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       # taz.de -- Berliner Behörden: Der Mangel wird verwaltet
       
       > Für Nichtberliner ist die Hauptstadt längst zur Lachnummer geworden. Doch
       > wer trägt die Schuld an der Verwaltungsmisere?
       
   IMG Bild: Unter Beobachtung: Nicht immer funktioniert die Berliner Verwaltung so reibungslos wie hier unter den Blicken der Goldelse.
       
       ImVolkspark Wuhlheide müsste dringend mal wieder jemand die Rabatten
       schneiden. In Steglitz-Zehlendorf warten Bedürftige ein Vierteljahr auf ihr
       Wohngeld. In Mitte mögen Grundschüler nicht mehr aufs Klo gehen, weil die
       Anlagen steinzeitlich alt und entsprechend eklig sind. In Tempelhof laufen
       Besucher der Bezirkszentralbibliothek im Slalom um Mülleimer, die das
       durch die Decke tropfende Wasser auffangen.
       
       Und wer in ganz Berlin einen neuen Personalausweis beantragen möchte, der
       muss länger als zwei Monate auf einen Termin im Bürgeramt warten.
       
       Für Nichtberliner ist die Stadt schon lange eine Lachnummer – dem Flughafen
       mit den zu kurzen Rolltreppen, dem nicht ausschaltbaren Licht und dem
       fragwürdigen Brandschutz sei Dank. Doch das Millionengrab an der
       Stadtgrenze betrifft die Berliner in ihrem Alltag herzlich wenig. Wie
       kaputt die Verwaltung tatsächlich ist, merken sie erst, wenn sie einen
       neuen Pass brauchen, das Kind einschulen oder auf finanzielle Unterstützung
       des Sozialstaats angewiesen sind.
       
       Für diese Aufgaben sind in Berlin die Bezirke zuständig. Sie schaffen es
       nicht, rechtzeitig Kitagutscheine zu verteilen, Mülleimer in Parks zu
       leeren oder Jugendtreffs zu erhalten. Bei den Schulen, die nicht nur in
       einem erbärmlichen baulichen Zustand, sondern auch den steigenden
       Schülerzahlen nicht gewachsen sind, will der Senat nun die Notbremse ziehen
       und schlägt vor, größere Baumaßnahmen in Zukunft von der Verwaltung des
       Landes Berlin aus zu steuern.
       
       ## Land hat wenig Einfluss aus Bezirke
       
       „Es ist ein echtes Problem, dass die Landesebene kein ständiges
       Eingriffsrecht mehr hat“, beklagte der Regierende Bürgermeister Michael
       Müller (SPD) im Juli auf einer Veranstaltung seinen begrenzten Einfluss auf
       die Bezirke. Wenn das so ist, stellt sich die Frage, wofür Berlin diese
       dann überhaupt braucht.
       
       Die zweistufige Verwaltung hat in Berlin Tradition. Seit dem
       Zusammenschluss von Städten und Gemeinden zu Groß-Berlin im Jahr 1920 sind
       die Bezirke für alles vor Ort zuständig, während die Hauptverwaltung auf
       Landesebene etwa über Gesetze und Finanzen bestimmt (siehe Infokasten
       „Senat und Bezirke“).
       
       So soll sichergestellt werden, dass Probleme im Kleinen erkannt und
       bearbeitet werden, ohne dass der Überblick über das große Ganze verloren
       geht. Im Alltag nutzen Politiker beider Ebenen die geteilte Zuständigkeit
       aber auch, um Verantwortung abzuschieben.
       
       Ohne mehr Personal vom Senat könne Neukölln die Schlangen vor seinen
       Bürgerämtern nicht kürzen, erklärt Neuköllns Bürgermeisterin Franziska
       Giffey (SPD). Ähnlich begründet Pankows Ordnungsstadtrat Torsten Kühne
       (CDU), warum der Bezirk die unerlaubte Nutzung von Wohnraum als
       Ferienwohnung nicht kontrolliert bekommt. Und in Marzahn-Hellersdorf hält
       Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) es für unmöglich, ohne weitere
       Hilfe vom Land marode Sporthallen zu sanieren.
       
