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       # taz.de -- Kolumne Nach Geburt: Der Spion vorm Kühlschrank
       
       > Unser Kolumnist soll hier lustige Texte über seine Töchter schreiben.
       > Dabei redet er doch viel lieber über sich. Heute versucht er es anders.
       
   IMG Bild: „Ich hab auch einen Mund.“ Wieder zucke ich zusammen. Der Minimensch ist ja immer noch da
       
       Meine Freundin möchte, dass ich hier weniger meine politischen oder
       gesellschaftlichen Ansichten auswalze. Die Leute wollten lustige
       Geschichten von unseren Töchtern lesen und ich würde sowieso immer nur über
       mich schreiben, „das interessiert doch kein Schwein“.
       
       Tja, wieder ein Traum zerplatzt. Dabei wollte ich doch, dass diese Kolumne
       zu meinem politischen Vermächtnis wird, ein Fanal gegen die
       Kinderleistungsgesellschaft; ich wollte, dass mal ein Verlag anruft und all
       die kleinen Kolumnen in einem Buch bündelt, das dann zum Standardwerk der
       zweiten Babyboomer (die ab dem Jahr 2030) wird, und ich zum Remo Largo der
       nachfolgenden Elterngeneration aufsteige – nur ohne den wissenschaftlichen
       Unterbau, dafür habe ich keine Zeit.
       
       Interessiert kein Schwein.
       
       Dann halt lustige Geschichten von Tochter eins. Das ist die Zweijährige mit
       dem besonderen, ja liebevollen Verhältnis zum Essen („Butter, Du süße
       Maus“). Sie hat ein neues Lieblingsessen: Köttbullar. Sie nennt sie
       „Fleischgummibärchen“. Warum ich jetzt darauf komme? Wir sind gerade in
       Schweden. Köttbullar sind hier das traditionelle Gericht der Eingeborenen.
       Außerdem läuft hier im Sommer immer das schöne Lied „Sommartider“. Das geht
       so: „Sommartider hej hej, Sommartider“ und dann folgt einiges, das ich
       nicht verstehe, aber ich schätze mal, dass es um die Sommerzeit geht und
       wie schön die ist und das mit der Sommerzeit nicht die Zeitumstellung,
       sondern tatsächlich die Monate Juni, Juli, August gemeint sind. Das Lied
       ist von dem Sänger von Roxette und ist schon recht alt. Er scheint also ein
       Leben vor Roxette gehabt zu haben. Man lernt nie aus.
       
       ## Der kleine Spion
       
       Außerdem komme ich auf die Fleischgummibärchen, weil ich seit kurzem die
       Mahlzeitenstasi im Haus habe, Hauptabteilung XI: Essensaufklärung. Kaum
       mache ich den Kühlschrank auf, steht ein gut 90 Zentimeter großer Spion
       hinter mir: „Ich auch was haben.“
       
       „Du weißt doch gar nicht, was ich essen will, ich weiß es ja selber noch
       nicht“, sage ich halb erschrocken ob des unerwarteten Angriffs von hinten,
       halb genervt, dass ich es immer noch nicht abstellen konnte, ständig in den
       Kühlschrank zu schauen. Ich denke daran, wie es meine Eltern wahnsinnig
       gemacht hat, wenn ein Kind nach dem anderen aus der Schule nach Hause kam
       und erstmal die Kühlschranktür öffnete, einfach nur so, um mal zu gucken,
       was da ist. Meistens fanden wir das Angebot blöd. Wir hatten ja nichts. Die
       90er-Jahre waren ne harte Zeit. Oh, jetzt denke und schreibe ich wieder nur
       über mich.
       
       „Ich hab auch einen Mund.“ Wieder zucke ich zusammen. Der Minimensch ist ja
       immer noch da.
       
       „Wir essen doch gleich Mittag.“ Haha, denke ich, wenn die wüsste, dass das
       noch eineinhalb Stunden hin ist. Innerlich lobe ich mich selbst dafür, den
       Überwachungsstaat wieder ausgetrickst zu haben.
       
       „Was gibt’s heute?“ Diese Spionagefüchse, denke ich, auf jede Frage fällt
       denen noch eine Gegenfrage ein. „Keine Ahnung“, sage ich.
       
       „Ich hab auch einen Mund.“ So drehen wir uns im Kreis. Ihre Verhörtechnik
       ist unglaublich ausgebufft. „Was willst Du?“, frage ich schließlich.
       „Fleischgummibärchen“, sagt sie.
       
       Der Überwachungsstaat hat wieder gesiegt. Sommartider hej hej.
       
       18 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
       
       ## TAGS
       
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