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       # taz.de -- Der informelle Sektor Kunst
       
       > Kunst Das Motto der 11. Manifesta in Zürich lautet „What People Do For
       > Money“. Die griechische Künstlerin Georgia Sagri hat eine Videoarbeit
       > darüber gemacht, was Künstler für die Manifesta leisten sollen
       
   IMG Bild: Georgia Sagri, Documentary of Behavioural Currencies, Installation View, Up State, 2016
       
       Interview von Gina Bucher
       
       taz: Frau Sagri, aus einer Liste von 1.000 Berufen, die in Zürich ausgeübt
       werden, haben Sie sich als Gastgeberin eine Bankerin ausgesucht. Was ist
       aus dieser Kollaboration entstanden? 
       
       Georgia Sagri: Aus den Begegnungen mit Josephin Varnholt ist die Arbeit
       „Documentary of Behavioral Currencies“ entstanden. Die zwei identischen
       Skulpturen, bestehend aus einem Video, Textfahnen und je einem Porträt,
       werden sowohl in der Manifesta-Ausstellung im Löwenbräu als auch in der
       Bank Julius Bär, dem Arbeitsplatz von Frau Varnholt, gezeigt. Die
       Installationen dokumentieren den Versuch, wie Josephin Varnholt und ich
       die Abstände zu überwinden versuchen, die uns aufgrund unserer
       unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen trennen.
       
       Zudem ist eine zweite Arbeit mit dem Titel „Georgia Sagri as Georgia Sagri
       (still without being paid as an actress)“ entstanden, die die Reaktionen
       des kuratorischen Teams der Manifesta auf die erste Arbeit reflektiert und
       zugleich die Zusammenarbeit mit der Manifesta überhaupt. Diese Arbeit zeige
       ich in der Galerie Up State, die nicht Teil der offiziellen
       Manifesta-Ausstellung ist.
       
       Sie legen den Vertrag zwischen Ihnen und der Manifesta offen. Warum? 
       
       Es ging mir darum, die Idealisierung der Arbeit und ganz konkret die
       Idealisierung der künstlerischen Arbeit zu durchbrechen. Und das heißt eben
       auch, offenzulegen, was es bedeutet, wenn Künstler bestimmte Arbeiten für
       Geld erledigen. Im Rahmen der Manifesta stand jedem Künstler ein bestimmtes
       Budget zu. Gleichzeitig wurden von den Künstlern Making-of Videos erwartet,
       um weitere Gelder für die Manifesta zu akquirieren und so zumindest einen
       Teil der Aufgaben der Kuratoren zu übernehmen. Das wollte ich nur unter der
       Bedingung machen, nicht selbst als Künstlerin, sondern als Schauspielerin
       zu erscheinen, die innerhalb dieses Manifesta-Marketing-Rahmens die Rolle
       der Künstlerin Georgia Sagri spielt. Gerade im Kontext einer Ausstellung
       mit dem Titel „What People Do For Money“ sollte diese Rolle, mein
       öffentliches, zur Schau gestelltes Auftreten und das heißt auch meine
       Arbeitskraft, nicht nur richtig bezahlt, sondern auch öffentlich
       artikuliert werden.
       
       In Ihrer zweiten Arbeit sieht man, wie Sie mit zwei unkenntlich gemachten
       Personen des Manifesta-Teams diskutieren. Worüber verhandelten Sie? 
       
       In der Diskussion geht es genau um diese Frage der Artikulation, also
       darum, wie dieses Video im Manifesta-Katalog erwähnt wird. Mir war es
       wichtig, dass mein Making-of Video unter dem Titel „Georgia Sagri as
       Georgia Sagri (still without being paid as an actress)“ aufgeführt wird.
       Der Titel sollte verdeutlichen, dass mein Erscheinen dort nicht
       selbstverständlich ist und vor allem nicht authentisch ist, wenn man so
       will. Sie meint die Arbeit an einer Rolle, die nichts mit dem Ideal einer
       künstlerischen Profession zu tun hat.
       
       Warum sind Ihnen diese Verhandlungen wichtig? 
       
       Sie sind, was ich „Behavioral Currencies“, also Verhaltenswährung nenne.
       Ich wollte dokumentieren, wie sich Menschen verhalten, wenn sie verhandeln;
       wie sie ihr Einverständnis geben oder entziehen und auf welche Weise sie
       mit Konflikten umgehen. All diese Arten des Benehmens sind Währungstypen,
       weil die Entscheidung darüber, ob wir etwas tun oder nicht tun, einen
       bestimmten Wert haben. Letztlich bezahlen wir nämlich den anderen auch in
       Form von hartem Geld, je nachdem, wie er sich in solchen Verhandlungen
       verhält.
       
       Sind Sie mit Ihren Verhandlungen zufrieden? 
       
       Ich bin sehr glücklich mit der Arbeit und wie sie nun im Katalog
       präsentiert wird. Ich musste zwar hart verhandeln, aber letztlich geht es
       in der Arbeit eben genau darum. In meinem konkreten Fall ging es dabei auch
       darum, sichtbar zu machen, dass selbst die bürokratischen und verwaltenden
       Strukturen von künstlerischen Institutionen auf eine Art angelegt sind,
       dass sie aus der Arbeit der Künstler nicht nur Kapital schlagen, sondern
       ein verdinglichtes ideales Bild der künstlerischen Arbeit vermitteln, das
       nicht der Realität entspricht.
       
       Wie verhalten sich KünstlerInnen und Institutionen zueinander? 
       
