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       # taz.de -- Weltkulturerbe in Mali: „Kulturelles Erbe ist kein Luxusgut“
       
       > 2012 zerstörten Dschihadisten in Timbuktu uralte Mausoleen. Der
       > internationale Prozess gegen einen Haupttäter hat Signalwirkung.
       
   IMG Bild: Der Angeklagte al-Mahdi ist Sohn eines Religionsgelehrten aus einer Tuareg-Familie aus Timbuktu
       
       Berlin taz | Kriegsverbrecher vor Gericht sehen selten furchteinflößend
       aus. Ahmad al-Faqi al-Mahdi aus Mali macht keine Ausnahme, als er an diesem
       Montag beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag das Wort
       ergreift: Anzug und Brille, lange lockige tiefschwarze Haare und Bärtchen,
       eher ein Gelehrter als ein Krieger.
       
       Nur die äußerste Konzentration des Angeklagten verrät die Dimension, um die
       es hier geht. Zum ersten Mal macht das Weltgericht einem Islamisten den
       Prozess. Zum ersten Mal geht es in Den Haag um die Zerstörung von
       Kulturgütern. Und zum ersten Mal bekennt sich ein Angeklagter des ICC zu
       Prozessbeginn schuldig.
       
       Al-Mahdi, laut Gericht „zwischen 30 und 40 Jahre alt“, leitete in Mali die
       islamische Sittenpolizei in Timbuktu, als die mittelalterliche Weltstadt
       Afrikas zwischen April 2012 und Januar 2013 von bewaffneten Islamisten
       kontrolliert wurde. In dieser Funktion organisierte er die Zerstörung
       historischer Gebäude der Stadt.
       
       Die Zerstörungsorgie mit Hacken und Bulldozern zog sich vom 30. Juni bis
       11. Juli 2012 hin und sorgte für weltweite Empörung: Schon am 13. Juli
       forderte Malis Regierung den Internationalen Strafgerichtshof auf, sich des
       Falles als mutmaßliches Kriegsverbrechen anzunehmen.
       
       ## Symbol dumpfer Kulturfeindlichkeit
       
       Timbuktu ist Weltkulturerbe. Im Mittelalter war es eine der bedeutendsten
       Städte der Sahara-Region, wo sich arabische und afrikanische Kulturen
       begegneten. Seine Altstadt aus uralten Lehmgebäuden ist einzigartig, seine
       jahrhundertealten Manuskriptsammlungen im Besitz von Gelehrtenfamilien
       unersetzlich.
       
       2012 aber wurde Timbuktu zum Symbol der dumpfen Kulturfeindlichkeit der von
       Algeriern und Mauretaniern geführten „Al-Qaida im Islamischen Maghreb“
       (AQMI) und der malischen Islamistengruppe Ansar Dine, die gemeinsam im
       Norden Malis ihre fundamentalistische Interpretation des islamischen Rechts
       auslebten: Die alten Familiengräber, die Sufi-Friedhöfe und die Verehrung
       von Heiligen waren plötzlich auszumerzende Idolatrie, Musik wurde verboten
       und Malis Frauen durften sich nicht mehr normal kleiden. Erst mit
       Frankreichs Militärintervention Anfang 2013 wurde der Islamistenstaat in
       Nord-Mali zerschlagen.
       
       Al-Mahdi kannte sich aus. Er ist Sohn eines Religionsgelehrten aus einer
       alteingesessenen Tuareg-Familie aus Timbuktu. Als die Islamisten Ende März
       2012 Nord-Mali eroberten, im Windschatten einer Tuareg-Rebellion zur
       Gründung eines eigenen Staates, brachte er erst seine Familie in Sicherheit
       und kehrte dann in die Stadt zurück.
       
       Der neue Gouverneur von Timbuktu, der algerische AQMI-Führer Abu Zeid, bat
       ihn, eine religiöse Sittenpolizei zu gründen, die „Hesbah“. Sie war
       zunächst für die Ausführung von Urteilen des neuen islamischen Gerichts von
       Timbuktu zuständig. Dann, ab Juni, ging es um die kulturelle „Säuberung“
       der Stadt.
       
       ## Al-Mahdi war direkt beteiligt
       
       Die Islamisten rührten nicht an Timbuktus prächtige Moscheen – die
       brauchten sie selbst. Es ging ihnen um die alten Grabstätten und Timbuktus
       Sufi-Tradition der Heiligenverehrung – nicht umsonst heißt Timbuktu auch
       die „Stadt der 333 Heiligen“, für den aufrechten fanatischen Islamisten
       eine Unsitte. Erst wurde die Bevölkerung aufgefordert, mit der
       Totenverehrung aufzuhören. Dann beauftragte die Führung des Emirats die
       Hesbah, die Mausoleen zu zerstören.
       
