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       # taz.de -- Bilanz der Olympischen Spiele in Rio: Aufgebläht und zum Unwohl vieler
       
       > Ein Wettbewerbs-Wust, bei dem die SportlerInnen kaum in den Mittelpunkt
       > rückten: Das war Olympia 2016. Fünf Thesen, fünf Forderungen.
       
   IMG Bild: Olympia am Meer – aber bitte nicht noch mehr Olympia
       
       1. Als Sportevent sind die Olympischen Sommerspiele klar die Nummer eins:
       Sie sind nicht so überkandidelt wie Fußballweltmeisterschaften der Männer
       oder eine EM. In der Welt des Fußballs wird das Ereignis mittlerweile
       überinszeniert, bei den Olympischen Spielen wird weniger Bohei gemacht um
       die Sportler und Sportlerinnen. Selbst Stars der Spiele sind greifbar und
       erreichbar. Exklusive Treffen zwischen Journalisten und Sportlern sind
       möglich, ein Ding der Unmöglichkeit in der durchreglementierten Welt des
       Fußballs, wo alle wichtigen und unwichtigen Spieler sich abschottend in
       einer Blase befinden.
       
       Dort ist echter Recherchejournalismus kaum mehr möglich, hier, bei den
       Olympischen Spielen, die obendrein nicht nur Sportmonokultur (Fußball!)
       bieten, kann man mit dem Ruder-Olympiasieger Mahé Drysdale plötzlich in
       einer Schlange stehen und plaudern. Die gleiche Szene bei einer Fußball-WM
       mit Cristiano Ronaldo? Unmöglich.
       
       2. Die Spiele haben den falschen Mix: Sportarten, die ihren großen Auftritt
       außerhalb von Olympia haben, wie Fußball, Golf, Tennis und vielleicht sogar
       Straßenradsport, gemeint sind jeweils die Männer, sollten bei Olympia
       nichts mehr verloren haben, denn sie stehlen jenen Athleten die Show, die
       nur alle vier Jahre ins Rampenlicht rücken.
       
       Kanuten oder Ringer brauchen die Spiele in existenzieller Weise als Hochamt
       ihres Sports, was man von Fußballern nicht behaupten kann. Sie haben die
       WM, die Golfer ihre Major-Turniere und Radler die Tour de France. Es geht
       nicht darum, Profisportler zu verbannen, denn die meisten Topathleten,
       auch die Kanuten, machen ihren Job hauptberuflich, aber gerade Fußballer,
       Golfer und Tennisspieler brauchen Olympia nicht, um sich in Stellung zu
       bringen für Medien, Zuschauer und Sponsoren.
       
       Das IOC predigt zwar einen gewissen Universalismus, aber wenn es danach
       geht, müssten bald auch olympische Formel-1-Rennen stattfinden.
       
       3. Die Spiele müssen gestrafft werden: Es ist einfach zu viel los, an zu
       vielen Orten in zu vielen Gewichtklassen und Wettbewerben. Olympia ist zu
       unübersichtlich, zu groß. Das eine Ereignis kannibalisiert das andere. In
       der Flut der Medaillengewinner verliert sich die Exklusivität des Erfolgs.
       Sportler, die vorn landen, sollten nicht nur in eine Statistik eingehen,
       sondern in epischer Breite gewürdigt werden. Das ist bei diesem
       Ereigniswust nicht mehr möglich, was auch dazu führt, dass jede Nation nur
       auf die Erfolge der eigenen Athleten schaut.
       
       Es ist schön, den Sport in seiner ganzen Vielfalt bei den Spielen zu haben,
       aber warum muss es einen Kanu-Sprint über 200 Meter geben oder den
       Mannschaftswettbewerb im Dressurreiten? Das IOC hat zwar mit Tamtam seine
       Agenda 2020 durchgeboxt, aber das Reformwerk war nur auf Wachstum
       ausgelegt. Ein Gesundschrumpfen Olympias ist dringend notwendig. 1972 in
       München gab es 195 Wettbewerbe, 2016 in Rio sind es schon 306 gewesen. Eine
       Steigerung von 56 Prozent. Das ist genau das Wachstum, das IOC-Chef Bach
       vorschwebt. Zum Wohl von Olympia ist das nicht.
       
       4. Die Spiele müssen ihr Glaubwürdigkeitsproblem lösen: Aber solange ein
       Whistleblower wie die russische Leichtathletin Julia Stepanowa wie eine
       Brunnenvergifterin vom IOC behandelt wird, gibt es dafür keine Lösung. Das
       IOC ist in Zukunft ja rein theoretisch auf noch mehr Zuträger angewiesen,
       die idealerweise aus Kenia, Kasachstan und China kämen und aufdeckten, wozu
       (halb)staatliche Stellen in den jeweiligen Ländern nicht fähig sind.
       
       Aber will das IOC überhaupt eine Offenlegung der wahren Zustände des
       Antidopingkampfes? Eher nicht, sonst hätte es den Einfluss von
       Whistleblowern gestärkt und Stepanowa in Rio starten lassen – auch wenn es
       nur eine symbolische Geste gewesen wäre. Fakt ist: Überall, wo etwas
       genauer hingeschaut wird, als es die Antidopingagenturen in ihrem
       unterfinanzierten Regelbetrieb machen, tut sich ein Panorama des Betrugs
       auf. Nicht nur in Russland. Der olympische Sportkonsum findet unter
       Vorbehalten statt. Das muss jedem Sportfan klar sein.
       
       5. Die Fixierung auf den Medaillenspiegel, insbesondere die des Deutschen
       Olympischen Sportbunds, ist öde: 44 Medaillen sollten die Deutschen
       gewinnen, aber weil es nun ein paar weniger geworden sind, werden seit
       Tagen Krisengespräche unter Sportfunktionären geführt: Was muss getan
       werden, damit wir sportlich wieder groß und mächtig werden?
       
       Dabei liegt Deutschland im Medaillenspiegel auf Platz fünf, was völlig okay
       ist. DOSB-Chef Hörmann aber tut so, als sei für ihn in Rio eine olympische
       Welt zusammengebrochen und kündigt die Generalreform im deutschen Sport an.
       Er denkt freilich ähnlich wie der deutsche Sportminister Thomas de Maizière
       in den falschen Kategorien: Sicherlich hat eine sehr reiche Industrienation
       die Möglichkeiten, Sportler hochzuzüchten und so zu fördern, dass sie viele
       Medaillen gewinnen.
       
       Souverän und selbstbewusst agiert ein Land der westlichen Welt aber erst
       dann, wenn es Platz 24 im Medaillenspiegel tiefenentspannt zur Kenntnis
       nimmt und sagt: Wenigstens waren das ehrlich gewonnene Medaillen, ohne
       Pharmaka und andere Deformationen am Athletenkörper. Aber für diese Sicht
       ist der DOSB zu kleinkariert.
       
       22 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
       ## TAGS
       
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