       ## Sechsjährige Verzögerung
       
       „Die Finanzierung der Bezirke durch das Land ist ausreichend“, meint
       hingegen Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD). Tatsächlich haben die
       Bezirke insgesamt im vergangenen Jahr einen Überschuss von 18 Millionen
       Euro erwirtschaftet. Aus ihrer Sicht haben sie sich dieses Geld jedoch vom
       Munde abgespart, mit unübersehbaren Folgen.
       
       Über solchen Streitereien werden schon länger existenzielle Aufgaben nicht
       mehr erledigt. Zu den vielen Leidtragenden gehören zum Beispiel die Schüler
       der Tesla-Gemeinschaftsschule im Pankower Ortsteil Prenzlauer Berg. Diese
       Schulform soll für mehr Chancengleichheit sorgen, indem sie Kinder von der
       ersten bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen lässt. Doch in der 2010
       gegründeten Schule ist das bis heute nicht möglich, weil auf dem
       Schulcampus die nötigen Räume fehlen.
       
       Während die Älteren dort in einem Altbau untergebracht sind, wurden die
       Kleinen in andere Schulen ausgelagert. Erst kippte der Senat aus
       finanziellen Gründen die vom Bezirk vorgesehene Sanierung eines alten
       Plattenbaus auf dem Campus, dann dessen Pläne für einen Neubau. Die Schuld
       für die mittlerweile sechs Jahre andauernde Verzögerung sucht jeder beim
       anderen. Das pädagogische Konzept bleibt darüber auf der Strecke.
       
       „Der Bezirk ist überfordert; der Senat schiebt die Verantwortung weit von
       sich“, meint eine Elternvertreterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung
       lesen möchte. „Ich habe den Eindruck, dass dort so viele Leute in einer
       Suppe rühren, dass diese verdirbt.“
       
       ## Frage der Zuständigkeit
       
       Wie sehen das die Verantwortlichen? Beate Stoffers, Sprecherin der
       Senatsverwaltung für Bildung, erklärt lapidar: „Für die Sanierung und den
       Bau an Schulen sind in Berlin die Bezirke zuständig.“ Für sie hat sich das
       Thema damit erledigt.
       
       Auf Bezirksebene kann Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) es
       sich nicht so einfach machen. Die Tesla-Schüler seien Opfer des
       komplizierten Abstimmungsprozesses zwischen Bezirken und Senat geworden,
       meint sie. So möchte die Landesebene als Geldgeberin über jede
       Planungsstufe drüberschauen (siehe Kasten zum Schulbau). Im Ergebnis
       vergehen zwischen Planung und Bau im Schnitt sieben Jahre, mitunter
       verfallen finanzielle Mittel. „Das ist der reine Irrsinn“, meint
       Zürn-Kasztantowicz.
       
       Das ist jedoch nicht das einzige Problem. Seit zehn Jahren ist die
       Stadträtin für die Schulen im Bezirk Pankow zuständig. Zu Beginn ihrer
       Amtszeit gehörte es noch zu ihren Aufgaben, Schulen zu schließen. Damals
       verließen viele Berliner die Stadt; mittlerweile hat sich der Trend jedoch
       umgekehrt. In Pankow, dem Bezirk mit dem berlinweit größten Wachstum, hat
       man das zuerst gemerkt.
       
       „Die Landesebene hat uns lange unsere Schülerprognosen nicht geglaubt und
       demnach keine Mittel für den Schulplatzausbau zugestanden“, sagt sie. Über
       Jahre haben in Pankow Bezirk und Senat mit unterschiedlichen Schülerzahlen
       geplant, wobei der Senat von niedrigeren Werten ausging, die sich
       letztendlich als falsch erwiesen. Im Ergebnis müssen die Schüler immer
       enger zusammenrücken.
       
