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       # taz.de -- Unterschätztes Handwerk: Die allererste Zuschauerin
       
       > Die Hamburger Filmeditorin Magdolna Rokob schneidet sowohl
       > ARD-Tatortkrimis als auch kleine unabhängig produzierte Dokumentarfilme.
       
   IMG Bild: Sie bestimmt am Computer den Stil und den Rhythmus der Filme mit, die auf ihren Tisch kommen: Magdolna Rokob.
       
       Nein, „Cutterin“ mag Magdolna Rokob gar nicht genannt werden. Da könne man
       sich ja kaum etwas drunter vorstellen und früher sei sie öfter gefragt
       worden, ob sie so etwas ähnliches wie eine Schneiderin sei. Sie ist eine
       Filmeditorin und vor ein paar Jahren gab es sogar einen Beschluss vom
       „Bundesverband Filmschnitt Editor“, durch den der antiquierte Begriff zwar
       nicht verboten, so doch aus allen offiziellen Schreiben verbannt worden
       ist.
       
       Tatsächlich ist der Schnitt eines der wichtigsten Gewerke der
       Filmproduktion, aber auch eines der unscheinbarsten. Was als die Arbeit des
       Regisseurs angesehen wird, ist zu einem nicht unerheblichen Anteil am
       Schneidetisch vom Editor geschaffen worden. Aber dessen oder deren Arbeit
       wird außerhalb der Branche kaum geschätzt.
       
       ## Fast ausschließlich Frauen
       
       Es gibt nur sehr wenige bekannte Editorinnen, und hier ist die
       Geschlechtsbezeichnung eindeutig, denn sie sind allesamt Frauen: So war und
       ist Thelma Schoonmaker vom ersten bis zum aktuellen Film von Martin
       Scorsese seine Editorin und Bettina Böhler ist die deutsche Filmeditorin,
       die den Stil und den Rhythmus der Filme der sogenannten „Berliner Schule“
       mitgeprägt hat.
       
       Noch schneiden überwiegend Frauen Filme und dies erklärt Magdolna Rokob
       damit, dass das lange eher als Handarbeit denn als ein Handwerk angesehen
       wurde. Da wurde an einem Tisch geschnitten, geklebt und die einzelnen
       Filmstreifen wurden wie zum Trocknen auf einer Leine aufgehängt.
       
       Das änderte sich dann grundlegend durch den digitalen Filmschnitt, der sich
       seit den 90er-Jahren sehr schnell durchsetzte. 1995 wurden noch etwa 50
       Prozent der Hollywood-Produktionen mechanisch geschnitten. Heute tun dies
       nur noch noch einige Exoten und Nostalgiker.
       
       ## Mit Glück zum Fernsehen
       
       Rokob schnitt 1999 das letzte Mal einen Film auf 35-Millimeter-Material. Da
       die digitale Montage viel mehr mit Technik zu tun hat, sind nun auch die
       Männer daran interessiert und so gibt es inzwischen auch einige talentierte
       männliche Kollegen, während „zu viel Technik auf Frauen schnell
       abschreckend wirkt“, wie Rokob sagt.
       
       Für sie war es schon früh der Traumberuf, Filme zu schneiden. Die Ungarin
       hatte kurz vor dem Abitur in einer Zeitschrift einen Artikel über eine
       Editorin gelesen und war davon so fasziniert, dass sie einen
       Bewerbungsbrief an das ungarische Fernsehen schrieb. Mit viel Glück bekam
       sie dort eine Ausbildungsstelle und arbeitete sich langsam in der Abteilung
       für Dokumentationen in der Hierarchie hinauf.
       
       1983 sah sie in Ungarn keine Perspektive mehr für sich und landete nach
       einer abenteuerlichen Flucht in den Westen eher zufällig (eigentlich wollte
       sie nach Paris) in Hamburg. Einer ihrer Freunde studierte dort an der
       Hochschule für Bildende Künste (HFBK). Eine gut ausgebildete Editorin war
       hier gefragt, denn in Westdeutschland konnte man den Beruf weder lernen
       noch gar studieren.
       
