bricht mit einem 8-Stunden-Film den
       Rekord. Ein Gespräch über Unabhängigkeit, Kunst und Kompromisse.