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       # taz.de -- Bremer Verein entwickelt Gehörlosenspiel: Eine kleine Hürde weniger
       
       > Anlässlich seines zehnjährigen Bestehens hat der Verein „Hand zu Hand“
       > ein bilinguales Spiel für Hörende und Gehörlose herausgebracht.
       
   IMG Bild: Gebärdend lässt sich auch spielen.
       
       Bremen taz | Seit zehn Jahren bietet der Bremer Verein „Hand zu Hand“
       psychosoziale Therapie und Beratung an – in Gebärdensprache. Damit fällt
       die Sprachbarriere weg, die sonst DolmetscherInnen überwinden. Anlässlich
       seines Jubiläums hat der Verein für Gehörlose und Hörgeschädigte nun ein
       Spiel herausgebracht, das die Kommunikation zwischen Gehörlosen und
       Hörenden, insbesondere in Familien, fördern soll.
       
       Gegründet wurde „Hand zu Hand“ bereits 2004 von den beiden Pädagoginnen und
       systemischen Therapeutinnen Wilma Pannen und Jane Haardt. „Wir haben in
       einer allgemeinen Beratungsstelle für Gehörlose gearbeitet und
       festgestellt, dass es einen hohen Bedarf an psychosozialer Beratung gibt“,
       erzählt Pannen.
       
       Im Jahr 2006 konnte der Verein, der sich ausschließlich durch Spenden
       finanziert, mit dem Beratungsangebot beginnen. Die Probleme, sagt Pannen,
       mit denen die Menschen kämen, hätten überwiegend nicht konkret mit
       Gehörlosigkeit zu tun. 900 Gespräche führt das Team pro Jahr durch. „Wir
       haben ein niedrigschwelliges Angebot, es ist etwa keine Überweisung vom
       Arzt nötig“, sagt Pannen.
       
       Zwei Teilzeitstellen kann der Verein finanzieren. Neben Pannen und Haardt,
       beide hörend, wird er seit diesem Jahr durch den gehörlosen Psychologen Ivo
       Weber ergänzt.
       
       „Hand zu Hand schließt den Reigen der notwendigen Beratungsangebote“, sagt
       Patrick George vom Landesverband der Gehörlosen Bremen e. V. – daneben gebe
       es noch den Integrationsfachdienst, der zu beruflichen Dingen berät, sowie
       eine allgemeine Beratung durch den Landesverband.
       
       In Bremen gebe es keine Ärzte oder Therapeuten, die Gebärdensprache
       sprächen, sagt Pannen. Hier kommen stets DolmetscherInnen zum Einsatz.
       „Zudem ist neben der Sprachkompetenz auch die Feldkompetenz wichtig, denn
       die Biografien gehörloser Menschen unterscheiden sich von denen hörender
       Personen.“
       
       Der Verein hat ein großes Einzugsgebiet. „Die Menschen kommen zu gleichen
       Teilen aus Bremen und aus dem Umland“, erklärt Pannen. Dazu zählen selbst
       Hamburg oder Hannover. Dennoch schafft es der Verein, Termine relativ
       zeitnah zu vergeben. „Für eine Beratung bei mir müssen die Menschen
       momentan etwa sechs Wochen warten. Bei meinem Kollegen geht es etwas
       schneller, da er neu im Team ist“, so Pannen.
       
       Neben dem Beratungs- und Therapieangebot bietet der Verein auch Vorträge
       zu psychologischen und soziologischen Themen wie Streit oder Konflikte an.
       Außerdem gibt es mit dem „Coda“-Trainingsprogramm ein spezielles Angebot
       für bilinguale Familien. „Coda“ steht für „Children Of Deaf Adults“ und ist
       die Bezeichnung für hörende Kinder von gehörlosen Eltern.
       
       2013 holte Hand zu Hand das Berliner Konzept nach Bremen. „Das Programm ist
       zweigeteilt. Im Elternkurs, in Gebärdensprache, geht es um
       Erziehungsfragen“, erklärt Pannen. „Der Kinderkurs ist ein
       identitätsstärkendes Seminar.“
       
       Hier werden spielerisch Coda-spezifische Themen besprochen, denn im Alltag
       können schwierige Situationen entstehen. „Ein Beispiel: Die Polizei spricht
       eine Mutter auf ein falsch geparktes Auto an. Da diese gehörlos ist, wendet
       sich die Polizei an das fünfjährige Kind, welches mit der Situation
       überfordert ist – und die Mutter sieht nur das erschrockene Kind.“
       
       Neun von zehn gehörlosen Kindern haben hörende Eltern und neun von zehn
       gehörlosen Paaren haben hörende Kinder. „So entstehen viele bilinguale
       Familien, in denen wegen der Mehrsprachigkeit etwas weniger Kommunikation
       stattfindet als in hörenden Familien“, sagt Pannen.
       
       Um die Kommunikation in diesen Familien zu fördern, hat der Verein nun
       „Hand im Spiel“ herausgebracht. Die MitspielerInnen müssen Fragen
       beantworten. Die stehen auf Karten, auf denen auch ein QR-Code abgedruckt
       ist. Er führt zu einem Video, in dem die Frage in Gebärdensprache gestellt
       wird.
       
       „Die deutsche Lautsprache, damit auch die Schriftsprache, ist nicht die
       erste Sprache, die Gehörlose lernen. Ohne die Videos hätten wir direkt eine
       Hürde für Gehörlose eingebaut“, erklärt Pannen. Ziel des Spiels ist es,
       Schätze vor Piraten zu schützen – gewinnen können die SpielerInnen nur
       gemeinsam.
       
       25 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jördis Früchtenicht
       
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