       ## Personalmangel als weiteres Problem
       
       Und noch ein drittes Problem hat Zürn-Kasztantowicz ausgemacht: „Uns fehlt
       das Personal. Allein in den Sommerferien 2015 wurde an zwei Dritteln aller
       Schulen im Bezirk gebaut. Hinzu kommt die Planung mehrerer Neubauten. Wir
       bewältigen das nicht mehr.“
       
       Seit 2012 gilt Pankow als der Berliner Boombezirk. Damals sah eine Prognose
       der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein Wachstum um 60.000 auf
       440.000 Einwohner im Jahr 2030 voraus. Quer durch alle Ressorts meldete der
       Bezirk in der Folge Bedarf an neuen Mitarbeitern; andere, ebenfalls
       wachsende Bezirke taten es ihm gleich.
       
       Der Senat aber überhörte diese Bitten und beharrte auf einem Beschluss aus
       der Zeit vor der Wachstumsprognose. Diesem zufolge sollte der öffentliche
       Dienst in Berlin auf genau 100.000 Mitarbeiter zusammenschmelzen – davon
       80.000 auf Landes-, 20.000 auf Bezirksebene. Wie man auf diese Zahl
       gekommen war, wurde nie erklärt. „Ich glaube, das wurde ausgewürfelt“,
       erklärt ein Bezirkspolitiker, der mit dieser Meinung im Wahljahr nicht
       genannt werden möchte.
       
       ## Im Amt fehlt Personal
       
       Doch davon abgerückt wurde erst, als schon ganz Deutschland darüber lachte,
       dass man in Berlin länger auf einen neuen Pass warten muss als der
       DDR-Bürger auf seinen Trabant. Anfang des Jahres wurden allen Bezirken
       zusammen 440 neue Stellen zugestanden. Bereits vereinbarte
       Personaleinsparungen gelten jedoch weiter. Richtig ernst scheint das Land
       die Klage seiner Bezirke also immer noch nicht zu nehmen.
       
       Dort steigt der Frust. Denn während die Bezirke in den vergangenen 15
       Jahren die Zahl ihrer Mitarbeiter um 56 Prozent gesenkt haben, ging sie in
       den Senatsverwaltungen nur um 12 Prozent zurück. So gewinnen die Bezirke
       den Eindruck, dass sie die finanzielle Misere Berlins allein ausbaden
       müssen. Hand in Hand zu arbeiten, wie es die zweistufige Verwaltung
       erfordert, wird dadurch immer schwieriger.
       
       „Die Unstimmigkeiten werden auf dem Rücken unserer Kinder und aller
       Steuerzahler ausgetragen“, meint die Eltern-Vertreterin der Tesla-Schule.
       Indem die Landesebene die Bezirke permanent kontrollieren will und
       finanziell gängelt, bleibt vieles liegen. In Charlottenburg wartet man
       monatelang aufs Elterngeld? Im Amt fehlt Personal. Der Rasen vor dem
       Reichstag verrottet? Kein Geld für die Pflege.
       
       Dabei hat das Land Berlin deswegen seine Bezirke, damit diese nah an den
       Bürgern und den Problemen vor Ort sind. Wenn aber auf bezirklicher Ebene
       Entscheidungen getroffen werden, möchte der Senat noch einmal überprüfen,
       gegenrechnen und im Zweifel einschreiten.
       
       ## Gleichberechtigte Partner
       
       Trotz aller Schwierigkeiten: Die Bezirke aufzulösen würde das Berliner
       Verwaltungsversagen nicht beenden. Dafür könnten die Bezirke den Senat
       loswerden, indem sie aus Groß-Berlin wieder austräten. In Pankow machte
       diese Idee tatsächlich schon die Runde. Ganz ernst gemeint war sie wohl
       nicht. Doch muss der Senat anfangen, seine Bezirke als gleichberechtigte
       Partner zu behandeln. Denn wohin das Gegenteil führt, kann man derzeit
       beobachten.
       
       20 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Juliane Wiedemeier
       
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