       Das Verhältnis lässt sich als ein großes Missverständnis beschreiben:
       Obwohl man ohne die Arbeit des Künstlers überhaupt nichts zeigen und
       ausstellen könnte, obwohl die Institutionen ohne den Künstler sinnlos
       wären, muss sich der Künstler seltsamerweise allen möglichen Entscheidungen
       beugen, die mit dem Branding, dem Marketing und der Außendarstellung einer
       solchen Institution wie der Manifesta zu tun haben. Im Übrigen gilt das
       auch für die Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass ein Werk überhaupt
       installiert wird und ohne die ebenfalls keine Ausstellung zustande kommen
       würde. Mir ging es darum, auf diese Verhältnisse, die Rollenverteilungen
       und Zwänge aufmerksam zu machen. Denn wenn wir glauben, dass es sich hier
       um natürliche Zwänge handelt, die man einfach so hinnehmen muss, erliegen
       wir einer fatalen Illusion.
       
       In welcher Rolle sehen Sie sich als Künstlerin? 
       
       Ich bin Künstlerin, ich werde nicht dafür bezahlt, die Arbeit der Kuratoren
       und Manager zu machen. Wenn ich ein Werk schaffe, dann nach meinem
       Verständnis – so, wie ich möchte, dass Menschen meine Arbeit sehen, und das
       bedeutet eben zugleich immer auch, wie sie die Welt sehen: Ich versuche in
       meinen Arbeiten nicht nur zu verstehen, wie die Welt hier und heute ist,
       sondern auch, wie sie in Zukunft sein könnte. Die Kunst hat immer den
       Vorteil, dem Betrachter intellektuelle Werkzeuge zur Verfügung zu stellen,
       um Situationen und ihre Grenzen und die hinter diesen Grenzen liegenden
       Möglichkeiten verstehen zu können. So verstehe ich die Funktion meiner
       Arbeit: Ich versuche mich und meine Sicht auf die Welt über meine Werke zu
       artikulieren.
       
       Sie bezeichnen Ihre künstlerische Praxis als „abenteuerliches Verhalten“ –
       was meinen Sie damit? 
       
       Wenn ich in die Bank gehe, um dort mit Frau Varnholt zu sprechen, dann
       betrete ich einen fremden, mir unbekannten Raum. Ich betrete diesen Raum
       aber sehr bewusst, mit einem Sinn für das verborgene Abenteuer, wenn Sie so
       wollen. Anders ausgedrückt, versuche ich mein Anliegen in verschiedenen
       linguistischen, rhetorischen und sozialen Systemen zu artikulieren, und das
       ist abenteuerlich. Denn meine künstlerische Produktion steht, wie im
       übrigen Kunst im allgemeinen, notwendigerweise in Wechselwirkung zu anderen
       Systemen, die nicht unbedingt etwas mit Kunst zu tun haben.
       
       Der Kunstkontext ist immer schon Teil anderer gesellschaftlicher und
       kultureller Zusammenhänge, beispielsweise setzt auch die Kunst eine
       bestimmte gesellschaftliche Übereinkunft voraus, wie die sogenannte
       Lohnarbeit gesellschaftlich organisiert ist. Wenn man sich über diese
       Zusammenhänge bewusst ist, wenn man versteht, dass es keine getrennten
       Systeme gibt, dass alle Systeme miteinander verbunden sind und sich
       beeinflussen, wird man feststellen, dass viele dieser Systeme unflexibel
       geworden sind; dass sie die agierenden Personen von vornherein in ihren
       Handlungen einschränken. Als Künstler aber hat man aufgrund der
       symbolischen Produktion die Möglichkeit, sich zwischen verschiedenen
       Systemen zu bewegen und von einem System ins andere zu übersetzen und so
       Blickpunkte und Möglichkeiten offenzulegen. Wenn ich das nicht kann, habe
       ich meine Arbeit als Künstlerin nicht gut gemacht. Dann habe ich nicht
       erreicht, was ich mit meiner Arbeit eigentlich erreichen möchte.
       
       Worin bestand für Sie das Abenteuer mit der Bankerin? 
       
       Ich hatte mich aus verschiedenen Gründen dafür entschieden, eine weibliche
       Bankerin zu treffen. Obwohl es sich bei einer Bankerin und einer Künstlerin
       auf den ersten Blick um zwei Professionen handelt, die unterschiedlicher
       nicht sein könnten, gibt es eine Menge an erstaunlichen Übereinstimmungen
       zwischen uns, was zweifellos mit den gesellschaftlichen Mechanismen und
       genderspezifischen Stereotypen zu tun hat. Unabhängig vom eigentlichen
       Beruf kämpfen Frauen immer noch um Anerkennung in ihrer Arbeitswelt –
       Josephin Varnholt als Bankerin genauso wie ich als Künstlerin. Wir haben in
       dieser Hinsicht sehr viel mehr gemeinsam als zum Beispiel der Kurator
       Christian Jankowski und ich, obwohl wir beide Künstler sind. Hier wird also
       eine generelle oder sagen wir: strukturelle Form sozialer Ungerechtigkeit
       sichtbar, die sich allein auf den Unterschied Mann/Frau bezieht. Daher
       scheint mir die Analyse unseres Verhaltens wichtig, einer Analyse also, die
       in der Lage ist zu erklären, wie wir unsere Beziehungen untereinander
       konstruiert haben und wie wir sie konstruieren könnten. Dasselbe gilt auch
       für unsere Beziehung zum gesellschaftlichen System als solchem, und dieser
       Beziehung können wir neue Formen geben.
       
       22 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gina Bucher
       
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