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       # taz.de -- „Blonde“ von Frank Ocean: Jungs weinen anscheinend doch
       
       > Nun ist es raus: Frank Ocean veröffentlicht mit „Blonde“ ein zerfasertes
       > neues Werk. Hält es den Erwartungen stand?
       
   IMG Bild: Frank Ocean im Jahr 2013
       
       „I got two versions“, prahlte Frank Ocean im April 2015. Heute sind es sage
       und schreibe vier Veröffentlichungen, die er in weniger als einer Woche
       rausgehauen hat: den 45-minütige nSoundtrack „Endless“ zu einem zuvor
       geteaserten Loop-Stream; den Stream selbst, in dem er sich eine Treppe zum
       Ruhm zimmert; ein Magazin, „Boys Don't Cry“ heißt es, wie zuvor der
       Arbeitstitel des zweiten Albums des 28-Jährigen Künstlers aus L.A. Am
       Sonntag ist es nun erschienen und heißt in verschiedenen Schreibweisen
       „Blonde“ beziehungsweise „Blond“ .
       
       Es startet mit der Hymne „Nikes“, zu der es ein anspielungsreiches Video
       gibt. Sneaker, singt er darin, seien in Zeiten des Markenfetischismus
       Liebesersatz. Ocean mit Identitäten als Sugar Daddy und zurücksteckender
       Liebhaber: Frank Ocean ist Glitzer, Frank Ocean ist niemand, Frank Ocean
       ist viele. Auch musikalisch wird er zum fluiden Wesen.
       
       Ein Slow-Motion-Beat und sphärische Synthie-Hooks schaffen futuristische
       Sounds. Verglichen damit wirkt die Musik seines Debüts „Channel Orange“ wie
       ein Soul-Relikt aus den Sechzigern. Bei vielen neuen Songs verzerrt Ocean
       die Vocals mit einem Klangeffekt, erst im Finale findet er zu seiner
       nackten Stimme zurück.
       
       ## Verschwurbelte Gitarren
       
       Für die Produktion zeigt sich neben ihm selbst unter anderem sein
       Odd-Future-Kollege Tyler, The Creator verantwortlich. Statt Groove und
       Pop-Appeal haben sie für „Blonde“ verschwurbelte Gitarren („Ivy“),
       elektronische Pianos („Good Guy“), Vocoder-Effekte und abstrakte Synthies
       nach vorn gemischt. Nur „Pink + White“, ein Song, in dem Beyoncé „Ohs“ und
       „Ahs“ beisteuert, hätte das Farbspiel von „Channel Orange“ weiterführen
       können. „Godspeed“ hat Anklänge an einen Gospelsong, in „Self Control“
       macht der Sänger ein für alle Mal klar, dass Jungs eben doch weinen.
       
       Insgesamt wirkt das Songmaterial sehr divers. Als Ganzes ist das Album fast
       zerfasert und mitunter skizzenhaft. Erst beim zweiten Hören stellt sich das
       als Kulmination der vielen Ideen des Frank Ocean dar. Am schönsten sind
       diejenigen Songs, die am stärksten von dem abweichen, wofür der Kalifornier
       so viele Vorschusslorbeeren bekommen hat.
       
       Denn in der Entstellung ist sich der Künstler ähnlicher als in den
       Rahmungen, die ihm seit „Channel Orange“ begleiten. Es scheint, das fluide
       Wesen, das dem Namen des Künstlers alle Ehre macht, könnte tatsächlich den
       Ziggy-Stardust-Moment des R&B einholen, den Kritiker schon beim Debüt
       erkannt haben wollen.
       
       „Blonde“ zu hören sei, wie eine mittelmäßige Mahlzeit großartig zu finden,
       nachdem man lange nichts gegessen hat, formulierte die US-Autorin
       Franchesca Ramsey. Ob Frank Ocean letztlich mit seiner
       Veröffentlichungsstrategie den Bonus verspielt, den ihm die Popkritik nach
       „Channel Orange“ eingeräumt hatte, dürfte ihm egal sein. Er hatte großen
       Spaß – und er hat ein durchdachtes, zeitgemäßes Album veröffentlicht.
       
       23 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Diviam Hoffmann
       
       ## TAGS
       
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