       ## Editorinnen waren rar
       
       So begann sie damit, die Filme der Studenten zu schneiden. Der erste Film
       in ihrer offiziellen Filmografie ist der Kurzfilm „Ich warte unten“ von
       Hermine Huntgeburth aus dem Jahr 1987. Für Lars Becker montierte sie 1992
       den Hamburg-Krimi „Schattenboxer“. Einen Namen machte sie sich mit dem
       Schnitt von Dokumentarfilmen und dabei schaffte sie den Durchbruch mit
       Ulrike Kochs „Die Salzmänner von Tibet“. 1995 arbeitete sie zum ersten Mal
       mit Zoltan Spirandelli zusammen, der seitdem bis heute – aktuell seinen
       neuen Tatort „Söhne und Väter“ – alle seine Filme von ihr schneiden lässt.
       
       Ein ähnlich festes Vertrauensverhältnis hat Rokob mit den
       Dokumentarfilmerinnnen Beatrix Schwehm und Antje Hubert, für deren neusten
       Film mit dem Arbeitstitel „Das Panama-Projekt“ sie in den nächsten drei
       Wochen den Endschnitt machen wird. Wenn sie an diesem Beispiel die
       verschiedenen Prozesse ihrer Arbeit erklärt, wird deutlich, dass das
       Editieren eines Films viel mehr ist als das Zusammenfügen der einzelnen
       Aufnahmen.
       
       Obwohl die Montage offiziell zur Postproduktion gehört, also jenen
       Arbeiten, die nach Abschluss der Dreharbeiten anfallen, ist Rokob schon
       viel früher in den Arbeitsprozess eingebunden. Denn sie baut immer dann,
       wenn neue Aufnahmen geliefert werden, aktuelle Schnittversionen und da
       Antje Hubert eine Langzeitbeobachtung gemacht hat, arbeitet auch Rokob
       schon seit über zwei Jahren an dieser Produktion.
       
       An der Wand ihres Schnittplatzes hängt eine lange Abfolge kleiner Fotos und
       Zettel, aus der die Schnittfolge und somit die Dramaturgie des Films
       ersichtlich wird. Denn anders als bei fiktiven Filmen folgen
       Dokumentationen keinem Drehbuch und das Material bestimmt die Struktur.
       
       ## Das unbestechliche Auge
       
       Ihre vielleicht wichtigste Aufgabe dabei besteht darin, dass sie die
       allererste Zuschauerin ist, die mit einem genauen Blick auf das
       Filmmaterial schaut und der Regisseurin sagt, was funktioniert und was
       nicht, was noch fehlt und wo gekürzt werden sollte. Und auch bei den viel
       strukturierter produzierten Spiel- und Fernsehfilmen schaut sie nach jedem
       Drehtag das gefilmte Material an und bespricht mit dem Regisseur,was nach
       ihrer Meinung noch fehlt, was misslungen ist und eventuell noch einmal
       gedreht werden sollte.
       
       Zu solchen Gesprächen, die einen wichtigen Teil ihrer Arbeit ausmachen,
       gehört viel Feingefühl, denn sie ist oft die Überbringerin schlechter
       Botschaften. So etwa, wenn sie Filmemacher überzeugen muss, „to kill their
       darlings“. Dies sind jene Aufnahmen, die den Regisseuren sehr am Herzen
       liegen, aber dem Film als Ganzem eher schaden als nutzen. Eine gute
       Editorin wie Rokob hat zugleich die nötige Nähe und die Distanz zu den
       Bildern, um dies besser zu erkennen als jene, die sie gemacht haben.
       
       ## Kein Interesse am Set
       
       So ist es interessant, dass sie überhaupt kein Interesse an den
       eigentlichen Dreharbeiten hat. Sie besucht sie nie, will auch die
       Schauspieler gar nicht persönlich kennenlernen, denn für sie zählen nur die
       Bilder, die sie mit einem möglichst unbestechlichen Blick sehen können
       muss.
       
       Dies bedeutet aber nicht, dass sie sich etwa weigern könnte, wenn ein
       Produzent sie bittet, möglichst keine Nahaufnahmen von einer Schauspielerin
       zu verwenden, weil diese eine schiefe Nase hat. An dieser Anekdote wird
       deutlich, welche subtile Macht sie als Editorin über die Bilder hat; im
       Schnitt entscheidet sich letztlich beim Film alles.
       
       31 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
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