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       # taz.de -- Kommentar Ermittlungen in München: Das Problem, nach rechts zu schauen
       
       > Die Ermittler zur Münchener Mordtat legten sich früh auf eine Amoktat
       > fest – zu früh. Die Möglichkeit rechtsradikalen Terrors wurde
       > ausgeblendet.
       
   IMG Bild: Die Trauer ist in München präsent. Die Aufklärung kommt noch
       
       Nur ein Tag war vergangen, da legte sich der ermittelnde Staatsanwalt fest.
       Man gehe bei dem Täter, der zuvor in München neun Menschen erschossen
       hatte, von einem „klassischen Amoktäter ohne jegliche politische
       Motivation“ aus. Tags darauf war sich auch der LKA-Chef sicher: Die Opfer
       seien „nicht gezielt ausgesucht“ worden.
       
       Ist die Sache wirklich so klar? Ist sie nicht.
       
       Denn inzwischen reiht sich Hinweis an Hinweis, dass ein politisches Motiv
       vielleicht doch in Frage kommt. Schon am Tattag fiel das Datum auf: Der
       fünfte Jahrestag des 77-fachen Terrorattentats des Rechtsextremisten Anders
       Behring Breivik. Der Münchner Attentäter bewunderte laut
       Ermittlungsergebnissen den Norweger, er schoss mit der gleichen Waffe,
       verfasste wie er ein „Manifest“. Zeugen berichteten, der 18-Jährige habe
       während der Tat Ausländerfeindliches gebrüllt. „Ich bin Deutscher“, rief er
       einem Anwohner zu.
       
       Nun berichtet die FAZ von Stimmen aus seiner Familie, die erzählen, wie er
       kokettiert habe, seinen Geburtstag mit dem von Adolf Hitler zu teilen. Und
       wie stolz er auf seine iranische Abstammung gewesen sei, einer „arischen“.
       Das klingt, als blieben wenig Fragen offen. Umso mehr, da die Opfer
       überwiegend Migranten waren –junge Münchner mit türkischen, kosovarischen
       oder griechischen Familienhintergrund.
       
       ## Vom Hass aufgeputscht
       
       Und dennoch könnte am Ende auch ein anderes Motiv das ausschlaggebende
       gewesen sein. Der 18-jährige war in psychiatrischer Behandlung, er wurde in
       der Schule gemobbt. Er war, laut Ermittlern, fasziniert von
       Schul-Amokläufern, hatte sich darüber Literatur beschafft, reiste eigens
       nach Winnenden, wo ein 17-Jähriger vor sieben Jahren 15 Menschen tötete.
       All das passt ins Amok-Schema.
       
       Vielleicht vermengen sich dem im Fall aber auch die Motive, vielleicht
       putschte sich ein psychisch Labiler mit rechtsextremem Hass auf. Man weiß
       es nicht, noch nicht.
       
       Und deshalb ist es ein Problem, wenn sich die Ermittler schon so sicher
       sind. Es gab eine Lehre aus dem letzten tödlichen Rechtsterrorismus, dem
       NSU: Nicht wieder sollten Polizei und Staatsanwaltschaften ein
       rassistisches Motiv voreilig ausschließen. Neun Migranten hatte der NSU aus
       dem Untergrund heraus ermordet. Über Jahre hatten die Ermittler keine
       Zweifel: Sie verdächtigten die Opfer als Kriminelle, anstatt ein
       politisches Motiv zu prüfen.
       
       Es wäre fatal, wenn in München ein ähnlicher Fehler nun wieder geschieht.
       Wenn sich wieder früh festgelegt wird, zu früh. Einen IS-Bezug sehe man bei
       dem Täter nicht, teilten die Ermittler gleich zu Anfang nicht. Dass der
       Terror auch von rechts gekommen sein könnte, das spielte – trotz des
       Breivik-Verweises –in den Verlautbarungen so gut wie keine Rolle. Wie
       gesagt: Es muss nicht so gewesen sein. Aber man kann nur hoffen, dass die
       Ermittler ihren Blick nicht wieder verengen – sondern diesmal alle Motive
       ernsthaft prüfen. Denn nur dann lässt sich am Ende auch diskutieren, welche
       gesellschaftlichen Schlüsse aus dieser Tat zu ziehen sind.
       
       28 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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