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       # taz.de -- Die Wahrheit: Fit für die totale Vernichtung
       
       > Wer sich jetzt nicht sein Untergangsszenario schafft, der wird auf alle
       > Fälle leer ausgehen beim Weltenende am baldigen Jüngsten Tag.
       
       Ist das Ende nahe? Alfons Schuhbeck (nicht verwandt) ist davon überzeugt:
       „In fünfzehn Tagen ist hier Schicht im Schacht“, meint der 22-jährige
       Frührentner und verweist auf Zeichen am Himmel, die nur er zu deuten weiß.
       „Sehen Sie diese kleine Wolke? Das ist Putin. Und sehen Sie diese etwas
       dickere, langsamere Wolke? Das ist natürlich Merkel. Und sehen Sie jetzt,
       wie diese kleine Wolke in die dickere rast, sie von innen heraus zerfetzt?
       Das ist die Eurokrise.“
       
       Der nur scheinbar wahnsinnige Omendeuter ist Mitglied des Endzeitclubs
       „Satanas München 1879“, einer Vereinigung von Hobbyweltuntergänglern, die
       mit zu den ältesten in Deutschland und in der ganzen Welt gehört. Seit dem
       Austritt Großbritanniens aus der westlichen Wertegemeinschaft Mitte des
       Jahres schießen die Mitgliedszahlen rasant in die Höhe, Schuhbeck kann sich
       vor Eintrittsformularen überhaupt nicht mehr retten: „Das ist natürlich
       auch ein Zeichen des Endes. So wie alles, eigentlich.“
       
       ## Weltende zum Greifen nah
       
       Immer mehr Deutsche sind vom baldigen Weltenende überzeugt. Was früher
       Thema weniger Spinner, des Club of Rome und der Rückversicherer war, ist
       heute fester Baustein einer elementaren Weltanschauung. Dabei ist es ganz
       gleich, ob der Klimawandel, die Islamisierung oder Godzilla als
       Ausgangspunkt des Weltendes genommen wird: Wichtig ist allein, ein gesundes
       Misstrauen gegenüber dem Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen, an den
       Tag zu legen.
       
       Da ist zum Beispiel der Fall von Annegret Pokemon, 29, Assistenzärztin am
       Monetarius-Klinikum Frechen. Noch vor zwei Monaten interessierte sie sich
       hauptsächlich fürs Abnehmen, Horoskope und Killerspiele. Dann las sie in
       der Zeitung vom Auseinanderbrechen der Eurozone. „Da wusste ich, das ist
       das Ende“, sagt sie heute. Annegret sprach mit Familie und Freunden über
       ihre Gefühle – und war von dem Rückhalt und der Unterstützung sehr
       überrascht: „Ich dachte, die halten mich alle für eine Wahnsinnige. Dabei
       sind einige meiner besten Freunde selbst heimlich wahnsinnig.“
       
       Die Art des Weltendes ist dabei dem individuellen Geschmack überlassen.
       Annegret P. (Name im Weiteren abgekürzt) entschied sich für den absoluten
       Klassiker: ein Asteroid, in dessen alles verschlingendem Feuer jegliches
       intelligente Leben verglühen wird. Bei der Apokalypsenberatung wurden
       Asteroiden als mit ihrem Hauttyp besonders verträglich erkannt. „Andere
       entscheiden sich für exotischere Szenarien: Antimaterie, Ausländer,
       Asperger – wichtig ist allein, dass der Name mit A anfängt.“
       
       ## Postapokalyptische Ruinenwelt (Berlin)
       
       In der Beratung hat sie Hanuta Müller kennengelernt. Die 42-jährige
       Kurzschlussassistentin glaubt seit drei Jahren an das bevorstehende Ende
       der Welt, ausgelöst durch die Flüchtlingskrise. „Wenn demnächst zehn
       Milliarden schlecht ausgebildete, notgeile Syrer nach Deutschland kommen
       und hier mit ihren riesigen, knüppelharten Penissen alles kurz und klein
       schnackseln, dann gute Nacht, Welt!“, sagt die erfahrene Irre und legt
       Annegret Pokemon (Name wieder ausgeschrieben) eine Hand auf die Schulter.
       „Aber wenn wir Glück haben, macht dein Asteroid sie vorher platt!“ Die
       beiden lachen vertraut, umarmen sich. Sie wissen: Lange müssen sie es eh
       nicht mehr miteinander aushalten.
       