       „Al-Mahdi war direkt und persönlich an jedem Stadium der (teilweisen)
       Zerstörung der Gebäude/Strukturen beteiligt“, schrieb die
       Vorverfahrenskammer in Den Haag in ihrem Beschluss vom 24. März, der die
       Anklage gegen den Malier zur Hauptverhandlung zuließ. „Er war Teil der
       Planungsphase als religiöser Experte und prominente Persönlichkeit im
       Rahmen der Besatzung von Timbuktu sowie der Vorbereitungs- und
       Ausführungsphase als Leiter der Hesbah.“
       
       Am Montag gingen die Ankläger ins Detail. Al-Mahdi schrieb die
       Freitagspredigt, die den Beginn der Zerstörungen an deren Vorabend
       ankündigte. Er wählte die Ziele aus und bestimmte ihre Reihenfolge. Er
       kaufte und verteilte die nötigen Spitzhacken zum Zerstören der alten
       Lehmgebäude. Er befehligte seine Polizisten, beaufsichtigte ihre Arbeit und
       beteiligte sich auch selbst.
       
       Über Tage zogen die Zerstörer eine Spur der Verwüstung vom Norden Timbuktus
       über den Südosten bis in die Altstadt. Insgesamt 14 der 16 alten
       Grabstätten der Stadt fielen ihnen zum Opfer. Zuletzt brachen sie die nie
       zu öffnende „heilige Tür“ der Moschee Sidi Yahia auf – für die Bewohner
       Timbuktus ein Sakrileg.
       
       ## Definition von Kriegsverbrechen
       
       Die Anklage gegen al-Mahdi wirft ihm die Zerstörung von neun Mausoleen
       sowie besagter Tür vor. Das Rom-Statut des Internationalen
       Strafgerichtshofs wertet in Artikel 8.2.e.iv „vorsätzliche Angriffe auf
       Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft
       oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, auf geschichtliche Denkmäler,
       Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, sofern es nicht
       militärische Ziele sind“, als Kriegsverbrechen.
       
       Bei der Zulassung der Anklage im März präzisierte die Vorverfahrenskammer,
       es komme nicht auf den Grad der Zerstörung an, sondern auf die Intention.
       Al-Mahdi ist sowohl als direkter Täter als auch als Mittäter und Gehilfe
       angeklagt. Es bestehe „kein Zweifel“ an der Existenz eines
       gemeinschaftlichen Plans, an dessen Umsetzung er mitgewirkt habe, so die
       Anklagebehörde bei der Anklageverlesung am Montag. Die Richter müssten aber
       befinden, ob er als Haupt- oder Mittäter schuldig zu sprechen sei.
       
       Die Fakten selbst sind unumstritten. Al-Mahdi hat alles zugegeben. Er war
       schon geständig, als er nach mehreren Jahren auf der Flucht im September
       2015 in Niger festgenommen wurde. Die 700 Beweismittel, die jetzt in den
       Prozess eingebracht werden sollen, haben Anklage und Verteidigung gemeinsam
       vorbereitet. Im Februar unterschrieb al-Mahdi einen Deal mit der
       Anklagebehörde, die ihm 9 bis 11 Jahre Haft in Aussicht stellte. Der
       Prozess ist auf eine Woche angesetzt – normalerweise dauert es in Den Haag
       Jahre, bis ein Urteil fällt.
       
       Historisch ist dieser Prozess wegen seiner Symbolwirkung. „Angriffe auf das
       kulturelle Erbe“, schreibt die American Bar Association, „sind eine
       zentrale Erscheinung moderner Konflikte geworden. Palmyra und Aleppo in
       Syrien, Mossul und Hatra im Irak sind alle angegriffen, bombardiert und
       zerstört worden. Diese Angriffe sollten in einen Zusammenhang gestellt
       werden, als Bestandteil derselben globalen Strategie von Verfolgung und
       Zerstörung.“
       
       ## Er bereue zutiefst, sagt al-Mahdi
       
       Oder, wie es Chefanklägerin Fatou Bensouda am Montag in ihren einleitenden
       Worten sagte: „Timbuktus Mausoleen zu zerstören bedeutet die Zerstörung der
       Wurzeln eines ganzen Volkes. Kultur ist, wer wir sind. Unser kulturelles
       Erbe ist kein Luxusgut.“
       
       Timbuktus Mausoleen sind mittlerweile wieder aufgebaut. Zu Prozessbeginn
       ergreift al-Mahdi selbst das Wort, auf Arabisch, und bekennt sich schuldig.
       „Den Schaden, den meine Handlungen angerichtet haben, bereue ich zutiefst“,
       sagt er. Er gestehe schweren Herzens, sagt er und zitiert Koransure 4:135 –
       „O die ihr glaubt, seid fest in Wahrung der Gerechtigkeit und Zeugen für
       Allah, mag es auch gegen euch selbst oder gegen Eltern und Verwandte sein.“
       
       Al-Mahdi erklärt sich zum „verlorenen Sohn“ seiner Stadt: „Ich möchte die
       gesamte Bevölkerung Timbuktus um Vergebung bitten.“ Denn, das kann er sich
       nicht verkneifen: „Wer vergibt, wird vom Allmächtigen belohnt.“ Das Gericht
       wohl also nicht.
       
       22 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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