       In der Hauptstadt (derzeit Berlin) erfährt der Trend zum Weltende natürlich
       ein besonderes Raffinement. Junge Familien aus Prenzelsheim haben ein
       „Untergangsdorf“ in der Wuhlheide errichtet. Apfelbäumchen pflanzen,
       Jodtabletten werfen, sicher durch eine postapokalyptische Ruinenwelt
       (Berlin) spazieren – das alles lernt man dort in selbst organisierten
       Workshops. „Wenn diese Welt untergeht, wollen wir zu denen gehören, die es
       schon immer gewusst haben“, sagt Pätrick Schnitzelmann, 52, der das Dorf
       mitbegründet hat. „Wir verstehen uns vor allem als Weiterbildungsinstitut“,
       sagt er. Die „Lypsies“, wie sich die Apokalyptiker untereinander scherzhaft
       nennen, wollen lernen: „Unser Ziel ist: Wir machen die Leute fit für die
       totale Vernichtung.“
       
       Die Seminare im Untergangsdorf sind vielgestaltig: „Kochen mit Kakerlaken I
       & II“, „Zeichendeuten für Fortgeschrittene“, „Heulen und Zähneklappern“,
       „Rumschreien auf dem Marktplatz“, „Papiertüten basteln und über den Kopf
       ziehen“. Der Ansatz ist proaktiv, sagt Schnitzelmann: „Die Leute sollen die
       Apokalypse vor allem als Chance begreifen. Als Neustart auch.“
       
       ## Weltuntergang nachhaltig
       
       Schnitzelmann selbst ist mit dem Weltende ein reicher Mann geworden:
       Bücher, Talkshows, ein eigenes Lied von Böhmermann. Die Hälfte des Geldes
       geht in seinen Privattresor, die andere steckt er in langfristig
       orientierte Projekte, Immobilienfonds und Staatsanleihen. Für ihn ein
       Widerspruch? „Niemand hat gesagt, dass alle bei der Apokalypse mitmachen
       müssen“, sagt der Agonie-Anhänger mürrisch. Schnitzelmanns persönliche
       Endzeitvision ist eine Steuerprüfung vor dem dritten Quartal 2017: „Das
       wäre das Ende der Welt für mich“, sagt er.
       
       Wenn es um den Weltuntergang geht, sind die Deutschen konservativ. Während
       man sich in Italien und Frankreich in Sack und Asche hüllt und sich auf
       hohe Berggipfel flüchtet, um Gott näher zu sein, legen die Deutschen wert
       auf ein nachhaltiges Endzeiterlebnis. „Die Leute wollen nicht irgendeine
       x-beliebige Katastrophe“, sagt Schnitzelmann – „das, was sich die
       Dinosaurier haben bieten lassen, würde den meisten unserer Mitglieder nur
       ein müdes Lächeln abringen.“
       
       Plötzlich ertönt ein Schrei aus der Kinderkrippe des „Untergangsdorfs“. Die
       kleine Annika hat einen der „Spielknochen“ gemopst, mit denen die Kinder
       auf das massenhafte Sterben vorbereitet werden sollen. Für ihre Erzieherin
       ist das bereits ein kleiner Weltuntergang. „Das geht gar nicht“, schimpft
       nun auch Schnitzelmann. „Ja, wir glauben an das Ende von allem. Aber
       Respekt vor dem Eigentum anderer gehört für uns dazu.“
       
       ## Weltapokalypse wann?
       
       Damit stellt sich Schnitzelmann vor allem auch gegen Billig-Apokalypsen aus
       Amerika, die den Markt derzeit überschwemmen. „Sieben Plagen, Trump, die
       vier Reiter, da kann ich nur lachen“, lacht er. „Dieses biblische Zeug ist
       seit Jahrtausenden im Umlauf. Wird immer wieder kopiert und nachgeäfft.
       Passiert ist nichts.“ Schnitzelmann weist darauf hin, dass sich auch
       Experten wie Nostradamus oder Jürgen Elsässer immer wieder geirrt hätten,
       was das Ende der Welt angeht.
       
       „Die wenigsten sind seriös“, sagt Schnitzelmann, während er hastig viel
       Geld in großen Plastiktüten in seinen Kofferraum schafft. „Wenn Sie mich
       nun entschuldigen wollen, in zehn Stunden geht die Welt unter, und das kann
       man natürlich am besten in Liechtenstein erleben.“ Man wünscht ihm Glück.
       Er kann es brauchen.
       
       20 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leo Fischer
       
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